Besser als keine Lehre

Was war doch gleich wieder hybride Lehre und – spezieller – hybride synchrone Lehre? Es hat den Anschein, als wäre das seit Anfang 2023 kein Thema mehr, weil alle lieber gebannt auf die nächsten Entwicklungen generativer Künstlicher Intelligenz (KI) schauen. Zu einem ähnlichen Schluss kommen Tina Basler und Malte Persike in ihrem HFD-Diskussionspapier mit dem Titel: “Können Sie das nicht auch live streamen?” Didaktische Herausforderungen und strategische Potenziale hybrider synchroner Lehre. Die hybride synchrone Lehre sei „nach einem intensiven Spotlight während der Pandemie in Deutschland wieder auf das Niveau einer Graswurzelbewegung zurückgefallen, mit der sich nur wenige Hochschulleitungen strategisch aktiv befassen“ (S. 2).

Der Beitrag befasst sich vor dem Hintergrund dieser Diagnose mit folgenden Fragen: Was meint hybride synchrone Lehre genau und worin setzt sie sich von anderen Formen hybrider Lehre ab? Wie sinnvoll ist hybride synchrone Lehre aus didaktischer Perspektive? Welchen didaktischen Herausforderungen gilt es zukünftig zu lösen? Was sind die Mehrwerte hybrider synchroner Lehre aus hochschulstrategischer Perspektive? Was braucht gute hybride synchrone Lehre? Was sind die Gelingensbedingungen für qualitativ hochwertige Lehrangebote? (S. 3)

Tatsächlich hatte Anfang 2021 das Stichwort „hybride Lehre“ eine ähnliche Sogwirkung wie derzeit KI. Der Begriff und sein Gebrauch waren zunächst allerdings schwer zu fassen – ein Anlass für mich, einen Vorschlag zur Klärung zu machen (siehe hier). Mein Eindruck war nämlich, dass „synchron-hybride Lehre“ der genauere (und damit weniger missverständliche) Begriff dafür sein sollte, was während der Pandemie an vielen Hochschulen für eine gewisse Zeit zum Alltag wurde. Dass diese Begriffsbestimmung nun, 2024, im Text von Basler und Persike aufgegriffen wird, ist immerhin ein spätes positives Feedback. Gemeint ist also auch im aktuellen Text mit hybrider synchroner Lehre: gleichzeitig eine Veranstaltung online und in Präsenz anbieten (S. 3).

Beim Lesen des Textes hat mich vor allem die Frage der Didaktik interessiert: Wie sinnvoll ist hybride synchrone Lehre aus didaktischer Perspektive? Wie zu erwarten, ist aber genau diese Frage schwer zu beantworten. Ein Vorteil ist unbestritten: Wenn synchrone hybride Lehre dazu führt, dass Studierende daran teilnehmen, die vor Ort nicht teilgenommen hätten, ist das für diese von Vorteil: „Ohne Zweifel ist Lehre besser als keine Lehre“ (S. 5). Noch kaum erforscht aber ist, was sich für die Studierenden vor Ort verändert, wenn die Veranstaltung synchron-hybrid ist und welche Nachteile das gegebenenfalls hat. Die Autoren führen einige empirische Befunde an, die darauf hindeuten, dass Interaktion und Kommunikation in der synchron-hybriden Lehre zurückgehen – ein Effekt, den man üblicherweise eher nicht haben will (wobei zu Recht problematisiert wird, dass man genau hinschauen muss, welches Lehrformat und welches Art der Lehrgestaltung hier als Vergleichsmaßstab dienen). Allerdings: Wie so oft in der Didaktik kommt es darauf an, wie synchrone hybride Lehre genau umgesetzt und ausgestaltet wird. Allgemeine Aussage über diesen Modus des Lehrens sind also ohnehin mit Vorsicht zu genießen. Die Autoren nehmen aus ihrer Betrachtung synchron-hybriden Lehrens aus didaktischer Sicht drei Herausforderungen mit: (a) die Interaktion zwischen Lehrenden und Online-Teilnehmern erhöhen, (b) die Interaktion zwischen Online- und Vor-Ort-Teilnehmern erhöhen und (c) ein „Monitoring“ der Lernaktivitäten der Online-Teilnehmer durchführen.

Nur am Rande bemerkt: Interaktionsförderlich ist es aus meiner Sicht, wenn die synchron-hybride Lehre einen, ich sage mal, „starken Anlass“ hat. Ein solcher starker Anlass besteht z.B. darin, dass man Standorte miteinander verbinden will – ich habe das hier zusammen mit Mandy Schiefner-Rohs letztes Jahr mal bearbeitet (hier). Viel Resonanz hat es darauf allerdings nicht gegeben (nur indirekt wird es im Text von Basler und Persike z.B. beim Thema Internationalisierung aufgenommen).

Der Fokus des Textes liegt allerdings ohnehin mehr auf der Frage, was der strategische Mehrwert hybrider synchroner Lehre ist. Angesprochen werden (a) ein chancengerechterer Zugang zu Hochschulbildung, (b) Internationalisierung und Umgang mit Diversität sowie (c) die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Hochschule. Zu letzterem fordern die Autoren: „Gerade im Hinblick auf den wachsenden Fachkräftemangel sollten Hochschulen zukünftig noch attraktiver für eine breitere Zielgruppe und für die Bedarfe einer diversen Studierendenschaft werden“ (S. 9). Dies wäre allerdings aus meiner Sicht wieder mit der didaktischen Frage zu verknüpfen: Nehmen wir an, hybrid-synchrone Lehre wirkt als Attraktor und lädt zum Studium, es gelingt aber nicht, sicherzustellen, dass diese Form der Lehre zu qualitativ hochwertigen Ergebnissen im Wissen und Können führt (weil man didaktische Rückschritte zugunsten strategischer Zielerreichung in Kauf nimmt), dann dürfte das nicht im Sinne der Anschlusssysteme von Hochschulen sein. Ich denke also, man kann die didaktischen und strategischen Überlegungen gar nicht so getrennt voneinander betrachten.

Im Anschluss daran führt der Text noch Bedingungen auf, die gegeben sein müssten, damit hybrid-synchroner Lehre „gelingt“. Diese Bedingungen überraschen nicht, aber vermutlich muss man es einfach öfter wiederholen (in meinen Worten): passende Technik, Unterstützung, mehr Ressourcen (vor allem Zeit), Motivation (ich würde sagen, auf allen Seiten), Rückmeldung und die Bereitschaft daraus zu lernen; neu dazu kommt der „KI-Support“. Letzteres bleibt (noch) vage. So würde ich mir wünschen, dass KI weniger die kreativen Aufgaben des Entwurfs didaktischer Szenarien übernähme, sondern stattdessen die jeweils erforderliche Einstellung des technischen Equipments, was in der Lehrpraxis nach wie vor Probleme bereitet.

Fazit: Ich finde den Text lesenswert, und er kommt zur rechten Zeit, um daran zu erinnern, dass es neben (generativer) KI weitere offene oder voreilig geschlossene Baustellen in der Hochschullehre gibt.

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