Förderlogik – zum Mitdenken

Die DFG stellt gegenwärtig ihr „Förder-Ranking 2009“ vor (hier geht es zur Pressemitteilung und hier geht es zu dem dazugehörigen ca. 200 Seiten umfassenden Gesamtwerk). Ich will aber an dieser Stelle eigentlich nur auf den Wortlaut der Pressemittelung hinweisen, die ich mehrmals gelesen und mich gefragt habe: Was will mir das sagen?

Zitat: „Das neue DFG-Ranking macht deutlich: Die Hochschulen haben die Chancen erkannt, die sich ihnen durch einen intensiveren Wettbewerb eröffnen. Und ein ganz wesentlicher Motor in diesem Wettbewerb sind die Fördergelder der DFG und anderer Quellen“, betonte DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner bei der Vorstellung des Berichts. Dabei hängen Fördergelder, Wettbewerb und Profilbildung in mehrfacher Weise zusammen: Die Hochschulen nutzen die eingeworbenen Drittmittel immer stärker, um ihre Forschungsprofile zu schärfen. Mit diesen wiederum verbessern sie ihre Chancen im Wettbewerb um weitere Drittmittel. Zitatende

Was heißt das das jetzt? Hochschulen werben Drittelmittel ein, um ihr Forschungsprofil zu schärfen, was wahrscheinlich wiederum so viel heißt wie: Konzentration in der Forschung auf spezielle Themen (und auch Methoden?) und passende Partner. Wenn die Hochschulen das tun, dann haben sie mehr Chancen im Wettbewerb, spricht, sie bekommen wieder Drittmittel. Die setzt man dann ein, um weiter am Profil zu schärfen usw. Hab ich das so richtig verstanden? Man bekommt das Gefühl nicht los, dass da etwas zum Selbstzweck wird, nämlich das Profil und die Drittmittel – jedenfalls, wenn man es aus der Perspektive des „Wettbewerbs“ betrachtet. Da sind Fördergelder offensichtlich an Profilschärfung zwingend gebunden. Gibt’s auch noch was anderes als die Perspektive des Wettbewerbs? Hmmm … ach, bestimmt nicht. Schärfen wir also unser Profil. Was denn ein Profil ausmacht? Ja, also … Wenn insgesamt die 20 bewilligungsstärksten Hochschulen in Deutschland zwischen 2005 und 2007 mehr als 60 Prozent aller DFG-Mittel eingeworben haben und bei 40 Hochschulen schon ein Anteil von 88 Prozent erreicht ist, dann ist mit Profil ja vielleicht das Profil der eingeworbenen Drittmittel gemeint? Jedenfalls schließt sich hier der Kreis, denn die Chancen dieser Hochschulen im Wettbewerb steigen – logisch. Noch Fragen?

Peer Reviews: (keine) Zeitverschwendung?

In der Community „(Bildungs-)Wissenschaftler 2.0“ hat Joachim Wedekind auf einen sehr interessanten Blogeintrag von George Siemens zum Thema Peer Reviews aufmerksam gemacht. In unserer Community geht es ja unter anderem um die Frage, wie man ein öffentliches Peer Review etablieren könnte, was natürlich auf kritischen Urteilen und einige Unzulänglichkeiten des klassischen Peer Reviews aufbaut. Dass das nicht leicht ist, habe ich an anderer Stelle (hier) bereits erörtert. Nun schildert Siemens seine Erfahrungen mit dem Peer Review und vieles von dem, was er sagt, kann ich nur bestätigen. Ich empfehle, den Beitrag ganz zu lesen, und möchte nur hervorheben, was ICH besonders bemerkenswert fand:

  • Erstens die Gründe, weshalb klassische Peer Reviews einen mitunter unzufrieden machen: Peer Review-Verfahren sind in der Regel sehr langsam; ihre Qualität ist abhängig davon wie treffend die Auswahl der Gutachter zum Thema des Beitrags ist; und sie sind nicht auf Entwicklung (der Beiträge und ihrer Autoren) ausgerichtet.
  • Zweitens die Beispiele: Siemens beschreibt, wie lange er an Artikeln, aber auch an deren Begutachtung sitzt. Die angegebenen Zeiten kann ich gut nachvollziehen. Selbst außerhalb offizieller Review-Verfahren sitze ich z.B. am Gegenlesen und Kommentieren von Texten meiner Mitarbeiter (bei ca. 12 Seiten) bis zu drei Stunden. Für ein ordentliches Review für eine Zeitschrift, benötige ich ca. vier Stunden – je nachdem wie gut oder schlecht der Text ist: Je mehr Kritik, umso länger dauert es natürlich.
  • Drittens die Unzufriedenheit mit schlechten Reviews: Auch das kann ich bestätigen. Teilweise gibt es Gutachten, über die man sich nur aufregen kann, deren Inhalt deutlich zeigen, dass der Reviewer keine Ahnung vom Thema hat oder aber keine Lust hatte, den Text richtig zu lesen geschweige denn vernünftig zu kommentieren. Aber es gibt auch Gegenbeispiele (die Siemens ebenfalls schildert) – Beispiele, die zeigen, dass Reviews sowohl für den Reviewer als auch für den Autor keine verschwendete Zeit sein müssen.
  • Viertens der Hinweis darauf, dass die skizzierten Probleme vor allem bei interdisziplinären Themen wie Wissen oder Lernen mit digitalen Medien weitgehend ungelöst sind. Auch da kann ich nur zustimmen. Auch wir an der Professur wissen oft nicht, in welcher Zeitschrift ein Beitrag gut aufgehoben wäre. Darüber wurde in der Community im Übrigen auch schon kurz diskutiert. Wir behelfen uns oft damit, dass wir einfach einen Arbeitsbericht daraus machen. Das geht schnell, ist online greifbar, aber leider (auch wenn mir hier mein Blog-Kommentator Her Dr. Graf wieder widersprechen wird ;-)) nicht sonderlich förderlich für die wissenschaftliche Karriere – na ja, vielleicht NOCH nicht förderlich.

Noch haben wir in unserer Community keinen systematischen Austausch von Vorschlägen für eine Entwicklung von Review-Prozessen. Joachims Link aber ist schon mal ein erster Schritt. Der Beitrag von Siemens jedenfalls umfasst ein paar Eckpunkte, an denen man ansetzen kann. Ich nehme mir auf jeden Fall vor, das Thema weiterhin oben auf der Agenda zu haben.

Vom Meer zur Meta-Analyse

Bild_Amrum09Es ist der 1. September und ich melde mich zurück. Erst zwei Wochen Urlaub ohne Netz und dann zwei Wochen mit etwas weniger Geschwindigkeit Vorbereitungen für nahende Termine und Deadlines – so könnte man rein formal meine Blog-Pause im August beschreiben, die ich nun jedes Jahr machen werde. Zwei bis drei Posts in der Woche kosten durchaus Zeit, zumal da es genau nicht mein Ding ist, Minibeiträge oder ausschließlich kommentierte Links zu publizieren (daher auch meine Twitter-Abstinenz). Da tut es ganz gut, sich mal vier Wochen aus der aktiven Blogosphäre auszuklinken. Aber jetzt ist es auch gut ;-).

Immerhin habe ich die letzten beiden Wochen zumindest Blogs rezipiert und da ist mir natürlich auch die vom U.S. Department of Education in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Evaluation of Evidence-Based Practices in Online Learning A Meta-Analysis and Review of Online Learning Studies“ aufgefallen, auf die bereits Jochen Robes und Michael Kerres aufmerksam gemacht haben. Michael äußert sich hierzu aus meiner Sicht zu Recht kritisch sowohl zur Anlage der Meta-Analyse als auch zur Interpretation der Ergebnisse. Grundsätzlich finde ich eine Zusammenschau verschiedener Studie eine ganz wichtige Sache! Auch Meta-Analysen, die traditionsgemäß eine solche Zusammenschau ausschließlich vor dem Hintergrund der Berechnung statistischer Effekte betreiben, sind nützlich. Allerdings bedeutet letzteres natürlich eine massive Einschränkung der Art von Studien, die man bei der Analyse überhaupt berücksichtigt – so auch bei dieser Studie: Es wurden ausschließlich experimentelle oder (immerhin) quasi-experimentelle Vergleichsstudien herangezogen, die ein „objective measure of students“ sicherstellen.

Es wurde (hier) schon darauf hingewiesen, dass man in der Fach-Community an sich inzwischen zu der Ansicht gelangt ist, simple Vergleiche zwischen Medium A und Medium B oder zwischen medial und face-to-face  gehörten der Vergangenheit an, denn: Ein Medium nimmt immer auch Einfluss auf die Methode, zumal wenn es um komplexere Lehr-Lernszenarien geht. Auffällig, aber symptomatisch ist auch die Suche nach „objektiven Maßen“, also nach Beweisen, die sich politisch nutzen lassen. Diese Tendenz lässt sich auch bei uns schon lange beobachten: Statistiken und Zahlen müssen geliefert werden (vgl. PISA und Hochschul-Rankings) und werden dann als Entscheidungsgrundlage oder Impuls für neue Vorschläge im Kontext der Bildung gerne genutzt – vor allem von denen, die von empirischer Bildungsforschung eher wenig oder keine Ahnung habe (weil es z.B. eben keine Forscher sind). Schlimm ist, wenn das von Leuten unterstützt wird, die diese Ahnung durchaus haben! In diese Reihe passt wohl auch die US-amerikanische Meta-Analyse, die nebenbei bemerkt, zu Ergebnissen kommt, die keinen erstaunen werden:

(a) Blended Learning-Angebote erweisen sich als vorteilhafter als reine Online-Angebote. (b) Lernen mit Online-Angeboten führt im Vergleich zum Präsenzlernen dazu, dass Lernende mehr Zeit in Aufgaben investieren und daher besser lernen. (c) Die Effektivität solcher Angebote steht in einem engen Zusammenhang mit inhaltlichen Merkmalen und solchen, die die Lernenden mitbringen. Tja, wer hätte das gedacht!

National und anwendungsorientiert

Nein, ich habe ihn noch nicht gelesen, den Herausgeberband von Jürgen Baumert mit dem einfallsreichen Titel „Einfallsreichtum. 60 Jahre Forschen und Lernen in der Bundesrepublik Deutschland. „An meinen gewohnten Stellen für Netzeinkäufe ist es noch nicht zu haben. Aber Kritiken gibt es schon, nämlich hier in der SZ: Alexander Kissler tut seine Meinung kund und es unschwer herauszulesen, dass er nicht allzu begeistert ist. Um den Charakter des Buches zu verdeutlichen, schreibt er z.B.: „Eine Finanzwissenschaftlerin versteht unter Bildung einen ´Treiber von Forschung und Innovation´, der die ´Wettbewerbsdefizite im internationalen Vergleich´ beseitigen solle. Eine Ökonomin sieht im ´Humankapital den wichtigsten Wachstumsbeitrag´, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz will ´unser Land wieder nach vorne bringen´ … National und anwendungsorientiert ist der vorherrschende Blickwinkel.“ Nun, wer die Bologna-Umsetzungsrhetorik im Bereich der Hochschule, Exzellenzinitiativen und Drittmittelakquise täglich miterlebt, wird darüber nicht allzu überrascht sein. Möglicherweise kann man sich das Buch also sparen, aber immerhin verspricht der Rezensent neben Texten im Beamtendeutsch auch ein paar kritische Beiträge. Ich werde mir also möglichst bald ein eigenes Urteil bilden.

Doch keine Prosumenten?

Viele Studien (JIM-Studie, HIS-Studie zum Studierendenverhalten) kommen zu dem Schluss, dass selbst die netzaffinen Bevölkerungsgruppen (jung, hoher Bildungsgrad) keine überwältigenden „Produzenten“ in der Netzwelt sind, also z.B. Blogs schreiben, sich an Wikis beteiligen, Bookmarks öffentlich machen etc. Eine jetzt bei eleed veröffentlichte Studie mit Nachwuchswissenschaftlern (online hier abrufbar) kommt zu dem Schluss, dass es mit der aktiv-konstruktiven Nutzung des Web 2.0 auch im Wissenschaftsbetrieb nicht so weit her ist: „In unserer Studie konnten wir zeigen, dass auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Web 2.0 zurzeit noch hauptsächlich als Recherche-Tool und damit eher passiv nutzen“, heißt es im Fazit nach Darstellung der Befragungsergebnisse von immerhin 2361 Doktoranden. Auffällige Unterschied zwischen Fach und Geschlecht gibt es bei den Ergebnissen nicht, die durchaus Parallelen zu anderen Online-Studien mit anderen Bevölkerungsgruppen aufweisen, wenngleich auf einem höheren Nutzungsniveau. Interessant, aber nicht erstaunlich: Nur 3 % der Befragten geben an, in einem eigenen Blog über wissenschaftliche Themen zu schreiben.

Eine Generalisierbarkeit der Resultate auf „die“ Wissenschaft erscheint mir allerdings nicht gerechtfertigt: Immerhin konzentriert sich die Studie auf den wissenschaftlichen Nachwuchs. Professoren wurden nicht befragt; na ja, viele hätten wohl gar nicht geantwortet. Selbstreflexion auf dieser Ebene ist – das fürchte ich – nicht so gefragt: Vor zehn Jahren gab es an der LMU München mal den Versuch, eine interdisziplinäre Forschergruppe zum Wissensmanagement aufzubauen, was aber leider nicht geklappt hat: Immerhin aber waren wir schon so weit, dass jeder Fachbereich eine Projektidee entwickelt hatte. Für unseren Fachbereich hatte ich mich für die Idee stark gemacht, das Wissensmanagement in dieser Forschergruppe zu untersuchen. Das war allerdings nicht durchzusetzen: Zu groß war wohl die Sorge, wie diese Ergebnisse am Ende aussehen würden.

Trend-Tücken

Aktuell wird im Netz wieder vermehrt auf den seit 2006 vom MBB (Institut für Medien- und Kompetenzforschung) veröffentlichten „Trendmonitor“ zum E-Learning hingewiesen (online verfügbar hier). Dabei handelt es sich um eine Expertenbefragung, die leider etwas irreführend als „Learning Delphi“ bezeichnet wird, obschon die gleichnamige Delphi-Methode genau nicht in einer einfachen Befragung besteht (nähere Infos zur Delphi-Methode z.B. hier). Ziel der Studie bzw. der Studienreihe ist es, Prognosen über den „E-Learning-Markt“ etwa in Bezug auf favorisierte Methoden und technische Werkzeuge, aber auch in Bezug auf E-Learning als Arbeitsmarkt zu erstellen, also Trends ausfindig zu machen. Ich bin der Meinung, dass die Suche nach solchen Trends einige Tücken hat und das gilt auf jeden Fall auch für diese Studie.

Aber von vorne: Wer sind die befragten 54 Experten? Zur Hälfte (also 26 Personen) handelt es sich um Dienstleister/Produzenten; die nächst größte Gruppe (13 Personen) kommen aus „Wissenschaft/Forschung/Beratung“, wobei ich mich frage, ob man Berater und Wissenschaftler wirklich in einen Topf werfen sollte. Auch 2% Anwender sind dabei: Das macht also EINEN Anwender (sollte man da nicht besser auf Prozentangaben verzichten?). Die anderen Gruppen sind mit zwei bis vier Personen besetzt; acht Personen konnten gar nicht zugeordnet werden. Hm – sind das wirklich die Experten, die uns die E-Learning-Zukunft voraussagen können?

Neben der Zielgruppe stimmen mich auch einige Fragen skeptisch: Wenn nach dem Nutzen sowie nach dem kommerziellen Erfolg von „E-Learning“ gefragt wird, finden wir in den Items eine recht wilde Mischung von (a) Sammelbezeichnungen wie „Blended Learning“ und Open Educational Resources“, (b) Methoden und Aktivitäten (z.B. Simulationen und „Content Sharing“, (c) technische Werkzeuge (wie Weblogs, Wikis, Twitter) und noch einiges mehr. Ist es wirklich sinnvoll, all dies bei einer Frage gemeinsam einschätzen zu lassen? Wenn doch die meisten der Meinung sind, dass Blended Learning-Angebote einen hohen Nutzen haben, müssten dann nicht potenziell alle Methoden und Werkzeuge ähnlich eingeschätzt werden? Es ist doch zu vermuten, dass eher der Bekanntheitsgrad und/oder der aktuelle Verbreitungsgrad von Werkzeugen bei solchen Fragen eingeschätzt werden und sonst nichts. Dafür spricht, dass der Blick in die vergangenen Befragungen genau das zeigt: Dass die „Experten“ immer diejenigen Anwendungen als „nützlich“ einstuften, die gerade viel diskutiert und en vogue waren. Von den Kommunikationswissenschaftlern ahbe ich gelernt, dass es da das Agenda Setting gibt: Die Expertenmeinungen könnten mit diesem Ansatz aus meiner Sicht ganz gut gedeutet werden.

Sätze wie „Insgesamt belegen die Prognosen den Trend, dass Unternehmen auch zukünftig nicht gänzlich auf traditionelle Lernformen verzichten werden“ (S. 3) haben das Glück, dass sie wohl immer stimmen werden. Hilft uns das weiter? Sinnvoller ist da schon der ebenfalls gemachte Versuch, verschiedene „Szenarien“ einschätzen zu lassen, wie es in diesem Trendmonitor auch versucht wird. Allerdings sollten diese meiner Ansicht nach auch konkreter sein als z.B. „Deutschland wird seine Position als Bildungsexporteur ausbauen“ – ein Satz, bei dem es jedem Erziehungswissenschaftler ohnehin die Haare aufstellen wird.

An manchen Stellen hat man ja geradezu die Hoffnung, dass es mit den Seherfähigkeiten der befragten Experten nicht so weit her ist, z.B. wenn es heißt: „Deutlich weniger Experten glauben an eine steigende Wichtigkeit der Zielgruppen ´Mitarbeiter mit Migrationshintergrund´ (43%) und ´ungelernte Hilfskräfte´ (24%). Für letztere prognostizieren 19 Prozent der Befragten sogar ein sinkendes Interesse“ (S. 7). Prognostiziert man das jetzt oder wünscht man es sich eher oder nimmt man es als unweigerlich an, wenn die Wirtschaft kränkelt? Wer wird mit diesen Prognosen denn jetzt genau was machen? Sich als Depp fühlen, wenn man sich doch für diese „wenig interessanten“ Zielgruppen stark macht? Ich weiß nicht: Ist das sinnvoll – solche Prognosen anzustellen?

Sie können auch anders!

Wer kann auch anders? Die GEW – also die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“. Bereits im Juni ging das neue wissenschaftspolitische Programm (hier) online; es stellt in einer Art 12-Punkte-Plan die Position der GEW zu Wissenschaft, Hochschule, Forschung und Lehre dar.

Es klingt meiner Ansicht nach etwas trotzig: „Wir können auch anders!“ Soll das eine Drohung sein? Nein, das ist eher nicht gemeint, vielmehr will die GEW mit dem „Schlachtruf“ zum Ausdruck bringen, dass sie keineswegs an alten Zöpfen hängt und zur Vergangenheit zurück will (wie man ihr vielleicht vorwerfen könnte), sondern dass sie auch für Reformen ist – aber halt anders. Ich weiß nicht so recht, ob das ein gelungener Einstieg ist.

Viele Aspekte in den zwölf Punkten sind begrüßenswert, aber mit allem kann ich mich nicht identifizieren. Etliche Absätze wirken zudem schon recht schlagwortbesetzt. Ein paar Gedanken dazu:

So stimme ich z.B. zu, wenn es heißt, dass man Studienplätze ausbauen muss (Punkt 1). Was aber heißt genau „bedarfs- und nachfragerecht“? Das wird nicht genauer gesagt. Eine Anrechnung von bereits erbrachten Qualifikationen ist auch okay – aber bis zu welchem Grad? Wenn man schon zig Punkte mitbringt bzw. angerechnet bekommt, welchen Sinn hat denn dann ein Studium noch? Meine klare Zustimmung hat dagegen das Plädoyer gegen eine „hierarchische Differenzierung in Elite- und Massenhochschulen“ (Punkt 2). Wenn das weiter und tiefer geht, halte ich das für eine gravierende Fehlentwicklung, von der wenige profitieren und viele das Nachsehen haben. Die „bedingungslose Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums“ kann ich so nicht unterstützen (Punkt 3). Man sollte endlich bessere Stipendien-Möglichkeiten schaffen. Eine maßvolle Gebühr von vielleicht 300,- Euro finde ich vertretbar und kann auch sinnvoll sein. Jeden Kindergartenplatz muss man bezahlen – Bildung gilt vielen als so wenig wert … das kann ja auch nicht sein. Eine wichtige Frage ist die Rolle des Staates in der Hochschule (Punkt 4): Sowohl eine Detailsteuerung als auch der Rückzug des Staates sind problematisch – das sehe ich auch so. Wie eine Demokratisierung der Selbstverwaltung aussehen soll, die ebenfalls gefordert wird, bleibt unscharf (Punkt 5): Das mit der Selbstverwaltung ist wirklich schwer. Manchmal wünschte ich mir da schon mehr Professionalität und weniger Gerede, wo jeder sein Statement abgibt, ohne dass etwas dabei herauskommt. Dagegen ist ein strikter Managementkurs auch nicht das, was man an der Hochschule haben will – eine echte Herausforderung also, wie man diese Quadratur des Kreises in Sachen Selbstverwaltung hinbekommt. Die GEW scheint es auch nicht zu wissen. Ganz klar spreche ich mich dagegen persönlich gegen Quoten aus (Punkt 7): Ich glaube nicht, dass das hilft, bestehende Ungleichheiten zu beseitigen. Besser sind da schon die Hinweise zur „familiengerechten Gestaltung der Wissenschaft“ (Punkt 6). Gut ist, dass die GEW auch das Thema „Funktionsstellen mit unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen“ angeht (Punkt 8): Es ist ein Unding, dass es von diesen Stellen so wenige gibt, obschon genau die Aufgaben wachsen, wofür man solche Funktionsstellen dringend bräuchte. In eine ähnliche Richtung geht die aus meiner Sicht berechtigte Forderung, die Ausbeutung von Lehrbeauftragten zu beenden. Was an einer Habilitation in Fächern, wo man das gut begründen kann, schlecht sein soll, verstehe ich dagegen nicht. Enttäuscht war ich von Punkt 9: Was da über Qualität steht, stimmt ja auf diesem abstrakten Niveau alles. Aber dass die GEW hier nicht eindeutiger zur Akkreditierung Stellung nimmt, finde ich bedauerlich! Die Aussagen zu Mobilität und Berufsfähigkeit stimmen in etwa mit den Bologna-Papieren überein – was ist da der Mehrwert? Und was bitte sind „autonome Seminare“? (Punkt 10). Gegen die Kritik am föderalen Flickenteppich speziell bei der Lehrerbildung kann man nichts sagen (Punkt 11) und wer sollte schon ernsthaft etwas gegen die „Einheit von Forschung und Lehre“ (Punkt 12) haben, wenn man nur wüsste, wie man das unter den heutigen Bedingungen bewerkstelligen soll. Ebenfalls schade, dass die GEW gerade im letzten Punkt kein Wort über die „Open-Bewegungen“ verliert – nach den Schmähartikeln der letzten Monate stimmt ja z.B. die SZ inzwischen versöhnliche Töne an (aktuell hier). Jedenfalls zeigt sich die GEW da nicht ganz auf der Höhe der Zeit.

Trotz alledem: Ein durchaus lesenswertes Programm. Es sollte sich jeder selbst eine Meinung bilden.

Stille Helden des Alltags

Liegt in Deutschland die Bildung am Boden? Lernen Schüler vor allem, wie man andere in Online-Games umbringt? Empfinden Professoren die Lehre nur als lästige Pflicht, die sie vom Forschen abhält? Solche und andere Annahmen, die in diesen Fragen stecken, können Christian Spannagel und Lutz Berger nicht glauben. Sie machen von Ende August bis zum 9. September im Rahmen der „Forschungsexpedition“ ihre eigene Bildungsexpedition „durch PISA-Täler“ und über „Bologna-Berge“, um die „stillen Helden des Alltags“ zu suchen, die noch an die Bildung glauben. Ich bin beruhigt und geradezu beeindruckt, dass im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs auch originelle Ideen gefördert werden und nicht nur neue Formen des Hochglanz-Marketings. Die Initiatoren und ihr Team – so wird versprochen – werden „bloggen, twittern, filmen und podcasten was die Netze hergeben“. Wie es sich gehört, ist das Vorhaben insofern partizipativ angelegt, als dass sich jeder hier melden kann, wenn er Ideen hat, welche Stellen das Team ansteuern soll, wen sie interviewen und wen sie filmen sollen.

Tolle Idee! Mich würde interessieren: @Christian und Lutz: Habt ihr auch eine „Mission“? In gewisser Weise seid ihr da ja eineinhalb Wochen „Wanderprediger“ – was werdet ihr predigen? Optimismus, wie ihn das bmbf verkündet? Im Prinzip wichtig, aber ehrlich sollte es sein! Leuchttürme, wie sie Reinhard Kahl präsentiert? Auch nicht schlecht, aber lasst bitte die salbungsvolle Stimme weg. Oder doch was ganz anderes?

Im Ernst: Ich wünsche euch viel Erfolg und natürlich auch viel Spaß: Hoffentlich trefft ihr Leute, die was zu sagen haben und ihre Erfahrungen teilen wollen! Gute Reise!

Nicht zu Ende gedacht

Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat am Dienstag mit Vertretern des Aktionsbündnisses Bildungsstreik, Studentenvertretern und Vertretern des deutschen Hochschulsystems beraten. Viel schient nicht dabei herausgekommen zu sein. In der Pressemeldung des bmbf heißt es: „Ich möchte fünf konkrete Punkte benennen, die zentral sind und die wir mit dem heutigen Tag auf den Weg bringen werden“. Was sind das für fünf Punkte? Ich zähle mal auf (Zitate aus der Pressemeldung) und mache mir dazu meine eigenen Gedanken:

(1) „Strukturreform muss verbunden werden mit der Erneuerung der Curricula.“ Wie wäre es, wenn man die Fachvertreter selbst entscheiden ließe und endlich den Akkreditierungsunsinn stoppen würde, der zu seltsamen Curricula geführt hat? Dazu allerdings wird nirgendwo gesagt. Akkreditiert wird offenbar weiter, obwohl man sich ja einig ist, dass nicht die „Idee Bologna“, sondern die durch Akkreditierungsagenturen wesentlich mitbestimmten Umsetzungen das Problem sind.

(2) „Für die Länge des Bachelor-Studiums brauchen wir mehr Flexibilität. Es kann auch erforderlich sein, statt sechs auch sieben oder acht Semester im Bachelor-Studiengang zu studieren.“ Ja, das ist ja sinnvoll, scheint man doch allmählich einzusehen, dass man nicht alle Fächer in einen Topf werfen kann. Wer sagt es den Agenturen? Das vergisst man hoffentlich nicht.

(3) „Der Übergang vom Bachelor zum Master muss problemlos möglich sein. Studierende sollten selbst entscheiden können, ob sie einen Master machen wollen oder nicht. Ich bin gegen eine Quote.“ Ja, gute Idee, nur dann muss bitte auch eins passieren: Nämlich die Master-Studierenden bei der Berechnung von Kapazitäten mit einrechnen! Sonst landen wir nämlich wieder bei Seminaren mit einer Teilnehmerzahl von 60! Es ist ja ein Unding, den Master für die Unis und Fachvertreter als Luxus zu deklarieren und ausschließlich die Bachelor-Studierenden für Kapazitätsberechnungen heranzuziehen. Ich bin auch dafür, dass das jeder Studierender selbst entscheiden soll, ob er einen Master macht, aber es kann ja wohl nicht sein, dass Lehrende diese quasi nebenbei versorgen sollen. Genau das aber ist vielerorts der Fall, um zeigen zu können: Ja, wir schaffen es, Studienplätze zu schaffen! Dass die aber rechnerisch nach dem Bachelor aufhören, sagt man nämlich nicht dazu. Das ist ja wohl (wie so oft) nicht zu Ende gedacht!

(4) „Beratung und Betreuung der Studierenden müssen noch wesentlich besser werden.“ Ja, dafür bin ich auch – ich berate gerne Studierende (das mache ich lieber als Formulare ausfüllen und sinnlose Berichte schreiben), aber nicht hunderte gleichzeitig, weil das nämlich schlicht nicht geht. Und wenn wir nicht permanent so viele bürokratische Hürden hätten, bräuchten wir auch nicht so viel Beratung: Denn die Beratungen, die wir leisten, sind nur zu einem kleinen Teil inhaltlicher, aber zu einem großen Teil verwaltungstechnischer Art (ein Beispiel liefert Michael Kerres hier zum Thema Studiengebühren).

(5) „Wir werden eine Studie in Auftrag geben, die untersucht, wo die Bachelor-Studenten nach ihrem Abschluss unterkommen – in Unternehmen, in der Wissenschaft oder in einem anderen Bereich. Das erlaubt dann konkrete Aussagen darüber, wie gut Bachelor-Absolventen für den Beruf qualifiziert sind.“ Was genau ist das Ziel einer solchen Studie? Zu überprüfen, ob Unis schon Fachhochschulniveau haben? Es ist aus meiner Sicht höchste Zeit, sich ernsthaft über die Bedeutung des Begriffs „Berufsausbildung“ im Zusammenhang mit einem Universitätsstudium Gedanken zu machen. Das nämlich wird auch die Items einer Befragung in Rahmen einer solchen Studie stark beeinflussen – womit wir im Übrigen auch wieder beim Zweck der Universität wären: Vielleicht sollten wir erst mal eine Studie machen, was anspruchsvolle Berufe heute in der Wirtschaft und anderswo eigentlich an Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten fordern (Stichwort: Wissensarbeit)? Vielleicht käme dann heraus, dass wir ohnehin auf dem Holzweg sind, wenn wir meinen, ein Universitätsstudium würde direkt für einen konkrete Beruf ausbilden und für die dort verlangten Tätigkeiten unmittelbar „qualifizieren“?

Außenseiter und Dissidenten

Ein paar Zitate, von Holm Tetens, die aus meiner Sicht für sich selber sprechen und auf jeden Fall ein guter Anlass für anregende Diskussionen sein könnten:

  • „Die Güte von Wissenschaft und die Qualitäten eines Forschers und Hochschullehrers lassen sich nicht nach quantitativen, der Betriebswirtschaftslehre entnommenen Kriterien bemessen. Die Güte von Wissenschaft und die Qualitäten eines Hochschullehrers sind danach zu beurteilen, ob die Ideale der Wissenschaft gut realisiert sind. Die Qualität wissenschaftlicher Forschung lässt sich in letzter Konsequenz nicht quantitativ messen. Ob ein wissenschaftliches Forschungsergebnis inhaltlich interessant ist und ob es gut begründet ist, das stellt sich fast nie sofort, sondern oftmals erst nach längerer Zeit heraus, wenn immer mehr Forscher ihm zustimmen, es Eingang findet in kanonisches Lehrbuchwissen oder es zumindest für wert befunden wird, auf es einzugehen, über seinen Inhalt in Geschichtsdarstellungen einer entsprechenden Disziplin zu berichten und so weiter und so fort“ (Tetens, 2008, S. 31).
  • „Immer wieder haben Außenseiter und Dissidenten am Ende wissenschaftlich Recht behalten und hat sich ein von Gutachtern, wissenschaftlichen Zeitschriften usw. für exzellent befundenes wissenschaftliches Resultat als falsch und wertlos erwiesen, einmal abgesehen von der Tatsache, wie kontrovers in Wahrheit Exzellenzurteile in der Gemeinschaft der Wissenschaftler oftmals sind“ (Tetens, 2008, S. 32).
  • „Wissenschaftliche Forschung ist eine schöpferische Tätigkeit. Das Innovative in der Wissenschaft ist auf produktive Einfälle und Einsichten angewiesen. Es ist eine kognitionspsychologische Binsenwahrheit, dass sich schöpferische Leistungen nicht planen und nicht durch technisches Handeln herbeizwingen lassen. Man kann nicht mehr tun, als für Menschen eine anregende Umgebung zu schaffen und ihnen sehr viel Zeit zuzugestehen, Dinge auszuprobieren und Irr- und Umwege einzuschlagen. … Die gegenwärtige neoliberalistische Neuerfindung der Universität läuft auf das Gegenteil hinaus: Sie will aus den Forschern Akteure machen, die in möglichst kurzer Zeit viele wissenschaftliche Resultate erbringen sollen und das angeblich auch können, sobald man die Forscher nur ständig kontrolliert und die Forschungsaktivitäten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien bewertet.” (Tetens, 2008, S. 32)

Quelle: Tetens, H. (2008). Die Idee der Universität und ihre Zukunft. Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, 1, 24-33.  Auch online hier zugänglich.