Alles eine Frage des Geldes

Am Wochenende bin ich in der ZEIT (vom 14. Juni) unter der Rubrik „Chancen“ an folgender Überschrift (natürlich) hängen geblieben: „Die Edupunks kommen!“ (Jochen Robes war mal wieder schneller und hat hier bereits davon berichtet). Es handelt sich um ein Interview mit Ayad al-Ani von der ESCP Europe Wirtschaftsschule Berlin. In dem Interview stellt al-Ani einige Prognosen auf, die inhaltlich nicht weltbewegend sind und nur thematisieren, was seit Jahren in Zeitschriften und Büchern publiziert wird (und wohinter vereinzelt auch theoretische Konstrukte, vor allem aber Einzelentwicklungen wie auch zahlreiche Erprobungen mit Pilotcharakter stecken): also z.B. Vorlesungsaufzeichnungen und andere freie Bildungsressourcen, die offen zugänglich sind, Nutzung von Wikis etc. Sicher hat al-Ani Recht, wenn er bedauert, dass „innovative Lerntechnologien“ noch zu wenig Thema an deutschen Hochschulen sind. Zudem spricht er verschiedene Blended Learning-Möglichkeiten an, die dazu führen könnten, Präsenzzeit sinnvoller als für reine Vermittlung zu nutzen, die man auf andere Art und Weise, nämlich auch online, relativ gut umsetzen kann. Auch darin kann ich al-Ani durchaus zustimmen. Insbesondere ist das keine Vision, sondern wird durchaus von einer ganzen Reihe von Lehrenden schon seit längerem so praktiziert – aber sicher nicht flächendeckend – das ist richtig.

Ich habe mit diesen Aussagen also kein Problem. Ein Problem aber habe ich mit Thesen wie: „Die Studenten werden sich ihre eigene Lernbiografien zusammenstellen und dabei nicht unbedingt ein bestimmtes Studienfach an einer einzelnen Hochschule wählen“ (das sind dann übrigens die Edupunks). Mit dieser Prognose beginnt das Interview. Alexandra Werdes, die das Gespräch führte, fragt gegen Ende desselben kritisch, ob das nicht überfordernd für die Studierenden sei; al-Anis Antwort lautet: „Wahrscheinlich wird es Scouts geben, die gemeinsam mit den Studenten Lernpfade festlegen. Das Lernpfad-Management kann ähnlich wie die Studienberatung in der Uni stattfinden oder auch von unabhängigen Dienstleistern angeboten werden. Auch eine Internetplattform ist denkbar: Da gibt man dann die Interessen und das Budget an, und die Agenturen suchen entsprechende Möglichkeiten heraus“.

Es wäre wohl besser gewesen, diese Aussage wäre am Anfang des Interviews gestanden, dann hätte man sich den Rest sparen können: Profs – aber bitte nur die „Medienstars“ – produzieren Hochglanz-Lernangebote, legen diese quasi in virtuellen Regalen ab und Scouts oder Lernpfad-Manager stellen dann für den Studierenden je nach Budget mehr oder weniger attraktive Lernmodule zusammen – ist dann halt alles eine Frage des Geldes. Im Trend der Ökonomisierung auch der Hochschulbildung hat das in gewisser Weise etwas von Konsequenz. Was das mit Punk zu tun hat (war das nicht mal die Idee von unangepasstem Verhalten, Provokation und Rebellion – bevorzugt auf der Straße und in der Musik?) müsste mir Herr al-Ani allerdings erst mal erklären. Aber es macht sich halt gut, progressiv klingende Schlagworte mit neuen Geschäftsideen zu verbinden und mit einem Hauch von Bildung für alle zu umgeben.

Nur zweite Garnitur

Dieter Lenzen – einst Befürworter der Reformen in der deutschen Hochschullandschaft – hat in den letzten beiden Jahren des Öfteren einen kritischen Ton angeschlagen, was die Anforderungen und vor allem Veränderungen an unseren Hochschulen betrifft – zu Recht wie ich finde. Aktuell gibt es einen kurzen Beitrag auf Spiegel online von ihm (hier), in dem er anmahnt: „Wir brauchen ein Wettbewerbsmoratorium. In den nächsten zehn Jahren darf es solche Großwettbewerbe nicht geben, weil die Universitäten sich nicht selten entweder fast ´zu Tode gesiegt´ oder an den Rand der Erschöpfung ´geantragt´ haben.“ Er plädiert zum einen für „Planungsruhe“ und zum anderen für einen neuen Blick auf die Leistungsfähigkeit und Kreativität Einzelner oder kleiner Gruppen: „Die Republik kann es sich nicht leisten, diese kleineren Einheiten zur ´zweiten Garnitur´ verkommen zu lassen, sondern die nächste große Welle muss die Förderung der Potentialbereiche enthalten und dieses unter Bedingungen von Transparenz, unter Relativierung des ´Klumpenprinzips´ und im Vertrauen auch auf die Exzellenz einzelner.“

Um den Exzellenzbegriff wird es übrigens auch auf dem diesjährigen GMW-Jahreskongress in Wien gehen (Motto „Digitale Werkzeuge für exzellente Forschung und Lehre“) – meiner Ansicht nach in der Wissenschaft ein eher überflüssiger Begriff, wenn man davon ausgeht, dass Wissenschaft immer daran gelegen ist (oder sein sollte), über den bloßen Schein „hinauszugehen“ (also dann auch „herauszuragen“ – lat. excellere), um den Dingen auf den Grund gehen zu können.

Wie ein Krebsgeschwür

Auf unserer Seite mit den Forschungsnotizen (hier) war es in letzter Zeit etwas ruhiger. Das lag bzw. liegt nicht an mangelnden Ideen, sondern wie wohl überall an der knappen Zeit. Ich ärgere mich relativ oft darüber, dass so unglaublich viel Zeit auf Dinge draufgeht (Stichworte: Management und Bürokratie), die einem fehlt, um interessante Erfahrungen aus der Lehre, aus laufenden Projekten, aus Tagungen und infolge von Lektüre aufzuarbeiten und daraus auch neue Gedanken zu entwickeln. An sich gehört das zu den Kernaufgaben eines Wissenschaftlers, die aber zunehmend von wissenschaftsfernen Aufgaben verdrängt werden – da schiebt sich fast unweigerlich das Bild eines Krebsgeschwürs in den Vordergrund. Aber na ja, wollen wir es nicht dramatisieren. Ab und zu kann man das Wachstum mit ausgeprägtem Willen auch bremsen und dann ZUMINDEST mal ein kleines Publikationsformat wie unsere Forschungsnotizen bedienen. Die sind dann auch immer so eine Art „Mahnmal“: Was in einer Forschungsnotiz skizziert ist, sollte auch größer bzw. weiter vorangetrieben werden. Ich hoffe, das gelingt beim Thema der Forschungsnotiz 11 mit dem Titel „Empirie verstehen – Forschendes Lernen mit einem Online-Werkzeug“.

Nicht optimal, aber unter den gegebenen Umständen sinnvoll?

In Augsburg hatten wir zur Betreuung bzw. Begleitung der Studierenden beim Verfassen ihrer Bachelorarbeiten eine eigene Veranstaltung im Curriculum vorgesehen. In München ist das bei unserem bildungswissenschaftlichen Studiengang leider nicht der Fall. Aus meiner Sicht ist das ein Fehler, da die meisten Studierenden Unterstützung bei dieser Arbeit brauchen und die individuelle Betreuung ohne Veranstaltung schnell sehr zeitintensiv wird und nicht mehr zu leisten ist. Da ich ohnehin schon mehr Lehre mache als ich machen müsste, habe ich mir nun überlegt, wie man die Studierenden möglichst gezielt und damit für beide Seiten effizient betreuen kann. Ich halte das nicht für die optimale Lösung, aber für eine, die mir unter den gegebenen Umständen zumindest sinnvoll erscheint. Da ich davon ausgehe, dass wir nicht die einzigen mit diesem Problem sind, habe ich die für die Online-Betreuung zusammengestellten Unterlagen frei zugänglich gemacht:

Link direkt zu den Unterlagen der Online-Betreuung

Von außen nicht zugänglich sind natürlich die Gruppen, in denen die Studierenden eines Jahrgangs, die bei uns ihre Bachelorarbeiten schreiben, austauschen können. Ebenfalls auf diese Studierenden beschränkt sind automatische Erinnerungen an spezielle Unterlagen zu bestimmten Zeitpunkten: Die Studierenden sollen nicht nur EINMAL alle Unterlagen ansehen (und wieder vergessen, bis sie relevant werden), sondern gezielt an „neuralgischen“ Stellen der Bachelorarbeitsphase noch einmal darauf zurückgreifen.

Wenn jemand die Unterlagen nutzt (oder auch anpasst) und damit Erfahrungen macht, freue ich mich natürlich über Rückmeldungen!

Neuer Studientext zum Didaktischen Design

Seit mehreren Jahren mache ich einen Studientext zum Didaktischen Design öffentlich zugänglich, den ich nun (nach einer eher kleineren Aktualisierung im letzten Jahr) komplett überarbeitet habe. Ich setze den Studientext in einer Einführungsvorlesung ein, in welcher ich dann vor allem Beispiele bringe und versuche, mit den Studierenden auch ins Gespräch zu kommen.

Der neue Studientext (2012) ist über unsere Web-Seite (unter: Offene Bildungsressourcen) hier verfügbar. Ich freue mich natürlich auch über Kommentare, falls jemand mit dem Text arbeitet und eigene Erfahrungen damit sammelt.

 

Die Diskussion abgewürgt?

Bereits letztes Jahr (2011) hat Wolfgang Einsiedler einen Sammelband mit dem Titel „Unterrichtsentwicklung und Didaktische Entwicklungsforschung“ herausgegeben. Endlich habe ich die schon seit einiger Zeit geplante Rezension zu dem Buch geschrieben, das mich natürlich allein schon wegen der „Entwicklungsforschung“ im Titel sehr interessiert hat (auch wenn der Fokus allein auf der Schule liegt und eine Ausweitung auf Hochschule, Weiterbildung etc. für das Thema Entwicklungsforschung natürlich noch einmal interessanter gewesen wäre).

Die Lektüre war auf jeden Fall ein Gewinn, auch wenn ich speziell in punkto Entwicklungsforschung eher zu einem kritischen abschließenden Urteil komme:

Rezension_Einsiedler(Hrsg)Mai 2012

Böse Werkzeuge

Sowohl auf Spiegel online (hier) als auch im duz-magazin (hier) ist seit kurzem ein Beitrag von Armin Himmelrath zur „Streitkultur in der Wissenschaft“ zu lesen. Die dort zitierten Wissenschaftler sind sich uneins, ob fruchtbare Kontroversen um die Sache nach wie vor in der Wissenschaft stattfinden oder sich langsam auflösen – unter anderem aufgrund von Angst vor Nachteilen für die eigene Wissenschaftlerkarriere. Am Ende des Beitrags kommen auch Blogs zur Sprache – mit der typischen eher ablehnenden Haltung (von einzelnen Ausnahmen einmal abgesehen). Da kommen dann Hinweise wie „erst nachdenken, dann schreiben“, als würde man beim Bloggen das Hirn ausschalten. Oder: Für den „intellektuellen Funkenflug“ brauche mal reale Räume – na ja, also so viele intellektuelle Funkenflüge habe ich jetzt auf Tagungen oder anderen Anlässen der realen Zusammenkunft auch noch nicht erlebt. Interessant ist auch die Aussage „Blogs und Mails wirken als Beschleuniger“, bei der das Verfassen von Mails und das Bloggen gleich mal zu EINER Gruppe böser Werkzeuge deklariert werden – wohl weil man zu beidem einen Computer braucht. Und wenn ich lese, „der Wettstreit zwischen Argumenten sei online nicht zu ersetzen“, dann wundere ich mich schon ein bisschen über die weltfremde Haltung gegenüber dem technologischen Wandel, der längst alle Lebensbereiche erreicht hat – nur eben manche Professoren-Büros nicht. Aber vielleicht ist das Plädoyer für „menschliche Nähe“ (versus unmenschliche Cyber-Profs) auch einfach nur eine (nach wie vor wirksame) Taktik, um sich die Anforderung nach mehr Transparenz und öffentlicher Kommunikation vom Hals zu halten.

Zum Thema „Öffentlichkeit und Wissenschaft“ möchte ich bei der Gelegenheit auf einen Beitrag von Julia Russau verweisen, die sich mit dem Thema im Zusammenhang mit „sozialer Arbeit“ widmet (hier).

Tablets, Apps und das Internet der Dinge

Gestern fand an der Universität Trier der der „E-Learning-Tag Rheinland-Pfalz“ unter dem Motto „vernetzt – kompetent – mobil“ statt. Hier das Programm. Ich war eingeladen, den Eröffnungsvortrag zu halten. Auf der Veranstaltung selbst konnte ich leider nur bis Mittag sein. Nach mir hat Stefan Aufenanger einen Vortrag zur „Zukunft des E-Learning in Hochschulen“ gehalten und sich über dabei über „Humboldts virtuelle Erben“ Gedanken gemacht. Zum Ende der Veranstaltung war Dirk von Gehlen von der SZ angekündigt. Diesen Vortrag hätte ich gerne gehört (wurde aber wohl aufgezeichnet), aber leider ist Trier von uns aus ja richtig blöd mit dem Zug zu erreichen – das ist fast eine Tagesreise.

Ob ich mit meinem Vortrag wirklich so richtig verstanden worden bin, kann ich ganz schlecht einschätzen. Das Publikum umfasste Personen mit tiefen Kenntnissen auch in der Hochschildidaktik und andere, die sich auf diesem Sektor engagieren, ohne dass sie wahrscheinlich die Diskussionen in der Fach-Community unbedingt kennen. Vor diesem Hintergrund finde ich es immer sehr schwer, das richtige Abstraktions-, Neuigkeits- auch Kritikniveau zu finden. Na ja, vielleicht mag noch jemand nachlesen, daher an dieser Stelle das Manuskript meines Vortrags mit dem Titel „Tablets, Apps und das Internet der Dinge – Der weite Weg von der technischen Invention zur didaktischen Innovation“.

Vortrag_Trier_Mai_2012

Brauchen wir ABBs (Allgemeine Bildungsbedingungen)?

Bei der Reflexion meiner eigenen Lehre und beim Austausch mit anderen Lehrenden ist das Thema „Feedback geben und was die Studierenden damit eigentlich machen“ immer wieder präsent. Bei mir selbst beobachte ich eine mit den Jahren steigende Intensität der Rückmeldung (im Hinblick auf Umfang und Tiefe), die mich natürlich zeitlich ziemlich in Anspruch nimmt. An sich könnte man ja meinen, dass man im Laufe der Jahre eher etwas „laxer“ (man könnte auch freundlicher sagen „gelassener“?) wird. Warum ich da zum Gegenteil tendiere, kann ich mir selbst nicht so recht erklären. Vielleicht weil es mich ärgert, wenn nach einer Lehrveranstaltung die Ergebnisse nicht so gut sind? Weil ich dann gewissermaßen die letzte Chance eines Feedbacks nochmal nutzen will (damit nicht alles umsonst war)? Ich weiß es nicht … Wenn denn die ausführlichen und aufwendigen Rückmeldungen dazu führen, dass Studierende etwas lernen und über die Zeit tatsächlich besser werden, „lohnt“ es sich, es macht dann auch Spaß – das ist gut investierte Zeit (und das trifft so schätzungsweise auf 10, im besten Fall mal 20 Prozent der Studierenden zu). Wenn aber einerseits von Studierenden zu wenig Rückmeldung beklagt wird und andererseits keine Anstrengungsbereitschaft da ist, diese auch zu nutzen, dann wird es schwierig bis frustrierend.

Vielleicht – und das ist jetzt ein durchaus ernst gemeinter Vorschlag – sollte man so etwas wie AGBs für den Bildungsbereich einführen: quasi ABBs (Allgemeine Bildungsbedingungen). Das heißt: Wenn ich als Lernender Rückmeldung nicht nur in Form einer Note, sondern mit umfangreichen Erläuterungen (Erklärungen von Bewertungen und Verbesserungshinweise) erhalte, dann bin ich auch verpflichtet, diese zu lesen, nachzuvollziehen und für Verbesserungen zu nutzen, oder auch nachzufragen, wenn ich die Rückmeldungen nicht verstanden habe. Mit Abgabe einer Leistung plus Feedback kreuze ich dann an, ob ich mit den ABBs einverstanden bin. Wenn nicht, gibt es auch kein Feedback bzw. nur eines in Form einer Note (wenn man denn unbedingt eine solche vergeben muss; den Wert von Noten jedenfalls sehe ich ohnehin zunehmend skeptischer – aber das ist ein anderes Thema … über das ich erfreulicherweise auch auf der nächsten GMW in Wien berichten darf).

 

Sprachliche Fehlleistungen als Kavaliersdelikt

Es liegen mal wieder mehrere Tage hinter mir, an denen ich einen Stapel Hausarbeiten gelesen, kommentiert und bewertet habe. Ich gebe es zu: Diese Tätigkeit frustriert mich. Sie frustriert mich, weil keinesfalls alle, aber viel zu viele dieser Arbeiten auch im zweiten Studienjahr nicht den Standards entsprechen, die man erwarten würde oder – noch schlimmer – auf die man meint, durchaus hingearbeitet zu haben. Was mir dabei besonders auffällt und was ich an dieser Stelle mal thematisieren möchte, ist die grundlegende Sprachkompetenz. Damit meine ich die Kompetenz, erstens einen Gedanken mittels Sprache so zu formulieren, dass der Gedanke auch tatsächlich wiedergegeben wird, dass der so formulierte Gedanke zweitens für einen Leser nachvollziehbar bzw. verständlich ist, dass die gewählte Formulierung drittens grammatikalisch korrekt und viertens ohne Komma- und Rechtschreibfehler ist. Fangen wir von hinten an: Rechtschreibfehler sind dank Rechtschreibhilfen in allen gängigen Textverarbeitungsprogrammen an sich gar nicht so das Problem – mit Ausnahme vielleicht der Klein- und Großschreibung. Kommafehler sind der reine Wahnsinn. Es geht hier nicht um die Feinheiten – wirklich nicht. Vielmehr werden Kommata nahezu flächendeckend derart wahllos gesetzt, dass daraus bereits Verständnisprobleme resultieren und man sich fast wünschen würde, die Autoren würden Kommata besser gleich ganz weglassen. Grammatikfehler sind ebenfalls häufig: Ganz oben rangieren unvollständige Haupt- wie auch Nebensätze. Nicht im eigentlichen Sinne fehlerhaft, aber extrem hinderlich für das Verstehen sind Passivkonstruktionen, Nominalisierungen und verschachtelte Sätze. Aber all das ist gar nicht das Schlimmste. Für mein Sprachempfinden viel schlimmer ist es, wenn die Sätze semantisch mitunter gar keinen Sinn ergeben, wenn ich sie gar nicht verstehe, sondern nur ahne, was sie aussagen sollen. Wie das zustande kommt? Meine These ist, dass folgende Faktoren eine zentrale Rolle spielen: oberflächliches Lesen wissenschaftlicher Literatur; nur ungefähres Verstehen dessen, was man gelesen hat; der fest verwurzelte Glaube, dass einfache und klare Sätze unwissenschaftlich sind, gepaart mit der Überzeugung, dass die oben genannten grammatikalischen Fehlleistungen (Passivkonstruktionen, Nominalisierungen, verschachtelte Sätze, unnötige Fremdwörter) zum guten wissenschaftlichen Ton gehören. Es ist naheliegend, dass Defizite auf der Sprachebene auf der nächst höheren Ebene etwa der Argumentation eine Fortsetzung finden: Es ist kaum möglich, eine konsistente Argumentation aufzubauen, wenn man schon Probleme hat, einen Gedanken in einen klaren Satz zu packen.

Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht etwas überheblich. Ich gestehe auch, dass bei so mancher Lektüre der Zorn in mir aufsteigt und irgendein Ventil her muss, wenn ich einen ganzen Tag oder mehrere Tage damit verbracht habe, Rechtschreib- und Kommafehler, Grammatikfehler und unverständliche Sätze, Absätze und ganze Abschnitte zu markieren und zu erläutern – mit dem Wissen, dass nur wenige diese Hinweise, die mich viele, viele Stunden kosten, auch nutzen werden (aber einige halt schon, weswegen ich es immer wieder tue). Aber mal jenseits der Überheblichkeit und des Zorns: Das ist doch wirklich ein Problem, oder? Was mir hier unter anderem fehlt, ist das Problembewusstsein. Bisweilen habe ich den Eindruck, sprachliche Defizite gelten als eine Art Kavaliersdelikt – also als legitimer Regelverstoß, der nicht nur akzeptiert, sondern in gewisser Weise sogar befürwortet wird: Besser man nutzt die Zeit für was Wichtigeres! Was kann man tun? Schreibwerkstätten einrichten? Viele Maßnahmen zum „wissenschaftlichen Schreiben“ beschäftigen sich eher mit der Zitierweise, mit dem Aufbau von Texten, auch mit emotionalen Problemen wie Schreibblockaden etc. Das ist alles wichtig und richtig so. Aber wenn es ein noch viel grundsätzlicheres Problem gibt – nämlich das, welches ich hier versuche, kurz zu beschreiben? Wie kann man das beheben? Wie kann man überhaupt erst mal das Bewusstsein dafür schaffen und zu einer Haltung gelangen, dass es NICHT egal oder sekundär ist, wenn man sprachliche Defizite hat? Ich würde ja gerne helfen, aber wie in anderen Kontexten auch, bedarf es dazu erst einmal der Einsicht, dass es sich hier um ein relevantes Problem handelt!