Keine Zwangsmaßnahmen

Und schon ist Oktober – ein neues Studienjahr beginnt und eine neue Runde unseres Doktorandenkolloquiums, das mir in den vielen Jahren besonders ans Herz gewachsen ist (ich bekomme diese Veranstaltung übrigens nicht mal im Lehrdeputat angerechnet). Der erste Termin war dem Thema Fallstudien gewidmet und stellte ein konkretes Beispiel, nämlich das Fallstudiennetzwerk Enterprise 2.0,  in den Mittelpunkt. Das Gute dabei: Wir hatten die „Macher“ als Gäste dabei. Auf unserer Kolloquiumswebseite findet sich ein kurzes Resümee zur Veranstaltung (hier).

Meine persönliche Hoffnung ist, dass man sich mit der Umsetzung der Bologna-Idee für ein „Strukturiertes Doktorandenstudium“ an möglichst vielen Unis Zeit lässt. Warum? Weil ich es SEHR schätze, meine Doktoranden in dieser Phase inhalts- und personenangemessen begleiten und mit frei gestaltbaren Veranstaltungen unterstützen zu können – und zwar so, wie ich es für richtig halte. Auch da Vorgaben, Credit Points und Zwangsmaßnahmen umsetzen zu müssen, das würde mir wahrscheinlich die bisherigen Freude an der Doktorandenbetreuung verderben. Natürlich weiß und sehe ich, dass es leider auch ganz viele Doktoranden gibt, die schlecht betreut werden und die würden von mehr Vorgaben wahrscheinlich profitieren. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Fakultäten im Falle von Bologna-Vorgaben zum Promotionsstudium selbst entscheiden können, wie sie das handhaben. Dann nämlich könnte man berücksichtigen, ob das Engagement einzelner Wissenschaftler ausreicht oder ob man Vorgaben braucht.

Blogs – bloß nicht in Unternehmen?

Dass es mit Weblogs in Unternehmen nicht immer ganz einfach ist, vor allem, wenn man den Bloggern Autonomie zugestehen will, dürfte allgemein bekannt sein. Trotzdem bewirbt man diese Web 2.0-Anwendung gern als mögliches Wissensmanagement-Instrument. Karsten Ehms hat sich in mehrjähriger Arbeit den Spekulationen um die Möglichkeiten und Grenzen von Blogs in Unternehmen empirisch, aber auch theoretisch gewidmet und Ende des Jahres 2009 seine Dissertation dazu abgeschlossen. Nun endlich ist sie auch online zugänglich, nämlich hier.

Ich freue mich sehr darüber, dass diese Arbeit positiv abgeschlossenen werden konnte. Berufsbegleitende Promotionen sind keine einfache Sache; inzwischen ist mir klar, dass das viele auch unterschätzen. Da braucht man schon Durchhaltevermögen – Karsten hat es bewiesen. Herzlichen Glückwunsch Dr. Ehms! 🙂

Hellseher gesucht

Vor kurzem habe ich an einer Expertenumfrage teilgenommen, bei der man zwar nicht hellsehen, aber doch irgendwie in die Zukunft schauen und seine Einschätzung abgeben muss, wie sich eine bestimmte Technologie bis zu einem bestimmten Jahr in einem bestimmten Bereich entwickeln wird. Gut ist ja schon mal, dass es dabei schon lange nicht mehr digitale Technologien an sich geht, sondern dass verschiedene Technologiegruppen unterschieden werden. Auch werden die Bereiche eingegrenzt: z.B. Schulen, Hochschule, Unternehmen.

Trotzdem: Mir ist da nie wohl dabei. Erstens ist auch die genannte Differenzierung immer noch viel zu grob. Kann man z.B. Mittelstandsfirmen mit großen Konzernen in einen Topf werfen, eigentümergeführte Betriebe mit AGs vergleichen? An den Hochschulen wissen wir, wie groß die Unterschiede zwischen den Disziplinen sind sowohl in Bezug auf die Lehre als auch in Bezug auf die Forschung – ist es sinnvoll, das in einem Atemzug zu behandeln bzw. zu bewerten? Zweitens mischen sich bei Antworten innerhalb von Umfragen ja doch immer wahrscheinliche und erwünschte Szenarien. Wenn ich mich da selbst beobachte, merke ich, dass ich das beim Antworten nicht immer ganz auseinanderhalte – ja vielleicht auch gar nicht auseinanderhalten will, denn: Wenn etwas zwar unwahrscheinlich, aber immerhin wünschenswert ist, können ja die Wünsche einer kritischen Masse von Experten auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen oder? Meinungen konstruieren Wirklichkeit zumindest mit. Drittens frage ich mich, was das eigentlich bringt: Ist das verkappte Marktforschung, damit zur rechten Zeit die rechten Produkte platziert werden? Oder glaubt jemand im Ernst, dass anhand solcher Ergebnisse Curricula umgeschrieben und Lehrende fortgebildet werden?

Meine Skepsis gegenüber diesen Studien nimmt auch den „Horizon Report“ nicht aus, der – einige Blogger haben bereits darauf verweisen – auch in deutscher Sprache vorliegt (kann man hier abrufen). Positiv ist, dass der Report am Ende eine recht genaue Beschreibung des Vorgehens liefert, also zumindest Transparenz schafft, wie die Ergebnisse zustande kommen. Die Resultate dieses Berichts wirken nicht eben sonderlich überraschend: Open Content und mobile Rechnernutzung – so die Vorhersage – werden sich kurzfristig in Lehre und Forschung durchsetzen. Elektronische Bücher und einfache Formen der „augmented reality“ (will heißen: Verschmelzung digitaler und realer Aktivitäten) werden mittelfristig wichtiger werden, und die visuelle Datenanalyse sowie gestenbasiertes Computing (im Unterhaltungsbereich bereits existent) stehen am langfristigen Zeithorizont. Mal ungeachtet davon, dass es meines Wissens schon eine ganze Reihe von Forschern gibt, die mit der visuellen Datenanalyse in Forschung und Lehre arbeiten, kann ich mir eher nicht vorstellen, dass sich Hochschulen in zwei bis drei Jahren (das gilt heute schon als langfristig) mit spielkonsolenähnlichen Geräten ausstatten werden. Vielleicht sollten wir uns manchmal mehr um die Gegenwart und darum kümmern, wie wir die aktuellen Probleme lösen könnten.

Wo viel Rauch ist, wird wohl auch viel Feuer sein

Vor ca. drei Monaten hat Werner Sesink im Rahmen der Vortragsreihe des Forums offene Wissenschaft an der Universität Bielefeld einen Vortrag gehalten mit dem Titel „Wissenschaft für die Gesellschaft? Exzellenzinitiativen, Elitehochschulen, Rankings: Wie verändern sie den Wissenschaftsbetrieb?“ Ich habe die Schriftfassung bekommen und auf meine Bitte hin hat Werner Sesink nun hier den Text online zugänglich gemacht (inklusive Präsentation, nämlich hier). In seinem Vortrag greift er die Rhetorik des Leistungssports auf, mit der man die Hochschulen nun schon seit längerem heimsucht (schneller, höher, weiter), und versucht nachzuweisen, dass es sich dabei keineswegs nur mehr um Metaphorik, sondern um die Schaffung einer neuen Wirklichkeit handelt, die mit dem ökonomischen Konkurrenzprinzip unserer Gesellschaft konform geht. Zudem setzt er sich mit der Frage der gesellschaftlichen Legitimation von Wissenschaft auseinander und zieht doch in Zweifel, ob das an vielen Orten zu beobachtende Marketing-Gehabe (auch hier könnte man meinen, dass Fanclubs diverser Fußballvereine Pate gestanden haben) hierzu ein universitätsangemessener Weg ist. Gesellschaftliche Legitimation und Verantwortung sehen für Werner Sesink anders aus und laufen in hohem Maße über die Lehre – die man nun allerdings ebenfalls nur via Wettbewerbe ankurbeln will (in der Annahme, dass auch hier Rankings einen öffentlichkeitswirksamen Legitimationseffekt erzielen) .

Jedem, der sich (gewollt oder ungewollt) mit der Ökonomisierung unserer Hochschul- bzw. Bildungslandschaft auseinandersetzt, kann ich den Text nur empfehlen. Anschaulich stellt er die Schwierigkeit der Quantifizierung wissenschaftlicher Leistungen dar, die nun einmal in ihrer Komplexität nicht so leicht zu erfassen sind, wie die „Güte“ eines Schnellaufs, die sich per definitionem eben an der Geschwindigkeit tatsächlich messen lässt. (Die Verselbständigung der Messmetapher – das nur als Nebenbemerkung – ist allerdings auch innerhalb des Wissenschafts- bzw. Forschungsbetriebs in unseren Fächern eines der Hauptprobleme .) Die Analogie zum Sport lässt sich noch ausbauen, wenn man das Doping dazu nimmt – wofür Sesink ein weitere Bild bringt, das zum Abschluss nochmal das Leseinteresse anstoßen soll. Das Bild bezieht sich auf die mitunter absurde Situation, die eintritt, wenn sich eine Universität, eine Fakultät oder ein Studiengang um einen „Bundesliga-Platz“ bemüht:

„Wo Rauch ist, so heißt es, muss auch Feuer sein! Und wo viel Rauch ist, wird wohl auch viel Feuer sein. Aber der Indikator ist nur solange als Spur von etwas zu lesen, als er nicht absichtlich erzeugt wird; denn dann zeugt er nur noch von der Absicht, eine Spur zu legen. Wenn ich weiß, dass da hinter den Bergen irgendwo die Ranking-Spezialisten Ausschau halten nach den Rauchzeichen, die ihnen anzeigen, dass das für sie unsichtbare Feuer der Forschung brennt, und wenn ich weiß, dass es für die Rauchzeichen Geld oder Stellen oder sonstwas gibt, das angeblich das Feuer der Forschung weiter schüren soll, dann werde ich – in Entbehrung des Feuers – schon meine Mittel und Wege finden, um ordentlich Rauchzeichen zu erzeugen und die Mittel in meine Rauchzeichen- Erzeugungseinrichtung zu lenken – um so weiterhin den Ranking-Spezialisten zu bestätigen, dass die Mittel an die richtige Adresse gelangt sind. Feuer wurde zwar keins entfacht; aber eine Inflation an Rauchzeichen.“

Freiheitsbeschneidend und zeitmangelgesteuert

„Vor jeder Hochschulreform und damit vor jeder Studienreform liegt ein reformbedürftiges wissenschaftliches Selbstverständnis, das den Keim zu den Fehlern bereits enthielt und enthält, welche die heutigen Studierenden und der heutige akademische Nachwuchs ausbaden müssen. Und über sie letztlich die gesamte Gesellschaft, wir alle.“ – so schreibt Peter Finke, ehemals Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Bielefeld (und 2006 aus Protest gegen die unzumutbaren Folgen der Bologna-Reform freiwillig vor der Pensionsgrenze aus dem regulären Dienst ausgeschieden), in der Zeitschrift Forschung und Lehre. Der Artikel ist auch online (nämlich hier) zu lesen und ich finde das lohnt sich!

Ausgangspunkt von Finkes Argumentation ist die Beobachtung, dass Wissenschaftler vorzugsweise in Eintracht mit jeweils vorherrschenden Paradigmen denken und handeln und damit politischen Prozessen implizit das Wort reden. Paradigmen werden, so Finke, zu einer Art Glaubensgemeinschaft; er schreibt: „Wissenssoziologische Untersuchungen zeigen, dass sehr viele, vielleicht die meisten Wissenschaftler der Überzeugung sind, dass Wissenschaft nur so funktionieren kann: als Glaubensgemeinschaft auf Zeit. … Die Tatsache, dass eine beständige Suche nach der Wahrheit zwar anstrengend, aber durchaus möglich und jener Glaube nur ein Glaube an Hypothesenzusammenhänge ist und keineswegs ein hinreichendes Wahrheitsindiz, wird durch die beruhigende Geborgenheit in der Gemeinde, die Überzeugung, wahrscheinlich der richtigen Glaubensgemeinschaft anzugehören und deren Schüler fördern zu dürfen, ersetzt, übertönt, fast unmerklich relativiert.“ Die Belohnungen würden ja auch reichlich sein: einflussreiche Lehrstühle, hohe Mitarbeiterzahlen, häufiges Zitiertwerden und anderen Insignien der paradigmatischen Macht. Und genau dies habe nichts mit der eigentlichen Idee von Wissenschaft nichts zu tun, sei aber Ausdruck ihrer heutigen Organisationsform und passe letztlich in die „freiheitsbeschneidenden und zeitmangelgesteuerten Universitäten des Bologna-Typs, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktnähe suchen müssen“.

Ich kann Finkes Verdacht, dass die Bologna-Reform in ihrer aktuellen Umsetzung nicht nur bildungsfeindlich ist, sondern es sein soll, gut nachvollziehen. Neben einem Überblick über ein Fach und deren Erkenntnisse auch Kritikfähigkeit, Zusammenhangswissen und methodisches Können zum eigenen wissenschaftlichen Denken und Handeln zu entwickeln, ist ökonomisch gesehen (wenn es um Bildungsangebote für viele geht) nicht nur ineffizient, sondern oft gefährlich, denn – so Finke, „es erzeugt die Wissbegier nach dem Blick hinter die Kulissen“. Wenn man es als Lehrender doch versucht, dann wirkt es wie ein Fremdkörper, dann irritiert das die Studierenden, die schon darauf konditioniert sind, das zu wollen, was bildungspolitisch und arbeitsmarktpolitisch vorgebetet wird … dann verlangen die Studierenden die Rückkehr zur Vorgabe prüfungs- und vor allem auch praxisrelevanter Inhalte in leicht erlernbarer Form (eine Art „Convenience objects“) – dazu aber ein demnächst mehr.

Immerhin klingt der letzte Abschnitt von Finkes Beitrag zumindest ein wenig tröstlich: „Das Wissenschaftsproblem vertieft und erschwert eine gute Lösung des Studienproblems, aber es macht sie nicht unmöglich. Im Gegenteil: Wenn wir uns der Tatsache bewusst werden, dass es zuvörderst gilt, unser verkorkstes Wissenschaftsverständnis wieder aus dem Machtraum in den Wahrheitsraum zu stellen, alles daran zu setzen, die Wissenschaft wieder aus der ´Machenschaft´ (Hans-Peter Dürr) herauszupräparieren, die wir aus ihr gemacht haben, dann bereiten wir eine tragfähigere Basis für die darauf fußende Bildung und Ausbildung vor.“ Also, ich finde, da hat er wirklich Recht!

Versunken – aber nicht im Schnee

Ein Blick in meinen Blog zeigt mir, dass da seit Tagen Ruhe herrscht – weihnachtliche Ruhe? Eher nicht. Und im Schnee bin ich auch nicht versunken, obschon es heute Morgen bei uns (südlich von München) durchaus möglich wäre. Versunken bin ich allenfalls zwischen vielen vollgeschriebenen Seiten, die ich zu lesen und zu begutachten habe. Gleich zwei Dissertationen quasi unterm Weihnachtsbaum – des einen Freud, des anderen Leid. Oder doch nicht? Nein, eher nicht, denn natürlich freut man sich auch als Betreuer und Gutachter, wenn nach mehreren Jahren eine Dissertation abgegeben wird, wenn man das Ergebnis eines längeren Betreuungsprozesses, vieler Kolloquien, Gespräche, Feedbacks etc. vor sich hat, wenn man die Fortschritte sieht, die Erreichung eines Ziels, das am Anfang noch so weit weg erscheint. Wenn man dann auch mit dem Ergebnis zufrieden ist, ist das auch für den Betreuer/Gutachter ein schönes Ereignis (trotz der vor einem liegenden Arbeit). Es funktioniert allerdings nicht immer: Auch bei mir gibt es „gescheiterte Arbeiten“, also Dissertationen, die mit großen Erfolgsaussichten starteten und dann eingestellt wurden, oder solche, bei denen von Anfang an Skepsis da war z.B. aufgrund zu vieler Verpflichtungen und „Baustellen“. Auch was die Zeitdauer betrifft, gibt es große Unterschiede: Schnelle und solche, die sich dann doch (aus verschiedensten Gründen) mehr Zeit lassen (müssen oder wollen).

Noch vor Weihnachten jedenfalls werden die beiden oben erwähnten Arbeiten begutachtet sein – Zeit für ein kleines Resümee? Anbei mal die Liste der Dissertationen, die ich in meiner Augsburger Zeit bis Ende 2009 betreut und begutachtet habe (nur Erstgutachten):

Forschungswerkstatt ohne mich

Ja, also geärgert habe ich mich nun schon genug, dass die Forschungswerkstatt, die ich zusammen mit Peter Baumgartner geplant hatte, am vergangenen Wochenende (wegen Krankheit) in Wien ohne mich stattfinden musste (hier die Ankündigung). Dabei wäre es doch MEIN Thema gewesen – das heißt, es hat die Frage nach verschiedenen Wegen der Erkenntnis in den Bildungswissenschaften zum Gegenstand gehabt. Und dieses Thema treibt mich ja schon länger nicht nur aufgrund abgelehnter Forschungsanträge um ;-), sondern auch, weil es unser tägliches Tun (neben der Lehre) unmittelbar berührt.

Die Forschungswerkstatt richtet sich vor allem an die Doktoranden im Umkreis an Peter. Doch seine Grundidee ist die, jede Forschungswerkstatt mit einem Partner zu machen (vor einiger Zeit war das Christian Kohls zu „Pattern-Theorien“) und die Zielgruppe dann auch für andere zu öffnen – u. a. für die, die dann eher aus dem Umkreis eben des Workshop-Partners kommen. Das war auch diesmal so:

Mandy, Silvia, Tamara und Tobias (nicht mehr, aber früher Augsburg) bildeten diesen Kreis. Das Thema war schwierig für eine Forschungswerkstatt, das habe ich schon bei der Vorbereitung gemerkt: Sobald man auf eine Metaebene der Diskussion kommt, kann das Interesse der Teilnehmer schnell schwinden, denn leider ist die Einstellung verbreitet, dass dieses Thema (Was ist wissenschaftlich? Was ist empirisch? Wie kommt man zu Erkenntnis und wie nicht? Etc.) zu abstrakt sei und mit dem täglichen Tun nicht viel zu tun habe. Ich denke, das ist ein großer Irrtum: Es ist die Hintergrundfolie, vor der wir arbeiten, unsere Projekte planen, Anträge schreiben und andere bewerten. Auf dieser Hintergrundfolie finden sich zahlreiche Prämissen, die manchmal viel Konsens haben, oft genug aber unreflektiert übernommen und dann als „Wahrheit“ abgespeichert und nicht mehr in Frage gestellt werden. Ein solches Vorgehen mag in Kontexten wir dem Straßenverkehr durchaus funktional sein. In Kontexten wie der Wissenschaft aber ist das ein Risiko, weil Ideologien entstehen, denen Wissenschaft ja genau etwas Tragfähiges entgegensetzen sollte.

Die ersten Reaktionen auf die Forschungswerkstatt (z.B. hier und hier) kommen zu einer positiven Gesamtbilanz: Ertragreich scheint vor allem der gegenseitige Austausch zu sein. Die eben angesprochene Metadiskussion aber war wohl doch nicht so einfach anzukurbeln – keine Ahnung, ob es mir gelungen wäre. Ich hoffe nun, es gibt Gelegenheiten, dieses Thema anderweitig mit Nachwuchswissenschaftlern weiter zu verfolgen. An der Stelle aber noch einmal einen großen Dank an Peter, dass er es alleine durchgezogen hat!

Freizeit und Beruf oder: Warum man Unternehmer, Wissenschaftler oder Künstler werden sollte

Psychologie in Beruf und Praxis (PBP) – so lautet der Name eines Vereins, der 2007 an der LMU München von Studierenden gegründet wurde. Auf der Web-Seite heißt es: „Die Veranstaltungen von PBP sollen zum festen Bestandteil des Psychologiestudiums an der Ludwig-Maximilians-Universität werden. Die Studenten lernen so bereits früh im Studium die vielfältigen Anwendungsbereiche der Psychologie kennen und treten in Dialog mit erfahrenen Psychologen aus der Praxis. So entstehen Netzwerke zwischen Studenten, erfahrenen Praktikern und Dozenten, von denen alle Beteiligten profitieren.“

Heute nun fand der dritte Berufsinformationskongress des Vereins statt. Ich war als Referentin eingeladen. Einen genauen Überblick über die Zahl der Referenten hatte ich nicht, aber entsprechend des Übersichtsplans schätze ich mal, dass es an die 40 waren, die in Paralleltracks über ihren persönlichen Werdegang, ihre tägliche Arbeitstätigkeit, ihre Motivation und Herausforderung berichteten sowie Interessenten Tipps und Hinweise etwa zu Arbeitsmarktlage geben sollten – so jedenfalls lauteten in etwa die Instruktionen.

Wenn ich irgendwelche Formulare ausfülle, stolpere ich oft über die Zeile “Beruf“: Was schreibt man da rein? Hochschullehrer? Wissenschaftler? Und wie wird man das? Das musst ich mich bei der Vorbereitung auf den Vortrag selbst erst mal fragen, zumal da ich im Rückblick erstaunlich wenig geplant hatte. Mein Werdegang ist nicht sonderlich spektakulär, also verwendete ich mehr Zeit darauf zu beschreiben, was man denn eigentlich so macht, wenn man Lehre praktiziert, Forschungsprojekte durchführt, publiziert und sich durch das bürokratische Dickicht der Verwaltung schlägt. Welche Empfehlungen also soll man jemandem geben, der eine wissenschaftliche Karriere anstrebt? Das war wohl am schwersten. Meine vier Kernempfehlungen lauteten in etwa so:

  • Versuchen Sie, immer auch zugleich was anderes werden zu wollen. Nicht nur meine persönliche Beobachtung, sondern auch verschiedene Studien zeigen, dass speziell in Deutschland die Planung einer wissenschaftlichen Karriere schwierig ist und zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich bringt. Es kann daher nicht schaden, sich immer auch noch etwas anderes vorstellen zu können, um sich mental nicht von einem einzigen Weg abhängig zu machen.
  • Suchen Sie früh den Kontakt zum wissenschaftlichen Personal während des Studiums. Werden sie studentische Hilfskräfte und engagiere Sie sich in Projekten, in denen Sie mit Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern zusammenarbeiten können. Engagieren Sie sich aber auch in Ihren Lehrveranstaltungen: Stellen Sie Fragen, denken Sie mit und zeigen Sie Ihr inhaltliches Interesse, statt es zu verstecken. Als Lehrender mit etwas Erfahrung erkennt man schnell die möglichen Nachwuchskräfte – aber nur, wenn sie sich sichtbar und hörbar machen.
  • Machen Sie sich gegen Ende des Studiums kundig, wie an der Universität, an der Sie weitermachen wollen, die Bedingungen für Promotionen wie auch für Habilitationen sind. Natürlich ist es die beste Möglichkeit, zu promovieren und zu habilitieren, wenn man an der Universität eine Stelle hat. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten: Stipendien z.B. oder der Versuch, diese Qualifikationen berufsbegleitend zu machen. Ich habe selbst mehrere Doktoranden, die diesen dritten Weg beschreiten, der allerdings mit Sicherheit der härteste ist.
  • Bleiben Sie sich selbst treu. Wie in anderen Berufen, so gibt es auch beim Beruf des Wissenschaftlers bzw. Hochschullehrers je nach Fachgebiet innerhalb der Psychologie und benachbarter Disziplinen mehr oder weniger enge Netzwerke, es gibt einen inhaltlichen und vor allem methodischen Mainstream und es gibt viele implizite Regeln. Auf der einen Seite müssen Sie versuchen, all dies kennenzulernen und auszuprobieren. Sie müssen eigene Erfahrungen machen und sich in so manches Spiel einfach hinein bewegen, um dabei zu sein. Auf der anderen Seite sollte Sie neben diesen für eine Karriere unabdingbaren Anpassungen nicht vergessen, warum Sie Wissenschaftler werden wollen, nämlich – hoffentlich – weil Sie von der Wissenschaft begeistert sind. Das aber, so meine ich, verpflichtet Sie auch dazu, eine eigene Position zu entwickeln und hinter dieser auch dann zu stehen, wenn sie gerade mal nicht in die Landschaft passt – auch wenn das mit Nachteilen verbunden ist.

Neben mir war im Track „Pädagogische Psychologie“ Jens Uwe Martens zu Gast, der bereits sein siebtes Lebensjahrzehnt begonnen hat, das man ihm nun wirklich überhaupt nicht ansieht. Er berichtete vom „Leben in der Selbständigkeit“, nämlich als Berater, Coach und Trainer. An manchen Stellen hatte er durchaus vergleichbare Empfehlungen und persönliche Folgerungen, z.B. was die Verknüpfung von Arbeit und Leben, gewisse Formen von Autonomie und die Flexibilität betrifft, die aber auch mit einem eher wenig planbaren Freizeitbudget gekoppelt ist. Letzteres beunruhigte einen der Zuhörer besonders, der mehrfach nachfragte, wie es denn mit der Chance aussähe, auch mal zwei Monate nichts zu machen. Das ginge nicht, meinte Martens, der diese Probleme dann aber auf eigene Art löst: „Ich wollte unbedingt mal nach Südafrika. Also habe ich das mit dem Besuch eines Kongresses verbunden, den man immerhin von der Steuer absetzen kann. Als ich dort war, war ich begeistert. Also habe ich mit zwei Südafrikanern eine Dependance meiner Firma in Südafrika gegründet – so habe ich die Freizeit mit Arbeit verbunden“. Da hat sich sogar die Miene des freizeitbesorgten Teilnehmers aufgehellt. Mein persönliches Fazit: Wer einigermaßen autonom sein und Spielraum für solche und andere kreative Problemlösungen haben will, werde Wissenschaftler, Unternehmer oder Künstler.

Vom Peer Review zur Umerziehung?

Ich weiß, dass man das an sich nicht macht. Ich mache es trotzdem – einen abgelehnten Forschungsantrag online stellen. Warum? Man kann es als Beitrag zum Wissensmanagement (allgemeine Infos hierzu z.B. hier) im Wissenschaftsbereich sehen: Neben „Best Practices“ können Fehlschläge ebenfalls einen Lerneffekt nicht nur für einen selbst, sondern auch für andere (Nachwuchs-)Wissenschaftler haben – also durchaus eine Form von Wissensteilung. Man kann es vielleicht auch als einen Aspekt von „öffentlicher Wissenschaft“ interpretieren, wie es Christian Spannagel vertritt. Vor allem aber möchte ich damit anregen, über ein Problem nachzudenken und zu diskutieren, das man ansonsten gerne in seiner privaten Schublade verstaut (weil man es halt AN SICH nicht öffentlich macht).

Aber zum Inhalt: Es handelt sich um einen Antrag, in dem wir unsere Erfahrungen und bisherigen praktischen Versuche wie auch theoretischen und empirischen Arbeiten zum Thema „Emotion und Lernen“ einerseits sowie „Assessment und Feedback“ andererseits heranziehen und darauf aufbauend eine Studie (im Feld) durchführen wollten. Maßgeblich an diesem Antrag beteiligt war Silvia Sippel (die mit diesem Blog-Beitrag einverstanden ist).

Ein (kürzeres) Gutachten bewertet den Antrag positiv, moniert aber die beantragten Ressourcen. Dies ist einsichtig und hätte bei einer Überarbeitung auch entsprechend geändert werden können. Auch andere Änderungsvorschläge hätten wir gerne berücksichtigt – unser Vorhaben ist/war sicher nicht frei von Mängeln. Ein zweites (langes) Gutachten dagegen kommt zu einem weitgehend vernichtenden Urteil. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bei einem Peer Review-Verfahren ist das nun einmal so und wenn man sich in dieses „Spiel“ begibt, hat man es zu akzeptieren, was selbstredend auch für mich/uns ist (Gedanken zum Thema in diesem Blog siehe auch hier, hier und hier). Allerdings bestärkt mich dieses (eigene) Beispiel mal wieder, dass es unter (sicher nicht allen, aber doch) bestimmten Bedingungen fruchtbar wäre, ein „open peer review“ durchzuführen. Ich würde zu diesen Bedingungen z.B. die Situation zählen, in der verschiedene methodische Auffassungen, letztlich auch erkenntnistheoretische Positionen aufeinanderprallen. Obschon wir bei diesem Antrag versucht haben, den Schwerpunkt auf einen quasi-experimentellen Vergleich zu legen, beinhaltet der Antrag doch auch entwicklungsorientierte Aspekte (wie ich sie z.B. hier und hier versucht habe, theoretisch zu begründen). Diese Richtung bedingt eine an mehreren Stellen andere Vorgehensweise als dies z.B. in der klassischen psychologischen oder pädagogisch-psychologischen Forschung favorisiert wird. Es wäre daher schon spannend gewesen, mehrere Meinungen auf diesen Antrag einzuholen und eine Chance zu haben, genau diese strittigen Punkte unter Peers (!) zu diskutieren. Nun gut, das Verfahren ist eben nicht so, aber man kann es ja immer wieder mal anregen, zumindest darüber nachzudenken, wo und wie man Peer Review-Verfahren auch anders gestalten bzw. Alternativen zur gängigen Praxis in unserer Disziplin ausprobieren könnte.

Kein Verständnis habe ich dagegen für einen speziellen Ablehnungsgrund, der auch im anschließenden Urteil (auf der Basis der Gutachten) formuliert wurde: Dieser Grund ist meine Publikationspraxis und die Feststellung, dass ich kaum in referierten Zeitschriften publiziert hätte, wobei gleich deutlich wird, dass hier ein recht enger Begriff von „Peer Review“ herangezogen wird (nämlich double blind reviews in fast ausschließlich englischsprachigen Journals). Unabhängig davon, dass man bereits darüber streiten kann, ob der Begriff des Peer Review in dieser Enge adäquat ist (zudem: ich mache viele Beiträge online zugänglich, sodass jeder, der es will, ein „Review“ durchführen kann), wundere ich mich schon: Habe ich ein persönliches Stipendium beantragt oder die Finanzierung eines Forschungsprojekts? Geht es um die Förderung meiner Person oder die einer Sache? Darf die Art der Publikationen (wohl gemerkt: nicht die Vorarbeiten, sondern der Ort deren Veröffentlichung) eines Antragstellers wirklich ein Kriterium für die Beurteilung der Qualität eines Forschungsantrags sein? Mir wird geraten, mich im Hinblick auf weitere Anträge diesbezüglich mehr zu engagieren. Gut gemeinter Tipp! Leider aber sind viele dieser Journals ja auch wieder so gestrickt, dass die meisten meiner Arbeiten darin eher keinen Platz finden. Ich müsste also meine Arbeit auf die Zeitschriftenpraxis abstimmen (als Wissenschaftler meint ja erst mal ganz naiv, es sollte umgekehrt sein). Was soll das werden? Ein Umerziehungsprogramm? Das macht mich schon ein bisschen nachdenklich und auch ratlos. Hier der Antrag:

Forschungsantrag

Müller-Böling auf Wahrheitssuche

„Zukunft jetzt – Wie wir leben, lernen, arbeiten“ – so heißt eine Reihe von SWR 2 Aula, die man auch online hier abrufen kann. Folge 8, auf die mich Sandra aufmerksam gemacht hat, dreht sich um die Universität. Es spricht Detlef Müller-Böling zum Thema „Autonom und forschungsintensiv – Die Universität der Zukunft“. 25 Minuten ca. dauert Müller-Bölings Zukunftsszenario der deutschen Universitäten und es gäbe eine ganze Reihe von Punkten, an denen man aus meiner Sicht viel und kontrovers diskutieren könnte. Wie zu erwarten, ist viel von Leistung, Exzellenz und Qualität die Rede. Aber auch das Wort Vielfalt hört man erstaunlich oft, als wolle man damit den kritischen Kommentaren gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln nehmen (nach dem Motto: Wenn Vielfalt herrsch, findet jeder Querulant schon irgendwo seinen Platz).

Aber ich möchte mich auf einen speziellen Aspekt konzentrieren, nämlich auf Müller-Bölings Postulat der Trennung von „Wissensproduktion“ – also von Forschung – auf der einen Seite und von „Wissensvermittlung“ – also von Lehre – auf der anderen Seite. Eine wie auch immer geartete Einheit von Forschung und Lehre ist für Müller Böling nichts als eine lästige Monstranz, die die ewig Gestrigen vor sich hertragen – blind für die moderne Welt, die nach Arbeitsteilung verlangt. Forschung und Lehre und dazu auch noch Prüfen – so sein Szenario – würden sich zunehmend voneinander trennen, bisherige Zusammenhänge, die hier bestehen, würden sich „auflösen“. Mit anderen Worten: Forschung in vielen Disziplinen gleichzeitig sei künftig wohl auf drei bis fünf Spitzenuniversitäten in Deutschland beschränkt. Ein bisschen Forschung in einzelnen Disziplinen sei an Hochschulen mit „Forschungsleuchttürmen“ möglich und dann gäbe es noch viele Hochschulen, die eine „regionale Versorgung mit Bildung“ sicherstellen sollten – ohne Forschung, versteht sich. Als Beispiel für die Sinnhaftigkeit einer solchen Trennung, bei der jede Hochschule dann das mache könne, was sie gut kann (oder umgekehrt, dass sie nicht mehr das machen müsse, was sie nicht kann), nennt Müller-Böling die Virtuelle Hochschule Bayern – als handle es sich dabei um eine eigene Hochschule und nicht um ein Verbundprojekt, das gänzlich andere Ziele verfolgt als eine normale Universität. Genauso deplatziert wie dieses Beispiel ist aus meiner Sicht der Vergleich reiner „Lehr-Hochschulen“ (wobei er diesen Begriff nicht nennt) mit dem Breitensport – als könne man nicht genau beim Sport wunderschön sehen, wie sich der Spitzensport vom Breitensport entkoppelt hat. Vielleicht hätte er diese Analogie besser mal zu Ende gedacht.

Damit man aber auf keine dummen Gedanken kommt und all diese ökonomisch höchst anschlussfähigen Formal-Forderungen in Zweifel zieht, ist das Schlusswort dann doch wieder recht pathetisch und scheinbar nah an den Vorstellungen derjenigen, die (noch) glauben, dass Forschung und Lehre sehr wohl zusammengehören. Er sagt: „Auch wenn die Universitäten im Detail sich grundlegend verändern, wenn sie anders aussehen in 20 Jahren als heute, …., so bleibt eines doch auf jeden Fall bestehen: Sie sind und sie werden bleiben Ort der Wahrheitssuche für Wissenschaftler und Ort der Ermutigung zur Wahrheitssuche für Studierende“. Wie das mit den vorangegangenen Forderungen zusammenpasst, ist mir ein Rätsel! Wer Universitäten haben will, die sich ausschließlich auf die Lehre konzentrieren, die „Kunden“ mit Bildungsware versorgen, und sich darauf beschränken, „Versorgungslücken“ zu füllen, der kann mir nicht erzählen, dass es ihm darum geht, Wahrheit suchende, fragende und aufgeklärte Menschen zu fördern.