Ratlose Experten in Sachen Blogs

Hans Brügelmann hat mich auf ein aktuelles Interview mit dem Wissenschaftssoziologen Peter Weingart in spektrumdirekt hingewiesen. Dabei geht es um die Glaubwürdigkeit und das Ansehen von Wissenschaft, die öffentliche Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Beziehung zwischen Medien bzw. Journalisten und Wissenschaftlern. Im Interview wird Weingart an einer Stelle auch nach der Bedeutung von Blogs in diesem Zusammenhang gefragt – eine Frage, auf die eher Ratlosigkeit folgt: Im ersten Anlauf wird die Frage gar nicht beantwortet, im zweiten meint Weingart: „Ob die Wissenschaftskommunikation in Zukunft mehr über Blogs laufen wird, hängt auch davon ab, wer die Öffentlichkeit solcher Blogs ist. Die meisten solcher Blogs werden wohl nicht von Leuten gesehen oder gelesen, die normalerweise in die Zeitung gucken oder auch im Internet Presseerzeugnisse studieren, will ich mal unterstellen.“ Das stimmt wohl, dass z.B. die Bild-Zeitung, FAZ und SZ sowie mehr oder weniger „private“ Blogs unterschiedliche Leserschaften haben. Dennoch erscheint mir diese Antwort ein bisschen zu einfach und eher ein Zeichen dafür zu sein, dass man sich damit noch nicht so recht auseinandersetzen mag. Immerhin wird die Äußerung EINZELNER Wissenschaftler in den klassischen Medien wie z.B. der ZEIT (die sich vor allem zu Bildungsthemen in den vergangenen Jahren aus meiner Sicht eher einseitig konservativ geäußert hat) stark in die Breite gestreut und verfestigt sich dann – wegen der ja hohen Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern – als DIE Wahrheit. Genau darum geht es auch in diesem Interviews. Blogs könnten hier sehr wohl die öffentliche Meinung prinzipiell bereichern, wie ich meine. Schade also, dass Weingart dem Thema ausweicht.

Keine Kreativität ohne Autonomie

Sandra hat mich im August auf einen interessanten Text von Margit Osterloh und Bruno Frey aufmerksam gemacht, der bereits vor ein paar Jahren veröffentlicht worden ist (hier das pdf). Unter dem Titel „Anreize im Wissenschaftssystem“ diskutieren die beiden Autoren den Sinn und vor allem den Unsinn der Einführung von Anreizsystemen im Wissenschaftssystem, die an Outputs und ökonomischem Denken orientiert sind. Es wird vor allem zu Beginn des Textes gezeigt, in welcher Weise sich die wissenschaftliche Logik von einer Marktlogik unterscheidet. Dabei wird auch ausführlich auf die Rolle von Peer Reviews eingegangen – ein Thema, über das ich in diesem Blog ja bereits mehrfach geschrieben habe (z.B. hier, hier und hier). Interessanterweise kommen die Autoren unter anderem zu dem Schluss, dass es prinzipiell besser sei, das Peer Review generell einzudämmen. Begründet wird dies damit, dass das Wissenschaftssystem im Vergleich zu anderen Systemen einen besonders großen und langen Aufwand betreibt, um Personen als Professoren in diesem System aufzunehmen. Leitkriterium, so das Credo des Textes, müsse die Autonomie der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Arbeit und damit auch des Wissenschaftlers sein. Die aber wird durch zu hohe Abhängigkeit von Drittmitteln und damit auch vom Peer Review (denn viele Drittmittel sind an positives Peer Review gekoppelt) zunehmend eingeschränkt. Ihre Argumentation lautet: „Autonomie ist eine wichtige Voraussetzung für Kreativität … Sie ist aber zugleich Teil des Belohnungssystems in der Wissenschaft, welches dem „taste for science“ entspricht. ForscherInnen nehmen Einkommenseinbußen in Kauf, wenn sie dafür mehr Autonomie erhalten. Die Attraktivität von Universitäten sinkt, wenn zusätzlich zum niedrigeren Einkommen auch noch die Autonomie in der Forschung reduziert wird.“

Ich finde den Text sehr gelungen. Er bringt die aktuelle Problematik im Wissenschaftssystem prägnant auf den Punkt. Zudem werden – wenn auch vergleichsweise kurz – konkrete Vorschläge gemacht, was man gegen die eher dysfunktionalen Entwicklungen tun könnte. Fragt sich, warum diese nicht aufgegriffen werden.

Fantasielose Reproduktion von Wissenschaftsritualen

Eher zufällig bin ich auf einen Beitrag von Ulrich Frank, Wirtschaftsinformatiker, gestoßen, in dem er sich mit der Vernachlässigung wissenschaftstheoretischer Herausforderungen in der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik auseinandersetzt. Der Beitrag wurde bereits 2003 in der Zeitschrift DBW veröffentlicht und ist hier online zu lesen. Nun kann man sich fragen, was die Wirtschaftsinformatik mit bildungswissenschaftlichen Themen zu tun hat: auf einer formalen Ebene gar nicht mal so wenig, was z.B. der kurze Enzyklopädie-Artikel desselben Autors zur „konstruktionsorientierten Forschung“ zeigt (worauf ich jetzt aber nicht näher eingehe). Als „vernachlässigte Probleme“ werden im Text von 2003 z.B. die Grenzen empirischer Forschung herausgearbeitet und diskutiert, in welchem Verhältnis die aktuelle (und eine mögliche) Wissenschaftskultur zum wissenschaftlichen Fortschritt steht. Diskutiert werden auch die Bedeutung der Praxis in und für die Forschung (eine Diskussion, bei der man durchaus Parallelen zur Bildungswissenschaft ziehen kann) sowie die Folgen der sich vollziehenden Universitäts- und Wissenschaftsreform (Bologna, Exzellenzinitiativen etc.). Spannend sind am Ende des Textes vor allem die drei Thesen von Ulrich Frank zum Thema Wissenschaftstheorie in seiner Disziplin:

  • „Forschungsmethoden sind bedeutsam – und hinderlich“: Bedeutsam sind sie, weil die Reflexion über Designs und Methoden das Selbstverständnis von Wissenschaftlern prägen und in ihrer Anwendung die für Wissenschaft geforderte Systematik sicherstellen. Hinderlich werden sie, wenn „sie bei naiver Interpretation ein schematisches Vorgehen über das Interesse an Erkenntnis stellen und damit kontraproduktiv sind“. Da kann ich nur zustimmen; meiner Ansicht nach passt das auch eins-zu-eins auf die Bildungsforschung.
  • „Der Elfenbeinturm verspricht eine weitreichende Aussicht“, womit gemeint ist, dass Zeit und Muße etwa zur Konstruktion von Leitideen und zur Reflexion von Begriffen keine unnötige Spielerei im hektischen Wissenschaftsbetrieb, sondern umgekehrt geradezu lebensnotwendig sind, um Wissenschaften weiterzuentwickeln. Auch dies würde ich für die Bildungswissenschaft unterstreichen, wobei hier die zum Teil großen Unterschiede (z.B. geisteswissenschaftliche und psychologische Ausläufer) zu beachten sind.
  • „Zu einer alternativen Wissenschaftskultur gehört ein … intellektueller Hedonismus“ als Gegenpol zur fantasielosen Reproduktion von Ritualen an unseren Hochschulen. Frank schlägt hierzu zum einen Rahmenbedingungen in der täglichen Arbeit vor, „die den Genuss wissenschaftlicher Diskurse und die Freude am gemeinsamen Lernen fördern“. Zum anderen verweist er auf „organisierten Freiraum für fruchtbare wissenschaftliche Auseinandersetzungen jenseits der Ablenkungen des Tagesgeschäfts“ etwa auf Konferenzen. Er verweist dabei auf die früheren philosophischen Treffen in Alpach, deren Charakter man sehr schön in den Briefwechseln von Feyerabend und Albert nachvollziehen kann (z.B. hier). Auch die Chancen der digitalen Medien werden von Frank genannt – angesichts des Entstehungsdatums des Artikels also noch VOR dem Web 2.0-Hype (wobei man auch sehen muss, dass sich da Widersprüche ergeben können, z.B. dann, wenn die permanente Online-Erreichbarkeit gerade wieder die soziale Präsenz auf Tagungen stört).

Leider hat Ulrich Frank dieses wissenschaftstheoretische Thema in aktuelleren Schriften nicht weiter vertieft, was ich sehr schade finde. Aber es ist ja auch meine Erfahrung, dass Beiträge dieser Art eher wenig rezipiert werden und vor allem wenig aktiv aufgegriffen werden – das Tagesgeschäft belohnt halt andere Themen einfach wesentlich mehr …

Der Lehrpreis als Ersatzhandlung

Mandy Schiefner und Balthasar Eugster haben einen sehr anregenden Text zum Thema „Lehrpreise“ geschrieben (die dazu bereits gelaufene Diskussion ist übrigens durchaus genauso anregend). Eingeordnet haben sie ihre Erörterungen über Ziele und Wirkungen von Lehrpreisen in die übergeordnete Frage, wie man Lehre sichtbar machen kann, was das eigentlich heißt und für wen und wozu das nützlich ist. Zum Einstieg werden zwei Konzepte von „Sichtbarkeit“ unterschieden: einmal im wörtlichen Sinne die Sichtbarkeit als das, was man mit seinen Augen wahrnehmen kann, und des Weiteren im übertragenen Sinne die Sichtbarkeit als das, was auf der Agenda steht und entsprechend diskutiert wird. Diese Unterscheidung finde ich schon mal ausgesprochen wichtig. Eine weitere aus meiner Sicht ganz essenzielle Frage ist die, was man denn eigentlich sichtbar macht, wenn man Lehre z.B. über Lehrportfolios dokumentiert, wenn man Lehre über Fragebögen evaluiert, wenn man in Lehrveranstaltungen hospitiert oder eben z.B. Lehrpreise vergibt. Dabei wird deutlich, dass vor allem die so wichtigen Vor- und Nachbereitungen eines Lehrenden fast immer unsichtbar bleiben – am ehesten besteht da noch in Lehrportfolios die Chance, genau das mitzubekommen; diese aber werden selten öffentlich gemacht. Schließlich spielt natürlich das „Wozu“ der Sichtbarmachung von Lehre eine ganz wichtige Rolle. Hier unterscheiden die beiden Autoren den Dialog, die Qualitätsverbesserung von Lehre und den Kompetenznachweis. Man könnte noch darüber nachdenken, wie diese drei Funktionen denn genau zusammenhängen. Was man vielleicht noch genauer unterscheiden könnte, ist die Lehre als Produkt und als Prozess. In Analogie zur Narration, bei der man den Prozess des Erzählens ebenso wie das Produkt der Geschichte in Zentrum rücken kann, stellt sich auch die Lehre jeweils anders dar, wenn man den Prozess des Lehrens an sich und das Lehrkonzept als zugrundeliegendes Produkt (z.B. ein didaktisches Muster!) unterscheidet.

Am Ende kommen Mandy und Balthasar zu dem Schluss, dass speziell der Lehrpreis eigentlich kaum etwas sichtbar macht, das Wesentliches über die Lehre aussagen könnte. „Seine Vergabe ist eine Art Ersatzhandlung für die immer wieder scheiternde Bestimmung von Lehrqualität“ (S. 19). Leider ist genau das vielen politisch Verantwortlichen oder auch didaktisch völlig ungeschulten Personen überhaupt nicht klar. Oder es ist ihnen klar und sie hoffen, dass es allen anderen nicht klar ist. Manchmal kommt mir das vor wie bei Aktionen zur Frauenförderung: Man bietet an der Oberfläche irgendwelche „Ersatzhandlungen“ für wirklich tief greifende Veränderungen an, um die potenziell Aufbegehrenden ruhigzustellen. Lehrpreise signalisieren, dass man „was tut für die Lehre“. In Wahrheit – so meine Befürchtung – ist gute Lehre im Vergleich zu einer ertragreichen naturwissenschaftlich-technischen Forschung kaum etwas wert (siehe hierzu auch die Diskussion in Mandys Beitrag). Vielleicht ist es sogar völlig egal – was nur diejenigen nicht wahrhaben können und wollen, die sich um gute Lehre in Forschung und Praxis bemühen.

Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit

Ich mache kein Hehl daraus, dass mir die deutsche Sprache wichtig ist. Sie ist mein Werkzeug, ich würde auch für mich persönlich durchaus behaupten: mein „Denkwerkzeug“ (um mal das englische „cognitive tool“ zu vermeiden). Klar, dass ich mir heute die Zeit gekauft habe, wenn das Titelthema wie folgt angekündigt ist: „Rettet die deutsche Sprache! Die Elite spricht Englisch, am unteren Ende der Gesellschaft verkümmert die Sprachfähigkeit. Wie können wir verhindern, dass unsere Muttersprache weiter erodiert? Und welche Zukunft hat unsere deutsche Sprache überhaupt noch?“ Nun, mehr als zwei Seiten ist die Beantwortung dieser Fragen (im Feuilleton) dann doch nicht wert und sehr viel Neues habe ich nicht gelesen. Dass in der Wissenschaft das Deutsche allenfalls in geistes- und einigen wenigen sozialwissenschaftlichen Fächern noch eine gewisse (geringe) Bedeutung hat, ist hinlänglich bekannt. Dass das auch nicht mehr zu ändern sei, kann man ebenfalls überall da lesen, wo über das Thema geschrieben wird. Der Artikel bemüht sich, die Vor- und Nachteile der Durchsetzung des Englischen als globale Sprache einander gegenüberzustellen. Dabei wird auch die wachsende Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Öffentlichkeit angesprochen, wenn Publikationen und andere Darstellungsmodi nur mehr auf Englisch erfolgen. Wenig vertiefend dagegen kommen in dem Beitrag Überlegungen dazu ins Spiel, welche Bedeutung die Sprache auf das Denken und damit auch auf das wissenschaftliche Denken und wissenschaftliche Kreativität hat (der Autor sieht das allenfalls auf philosophischem Gebiet als relevant an).

Wirklich neu waren für mich zwei Punkte: (1) Der Beitrag verweist auf Arbeiten, die sich der Frage stellen, wie sich das Englische verändert, wenn es denn vor allem von „Ausländern“ als „Lingua franca-Englisch“ gesprochen wird. Das sei dann auch nicht mehr die Sprache der englischen Muttersprachler, sondern eine andere – eine die allen gehöre. Das finde ich einen ganz interessanten Gedanken, aber ob das wirklich mehrheitlich so wahrgenommen wird? (2) Der Beitrag thematisiert quasi als Rahmen für die restlichen Ausführungen die Verantwortung der „Eliten“ in einer Gesellschaft gegenüber der eigenen Sprache. Und so endet der Beitrag mit folgendem Absatz: „Dass Teile unserer Eliten diese Sprache [Anm. das Deutsche in bedeutenden Werken der Literatur und Philosophie] nicht verstehen und nicht mehr sprechen, hat wenig mit globalen Zwängen zu tun und viel mit Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit. Damit verhalten sich die Eliten unverantwortlich, denn der Zustand einer Sprache hängt am meisten von jenen ab, die Macht und Einfluss haben. An ihrem Sprachverhalten richten sich jene aus, die unten sind und nach oben wollen“. Vor Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit ist auch die Wissenschaft nicht gefeit und ich habe schon mitunter den Eindruck, dass wenig neue und tiefe Gedanken, verpackt in einem englischen Text oder Vortrag, allein aufgrund der damit erreichten Internationalität bereits eine Menge „Bonuspunkte“ einheimsen, die dann inhaltliche Defizite kompensieren (sollen). Auch das ist letztlich unverantwortlich.

Bildung vom Windel- bis zum Greisenalter

Auf mehreren Blogs wurde bereits auf den neuen Bildungsbericht 2010 hingewiesen, der dieses Jahr mit dem Untertitel „Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel“ versehen ist. Es gibt eine Langfassung (hier) und eine Zusammenfassung (hier). Ich gestehe, dass ich auch nur die Zusammenfassung gelesen habe. Wie immer, wird jeder aus dem Bericht herauslesen und herauspicken, was ihn gerade umtreibt. Ein- und derselbe Sachverhalt wird mit Sicherheit für ganz unterschiedliche Argumentationen herhalten müssen. Informationen sind halt das eine; daraus abgeleitete Folgerungen und Forderungen das andere.

Die Regierung selbst beklagt die schlechte Bildungssituation für Migranten – wahrlich keine neue Erkenntnis, weshalb es mich schon verwundert, dass man sich immer wieder von Neuem so wundert, OHNE DASS irgendwelche nennenswerten Maßnahmen ergriffen werden, dies zu ändern. Die taz macht auf die wachsende generelle soziale Kluft zwischen denen aufmerksam, „die im Windelalter pädagogisch gefördert werden“ und denen, die in einer „Risikolage“ (Achtung Frauen, dazu zählt auch bereits, wer sein Kind alleine großzieht). Den Blick auf die Berufsbildung wirft Spiegel online: „keine Ausbildung – keine Perspektive“. Auch das erscheint mir nicht gerade neu. Die Hochschulrektorenkonferenz freut sich immerhin, dass „das Bildungsniveau steigt“, weil zunehmend mehr Abiturienten ein Studium beginnen (angeblich mehr als erwartet). Ob deswegen wirklich das „Bildungsniveau“ steigt ist allerdings zumindest dann fraglich, wenn Hochschulen weiter unterfinanziert bleiben, was ja auch Auswirkungen auf das Niveau in Studium und Lehre hat.

Was habe ich mir als besonders interessant angestrichen? Ich bringe mal beispielhaft drei Punkte:

  1. „Schüler in achtjährigen Gymnasien (G8) üben seltener eine freiwillige Tätigkeit aus als G9-Schüler. Niedriger fällt im Vergleich zu Schülern an Halbtagsschulen auch die Engagementquote der Ganztagsschüler aus“. Finde ich deshalb interessant, weil es vielleicht einen Anstoß dazu gibt, ob wirklich immer die viel gelobte Ganztagsschule (die ja mit dem G8 auch faktisch wächst) aus einer Bildungsperspektive heraus wirklich IMMER der beste Weg ist.
  2. „Seit 2005 liegt der Frauenanteil bei den Hochschulabsolventen über 50%, an den Universitäten beträgt er fast 60%“. Das ist erfreulich, aber warum hat es für Aufstiegs- und Gehaltsfragen so wenig Einfluss? Was läuft da in welchen biografischen Phasen schief oder ist das gar eine falsche Interpretation, weil Bildung schließlich nicht immer unter einem ökonomischen Verwertungsaspekt gesehen werden muss? Mich wundert ja, dass diese Ausrede noch nicht politisch artikuliert wurde.
  3. „Angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Bedarfs an Weiterbildung in allen Altersstufen jenseits der Erstausbildung ist ein weiterer Ausbau der Angebote mit einem steigenden Personalbedarf in der Weiterbildung anzustreben. Neben der Expansion scheint eine verstärkte Professionalisierung des Weiterbildungspersonals geboten“. Schön wäre ja, wenn das mit einer entsprechend wachsenden Wertschätzung von bildungswissenschaftlichen Studiengängen verbunden wäre, die immerhin für genau diese Professionalisierung sorgen könnten!

Mut zur Lehre

„Die zählebigste Grundannahme ist die, der zufolge Lehren eine unverzichtbare Voraussetzung für die Initiierung und Begleitung von Lernprozessen sein soll“ – schreibt Rolf Arnold in der FAZ.net (hier) angesichts der nie endenden Klagen über die Lehre an deutschen Universitäten (danke an Sandra für den Link-Hinweis). Bologna, so Arnolds Argumentation, versuche, grundlegende Probleme des Lernens und Lehrens an unseren Unis durch „Mehr vom selben“ zu lösen, indem man z.B. den Präsenzunterricht erhöht und unter anderem auch die physische Präsenz kontrolliert. Dass dies keine sinnvolle Lösung ist, da stimme ich Arnold zu, wie ich kürzlich selbst in einem Interview (Blogbeitrag hier) erklärt habe. Meine volle Zustimmung hat Arnold auch in dem Argument, dass man im Zuge von Bologna dem Irrglaube unterliegt, dass man allein mit der Einrechnung des Selbststudiums in die Punktelogik der neuen Studiengänge sicherstellen könne, dass Studierende ein effektives Selbststudium praktizieren. Das Gegenteil dürfte (eben wegen mehr Präsenz-Anforderungen) der Fall sein.

Allerdings meine ich, dass Lehre sehr wohl etwas dazu beitragen kann, das Studierverhalten und damit das Lernen an sich (auch das Selbststudium) zu verbessern: Muss Lehre denn darauf beschränkt werden, langweile Vorlesungen zu halten, die – so Arnold – mit „aberwitzig geringen Behaltensquoten“ einhergehen und der „Verkündigungstradition der Kirche“ folgen? Nicht ganz klar ist mir außerdem, warum Arnold die Entwicklung von Selbstlernmaterialien von der Lehre abgekoppelt sieht: Vor mich besteht Lehren zum einen darin, geeignete Inhalte auszuwählen und aufzubereiten (Inhaltsdesign) und sich dann Gedanken darüber zu machen, mit welchen Methoden man Lernende darin unterstützen kann, aktiv mit diesen Inhalten umzugehen (Aufgabendesign). Wer Selbstlernmaterialien erstellt, der lehrt – finde ich! Aus dem Grund habe ich meinen Studientext (hier) auch genau so aufgebaut (nach Inhalts- und Aufgabendesign).

Wenn man ein solches Verständnis von Lehren hat, dann entsteht erst gar nicht eine so große Kluft zwischen Lernen und Lehren, wie Arnold sie sieht, und in der Folge empfiehlt, das Lehren besser nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen. Bringt es uns weiter, wenn wir das Lehren zum Feind des Lernens erklären? Wollen dahin kommen, dass sich jeder alles selbst beibringen soll? Ist das ein kultureller Fortschritt? Ich würde alle drei Fragen mit nein beantworten und mich für mehr „Mut zur Lehre“ aussprechen. Mut braucht man deshalb, weil man sich mit dem Anspruch, anderen etwas beibringen zu können (und zu wollen), natürlich angreifbar macht, weil man viele Fehler machen kann, weil man mit seiner Inhalts- und Aufgabenwahl danebenliegen kann, weil man es NIEMALS allen recht machen kann …. Aber ist das ein Grund, es sein zu lassen?

Verhältnisse wie am Bau

Man versteht ja ehrlich gesagt nicht so recht, wohin eigentlich die faktischen und versprochenen Gelder fließen, die für das in letzter Zeit auch politisch wieder hoch gehaltene Gut „Bildung und Wissenschaft“ (woran man angeblich NICHT sparen will) locker gemacht werden sollen. Was man dazu von Kollegen hört, selbst erlebt und in der Presse liest, weist ja nun doch eher in die entgegengesetzte Richtung. Dazu gehört auch ein Artikel im Spiegel online (hier), der am Beispiel der TU Kaiserslautern zeigt, was passiert, wenn man die üblichen Routinen öffentlich macht – nämlich z.B. die Vergabe und Bezahlung von Lehraufträgen. Wer Universitäten von innen kennt, den dürfte der Beitrag über die extrem schlechte (oder auch ausbleibende) Bezahlung von Lehraufträgen nicht wundern und wahrscheinlich nur ein Achselzucken hervorrufen. Und in der Tat gewöhnt man sich auch schnell an solche Absurditäten. Diese werden einem immer erst dann wieder bewusst, wenn man sie mit anderen Arbeitstätigkeiten vergleicht und Sätze fallen wie: „Für das, was viele Hochschuldozenten pro Stunde bekommen, würden die meisten Handwerksmeister nicht einmal ihr Werkzeug auspacken.“ oder „ …für manche habilitierte Wissenschaftler [Anm.: z.B. Privatdozenten ohne Anstellung an der Uni] wäre Hartz IV ein finanzieller Aufstieg.“ Noch schlimmer finde ich allerdings, dass man Betroffenen in diesem Zusammenhang den Mund verbietet (Zitat Spiegel-Artikel): „Die Warnungen seiner Uni-Leitung an Journalisten, eine Berichterstattung könne der Karriere des jungen Kollegen erheblich schaden, werden vermutlich intern noch viel deutlicher formuliert.“ Was wirklich nervt, ist die aktuelle Doppelzüngigkeit: Die Loblieder auf Bildung und Wissenschaft auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite das vehemente Wegsehen bei Verhältnissen, die manchmal anmuten wie am Bau. Da würde ich mir mehr Ehrlichkeit wünschen und vor allem auch mehr Sachkenntnis und direkte Erfahrungen seitens der politisch Verantwortlichen.

Selbststudium: Kein Selbstläufer

Norbert Landwehr und Elisabeth Müller haben bereits 2008 die zweite Auflage eines lesenswertes Buches herausgebracht – mit dem Titel “Begleitetes Selbststudium“. Didaktische Grundlagen und Umsetzungshilfen“. Ich hatte es früher schon zweimal in der Hand, aber erst jetzt habe ich es endlich mal ganz gelesen. Der Grund ist nicht nur das persönliche Interesse am Thema, sondern auch mal wieder die deutliche Erfahrung, dass sich Studierende mit dem Selbststudium sehr schwer tun. Vielen – so mein Eindruck – ist gar nicht so recht klar, welchen Stellenwert das Selbststudium im Vergleich zum organisierten Präsenzlernen hat, wie man das Selbststudium sinnvoll und effektiv angeht und welche Rolle es eigentlich im Bologna-Prozess, also in Sachen Workload und Leistungspunkte, spielt. Wer sich hierüber auch als Lehrender Gedanken machen will (und es wäre sicher angeraten dies zu tun), dem ist dieses Buch eine große Hilfe. Es ist verständlich und übersichtlich verfasst, vor allem praktisch ausgerichtet, aber auch theoretisch anschlussfähig. Ausbaufähig wäre wohl der Teil „Einbezug von ICT-Instrumenten ins Selbststudium“, aber das stelle ich jetzt natürlich vor allem aus meiner speziellen Perspektive fest.

Ich denke, die Bedeutung des Themas „Selbststudium“ wird im Rahmen der Hochschule in den nächsten Jahren steigen: Wir (also Lehrende) haben uns bisher genau dazu ganz offensichtlich zu wenig Gedanken gemacht. Und das rächt sich vor allem dann, wenn man komplexere didaktische Szenarien umsetzen will, die AUCH auf das Selbststudium der Lernenden setzt bzw. dieses integriert: Mir selbst ist es nun schon mehrfach so gegangen, dass dann genau dieser Part von den Studierenden ignoriert oder nicht verstanden oder nicht akzeptiert oder offen abgelehnt wird. In der Folge funktioniert das Lehr-Lern-Szenario in der Gänze nicht oder zumindest sehr viel schlechter als geplant. Das Selbststudium ist einfcah kein Selbstläufer! Praktikable Lösungen für dieses Problem habe ich noch nicht. Das Buch von Landwehr und Müller aber gibt erste Denkanstöße.

Redlich und praktisch

Mandy Schiefner und Peter Tremp (mit Mitarbeiter) von der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik an der Universität Zürich beschäftigen sich in zwei aktuellen Artikeln mit zwei aus meiner Sicht sehr wichtigen Themen, die eher nicht allzu oft und intensiv diskutiert werden, wenn es um Hochschullehre geht: nämlich wissenschaftliche Redlichkeit und Praktika im Studium.

Im Beitrag von Mandy Schiefner (hier online) geht es um die wissenschaftliche Redlichkeit: Im Zentrum steht zwar (vor allem laut Überschrift) das Plagiatsproblem. Der Text reflektiert aber darüber hinaus weitergehende Aspekte einer wissenschaftlichen Haltung und stellt sich die Frage, wie man diese im Studium vermitteln kann. Besonders gefallen hat mir der Ansatz, nicht nur nach Möglichkeiten zu suchen, Plagiate zu entdecken und zu sanktionieren, sondern sie zu vermeiden. Im Prinzip hat das Thema viel mit dem breiteren Konzept der Informationskompetenz zu tun. Dabei besteht hier die Chance, den Blick nicht nur auf trainierbare Fähigkeiten zu heften, sondern eben auch auf Einstellungen und Werte – weshalb die Bezeichnung „wissenschaftliche Redlichkeit“ recht treffend gewählt ist.

Im Beitrag von Markus Weil und Peter Tremp (hier online) werden Praktika im Studium näher beleuchtet. In der Lehrpraxis bleiben – so meine Erfahrung – oft keine Lehrressourcen übrig, um Studierende darin zu unterstützen, Erfahrungen aus dem Praktikum sinnvoll in das Studium einzubinden bzw. hierfür Unterstützung zu geben. Dies liegt womöglich auch daran, dass man sich bisher – von Ausnahmen einmal abgesehen – zu wenig um diese Verknüpfung gekümmert hat oder vielleicht keinen Bedarf gesehen hat, hier etwas zu unternehmen. Je größer aber der Ruf nach Praxisorientierung wird (wobei der Sinn dieser Forderungen durchaus hinterfragt werden sollte), umso wichtiger wird eine explizite curriculare Einbindung von Praktika. Hierzu bietet die Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik auch ein noch umfangreicheres Dossier an (online hier).