Ein Buch gegen die methodische Alleinherrschaft

Ich finde, es gibt wenige so gute Methodenbücher, dass man sie wirklich von vorne bis hinten liest, sich dabei angesprochen und „an die Hand genommen“ fühlt. Das neu (2010) erschienene Buch von Jörg Schlömerkemper mit dem Titel „Konzepte pädagogischer Forschung“ (Bad Heilbrunn: Klinkhardt) ist so ein Buch. Schlömerkemper bezeichnet sein Buch als „Studienbuch“, wendet sich also explizit an Studierende der Pädagogik/Erziehungswissenschaft, aber auch an interessierte Praktiker (wobei ich allerdings glaube, dass diese eher selten zu solchen Büchern greifen). Es gibt einige Passagen in diesem Buch (und Entscheidungen), bei denen ich mit Schlömerkemper nicht übereinstimme. Auch integriert er leider nicht das aus meiner Sicht bestehende zusätzliche Potenzial einer Entwicklungsforschung für Erkenntnisziele auf unserem Fachgebiet. Dennoch ist dieses Buch seit langem eines, das ich empfehlen kann und sicher mehrmals darin lesen werde. Warum? Es ist einzigartig in dem Versuch, die klassischen Methoden der Empirie inklusive der statistischen Auswertung von Daten mit – wie er es nennt – hermeneutischen (auch phänomenologischen) Zugängen bei der Erforschung bildungsrelevanter Fragen, Aspekte, Ereignisse und Strukturen zu verknüpfen. Und das macht er verständlich und mit Blick auf die Besonderheiten bildungswissenschaftlicher Themen. Letzteres ist aus meiner Sicht ausgesprochen wichtig, u.a. deswegen, weil bildungswissenschaftliche Themen Anwendungsfragen und normative Fragen nicht einfach bei Seite schieben können – selbst dann nicht, wenn man formal betrachtet „Grundlagenforschung“ praktiziert.

Das Buch gliedert sich in neun Kapitel: Nach einer Einführung in die Machart des Buches (1) stellt Schlömperkemper typische Fragen und mögliche Methoden in der pädagogischen Forschung zusammen (2). Die nachfolgenden drei Kapitel sind für mich der Kern des Buches: Ihre Titel lauten (3) „erkenntnistheoretische Probleme“, (4) „methodologische Konzepte“ und (5) „Strategien der Forschung“. Da finde ich genau die Themen, die in Methodenseminaren für Anfänger so oft versäumt werden oder aber infolge ihrer Kürze rasch untergehen. Stattdessen lernen die Studierenden komplizierte statische Verfahren, die sie später entweder nicht, falsch oder mechanisch anwenden. In den nachfolgenden Kapiteln beschreibt Schlömerkemper entlang der Forschungsprozesslogik, wie man Daten erhebt (6) und anschließend auswertet bzw. analysiert – und zwar getrennt danach, ob es sich um nicht-numerische Daten (7) oder numerische Daten (8) handelt. Im letzten Kapitel des Buches (9) werden vor allem methodische Folgerungen gezogen und Schlömerkemper verweist auf den von ihm präferierten Begriff des „Oszillierens“ als einem ständigen Hin und Her oder einem Auf und Ab „zwischen eher hermeneutischen und eher empirischen Orientierungen, zwischen quantitativem Messen und qualitativen Interpretieren, zwischen intuitivem Entwerfen und nüchtern-kritischem Prüfen … Mit dem Stichwort des Oszillierens soll betont werden, dass man sich immer auf den anderen Pol hinbewegen sollte, wenn man sich auf der einen Seite befindet, dass man also immer im Bewusstsein halten sollte, dass die allgemeine Reflexion sich der empirischen Überprüfung wird stellen müssen und dass empirische Befunde unter der Frage nach dem Sollen reflektiert werden müssen“ (S. 153). An anderer Stelle habe ich bereits auf einen Artikel von Jörg Schlömerkemper hingewiesen (hier), in welchem er dieses Konzept ebenfalls beschreibt.

Mit Büchern wie diesem steigt die Chance, das ein Bewusstsein für die Vielfalt von Bildungsforschung (auch empirischer Bildungsforschung!) entsteht, das Ansprüche auf Alleinherrschaft einer methodischen „Schule“ ablehnt und auch in der Sozialisation von Nachwuchswissenschaftlern bei aller methodischer Sorgfalt kreative Überlegungen und Versuche zulässt.

Nachhaltiges von Hinterbliebenen

Über zwei Jahre ist es nun schon wieder her, dass die GMW-Jahrestagung in Krems unter dem Motto „Offener Bildungsraum Hochschule: Freiheiten und Notwendigkeiten“ stattfand. Auf der darauffolgenden Jahrestagung 2009 in Berlin haben mehrere „Augsburger“ das Thema in der Preconference bei einem Thementisch noch einmal aufgegriffen. Nun wird es hoffentlich bald – also Ende 2010 oder Anfang 2011 – auch einen Band beim Waxmann Verlag (GMW-Reihe) mit Aufsätzen zu diesem Thema geben, herausgegeben von Hannah Dürnberger, Sandra Hofhues und Thomas Sporer, die nach wie vor in Augsburg sind (Sandra hat sich im letzen Münchener Kolloquium in diesem Sinne unseren Kolloquiumsgästen als „Hinterbliebene“ vorgestellt ;-)). Die konstante Bearbeitung dieses Themas nenne ich Nachhaltigkeit: Statt nur auf ein Tagungsmotto aufzuspringen, haben sich hier gerade die Nachwuchswissenschaftler dem Thema langfristig und zielstrebig genähert, was ich sehr anerkennenswert finde. Mir wurde die „Ehre zuteil“, ein Nachwort zu den zusammengetragenen Aufsätzen zu schreiben, was den kleinen Nachteil hatte, dass ich das Buch auch ein wenig im Eiltempo lesen musste. Klein war der Nachteil deswegen, weil ich die meisten Aufsätze sehr interessant und insbesondere das Konzept des Buches als Kombination von Beispielen und darauf bezogenen konzeptionell-bewertenden Beiträgen gut gelungen finde. Nun weiß ich nicht, wie gut man ein Nachwort ohne Kenntnis der Beiträge nachvollziehen kann, aber vielleicht weckt es ja Interesse für den Band, den man hoffentlich bald lese kann.

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Ein Problem des mittleren Erwachsenenalters?

Ja, es ist schon eine Weile her, als ich bei meinen Recherchen feststellte, dass das mittlere Erwachsenenalter interessanter Weise recht wenig erforscht ist – jedenfalls wenn man es mit Kindheit, Jugend oder Alter vergleicht. Das war 2006, als ich eine Anfrage zur Mitarbeite an einem Buch über Bildungspsychologie erhielt (hier der damalige Blogbeitrag dazu). Nun – vier Jahre später – ist es endlich soweit: Herausgegeben von Christiane Spiel et al. ist der Band „Bildungspsychologie“ beim Hogrefe Verlag erschienen.

Im Vorwort heißt es: „Die kürzeste Zeitspanne zwischen der Zusage ein Buchkapitel zu verfassen und der Einreichung der Erstversion betrug 3 ½ Monate, die längste Zeitspanne ziemlich genau 4 Jahre“. Nun, da kann ich mich ja ganz gut verorten und interessieren würde es mich schon, wer so wichtig ist, dass man es gestattet, die Deadline gleich um ein paar Jahre zu überschreiten. Ich persönlich ärgere mich über mangelnde Disziplin bei Autoren/innen immer wieder sehr, denn wenn die Zeit zu knapp ist, dann lässt man es halt sein – was ist daran so schwierig? Vielleicht ist es ein Problem vor allem des mittleren Erwachsenenalters, weil das eine Zeit ist, in der ALLES wichtig ist? Beruf, Familie, Kinder, persönliche Entwicklung?

Nun gut: Jetzt bin ich erst mal gespannt auf die einzelnen Kapitel, aber auch darauf, wie das Buch aufgenommen wird. Immerhin mischt sich da ein genuin pädagogischer Begriff, nämlich der der Bildung, mit der Psychologie, und das dürfte durchaus verschiedene Deutungen und Urteile hervorrufen. Leider wurde es untersagt, ein Preprint es eigenen Beitrags online zu stellen.

Psychologie ohne Seele

Endlich ist es nun erschienen – das Buch „Konkrete Psychologie. Die Gestaltungsanalyse der Handlungswelt“, herausgegeben von Gerd Jüttemann und Wolfgang Mack (beim Pabst Verlag). Der Band nimmt seinen Ausgang da, wo auch die meisten Lehrbücher der Psychologie beginnen, nämlich bei Wilhelm Wundt (1823-1920), der als Begründer der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie gilt. So jedenfalls wird es meist vermittelt – eine Vermittlungsrichtung, die Gerd Jüttemann in mehreren Publikationen seit längerem versucht, wieder gerade zu biegen. Für ihn ist Wundt eher der Begründer einer konkreten Psychologie, die auf die psychologische Analyse unseres alltäglichen Handelns und aller Phänomene abzielt, die man vergleichend erforschen kann. Dem steht eine heute weitgehend dekontextualisierte, abstrakte Psychologie gegenüber, die im Laborexperiment und in einer Forschung, die sich auf statistische Auswertungen beschränkt, den Königsweg der wissenschaftlichen Erkenntnis sieht – verbunden „mit der Gefahr des Abgleitens in eine auch in verbaler Hinsicht verarmte ´Psychologie ohne Seele ´“ (Jüttemann, 2010, S. 34).

Der Band umfasst insgesamt 23 recht heterogene Artikel, in denen die Schwierigkeit psychologischer Forschung sowie die Probleme einseitiger naturwissenschaftlicher Herangehensweisen auf verschiedene Art und Weise und anhand unterschiedlicher psychologischer Teildisziplinen diskutiert wird. Hier kann man sich das Inhaltsverzeichnis ansehen. Ich freue mich, dass mein Beitrag zu möglichen Wege der Erkenntnis in den Bildungswissenschaften (hier der Preprint) Eingang in diesen Band gefunden hat und ich auf diesem Wege noch ein paar ganz andere Argumentationsgänge kennenlerne.

Reich beschenkt …

wurde Stefan Aufenanger zu seinem 60. Geburtstag – nämlich mit einer Vielzahl von Texten (die er jetzt alle lesen muss?) in einem ihm gewidmeten Buch mit dem Titel „Fokus Medienpädagogik. Aktuelle Forschungs- und Handlungsfelder“, herausgegeben von P. Bauer, H. Hoffmann & K. Mayrberger im kopaed Verlag. Zusammen mit zwei Co-Autoren habe ich mich auch an diesem Band mit einem Bericht über unser Projekt Tech Pi und Mali Bu beteiligt (hier ein Überblick über den Inhalt). Das Preprint hatte ich noch versteckt gehalten – man kann ja kein Geburtstagsgeschenk ausplaudern. Von daher kommt es halt jetzt nachträglich.

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Die Blogger unter den Lesern wird vor allem der Beitrag von Rolf Schulmeister (unter Beteiligung von Roland Leikauf und Mathias Bliemeister) interessieren, der die Ergebnisse einer Dokumentenanalyse ausgewählter Blogs mit ziemlich weitreichenden Interpretationen bietet („Ansichten zur Kommentarkultur in Weblogs“) . Hoffen wir, dass man den Beitrag vielleicht bald auch online zu lesen bekommt.

Was das Buch uns noch zu sagen hätte …

darüber hat sich Helge zum Jahresausklang so seine Gedanken gemacht und eine Idee ausgearbeitet, die das Buch nicht nur zum Träger von Geschichten, sondern selbst zum Erzähler macht (das Konzept hierzu kann man hier abrufen). Technisch umsetzen ließe sich das mit Hilfe einer Software für das Smartphone. Nun gebe ich zu, dass ich kein Smartphone-Fan bin und auch sonst mobile Endgeräte für die Hosentasche nur eingeschränkt nutze (schlicht deshalb, weil ich es sehr schätze, mal einfach nur zu lesen oder nachzudenken, ohne von digitaler Information abgelenkt zu sein, wenn ich mal NICHT vor dem Rechner sitze, was selten genug vorkommt). Deswegen geht es mir an dieser Stelle auch weniger um Helges technischen Umsetzungsvorschlag (so interessant der auch sein mag), sondern um die Idee an sich: Bücher gehen durch viele Leserhände. In der Folge entstehen Aktionen und Interaktionen zwischen einem Buch und seinen Lesern, die höchst individuell und dennoch auch für andere interessant sind bzw. sein können. Der Fixpunkt ist das Buch bzw. nach Helge ein „sehr, sehr kleiner Mensch“ (metaphorisch zu verstehen), versteckt in den Molekülen der ersten Seite, der folglich eine ganze Menge zu erzählen hätte – von seinen Lesern, ihren Interessen und Erkenntnissen infolge der Lektüre usw. Man stelle sich nun vor, das Buch ließe sich in diesem Sinne zum Erzählen bringen.

Ich finde diese Idee deswegen sehr schön, weil sie mehrere Dinge deutlich macht: (a) Die Inhalte eines Buches werden erst aktualisiert, wenn Menschen sie lesen. Das öffentlich zugängliche (materialisierte) Wissen (im Buch) ist noch kein handlungswirksames personales Wissen; es muss erst zu einem solchen werden. Das Buch als Erzähler wüsste genau darüber zu berichten – eine spannende Aussicht. (b) Ob der Inhalt eines Buches nützlich ist oder nicht, ob er als spannend oder langweilig empfunden, als schwer oder leicht beurteilt, als neu oder hinlänglich bekannt bewertet wird etc., ist abhängig vom Leser. Das Buch als Erzähler wüsste das und so könnte man validere Urteile über die Qualität der Buchinhalte treffen als dies bisher möglich ist – ein Beitrag zur mehr Fairness gegenüber den Autoren. (c) Ähnliche Fragen eines Lesers an ein Buch, vergleichbare Folgerungen aus der Lektüre oder resultierende Ideen in die gleiche Richtung sind hervorragende Anker, die einem helfen würden, Kontakte und Netzwerke zu Menschen zu knüpfen, mit denen man sich effektiv austauschen kann. Das Buch als Erzähler könnte genau diese Informationen liefern und Gleichgesinnte, ebenso wie natürlich auch Kontrahenten zueinander führen und auf diesem Wege fruchtbare Beziehungen für den gegenseitigen Austausch anstoßen.

Also, Helge, ICH finde, du hättest bei diesem Bibliothekswettbewerb, zu dem du deine Idee eingereicht hast (Blog-Info dazu hier), Platz 1 verdient.

Getrennte Lager – aber strikt

„E-Learning. Theorien, Gestaltungsempfehlungen und Forschung“ – so lautet eine Neuerscheinung beim Huber Verlag von einem jungen Psychologen: Dr. Günter Daniel Rey. Das Buch ist – würde ich jetzt mal sagen – ein Lehrwerk und widmet sich den psychologischen Grundlagen des E-Learning – übrigens ohne viel Aufhebens um den Begriff „E-Learning“ und dessen Definition zu machen. Zum Buch gibt es auch eine Web-Seite, nämlich hier, auf der sich zwar nicht alle Inhalte aus dem Buch, aber immerhin eine ganze Menge informativer Überblicke wie auch Details zu verschiedenen psychologischen Begriffen und Konzepten rund um das Lernen mit digitalen Medien finden. Auch ausführlichere Informationen über die (experimental-)psychologische Forschung findet man sowohl im Buch als auch auf der Web-Seite. Beides (also Buch und Web-Seite) ist systematisch aufgebaut; was ich bisher gelesen habe, ist verständlich und verweist auf klassische wie auch aktuelle psychologische Literatur. So weit so gut: Ich freue mich, auf das Buch (nach Zusendung) gestoßen (worden) zu sein und werde es sicher nutzen und zu bestimmten Zwecken auch empfehlen.

Aber: Man mache mal einen kleinen Versuch und lege das Autorenverzeichnis des diesjährigen GMW-Tagungsbandes neben das Literaturverzeichnis (hier) von Reys Buch. Und, was stellt man da fest? Kein Apostolopoulos, kein Baumgartner, auch keine Bachmann und Bremer, kein Schulmeister, kein Wolf – nichts! Auch kein Mandl (obschon Psychologe), aber – Gratulation! – immerhin einmal Kerres (Web 2.0). Jeder möge aber gerne weitersuchen … EIN Thema, ZWEI Lager, wie sie getrennter nicht sein könnten.

Nun könnte man ja sagen: Das ist halt die psychologische Seite des E-Learning und die anderen … na ja, vielleicht bilden die dann eben die pädagogische und die informationstechnische Seite. Aber das wäre wohl eine Ausrede, denn: Natürlich brauchen WIR auch die psychologischen Grundlagen und viele Beiträge in den GMW-Tagungsbänden zitieren auch psychologische Literatur, wie man sie in Reys Buch findet. Aber die pädagogisch-didaktischen, die informationstechnischen, auch soziologischen Erkenntnisse – die braucht man in der Psychologie nicht, wenn es um E-Learning und immerhin auch um Gestaltungsempfehlungen geht? Wirklich nicht? Ich finde es schade, wie dick die Mauer ist, die es hier offenbar gibt. Ich komme selbst aus der Psychologie und weiß meine Ausbildung (Diplom) sehr zu schätzen. Aber diese so offensichtliche Lagerbildung begreife ich einfach nicht, wenn es uns doch darum gehen sollte, das Lernen und Lehren mit digitalen Medien mit unseren Erkenntnissen besser zu verstehen und damit auch besser zu unterstützen. Wäre das nicht Anlass genug, voneinander Kenntnis zu nehmen? Wie an anderen Stellen schon formuliert, habe ich natürlich eine Thesen, warum das so schwierig ist: Erkenntnistheoretische und methodische Differenzen zwischen diesen beiden Lagern in der BIldungsforschung dürften hier eine ganz wesentliche Rolle spielen.

National und anwendungsorientiert

Nein, ich habe ihn noch nicht gelesen, den Herausgeberband von Jürgen Baumert mit dem einfallsreichen Titel „Einfallsreichtum. 60 Jahre Forschen und Lernen in der Bundesrepublik Deutschland. „An meinen gewohnten Stellen für Netzeinkäufe ist es noch nicht zu haben. Aber Kritiken gibt es schon, nämlich hier in der SZ: Alexander Kissler tut seine Meinung kund und es unschwer herauszulesen, dass er nicht allzu begeistert ist. Um den Charakter des Buches zu verdeutlichen, schreibt er z.B.: „Eine Finanzwissenschaftlerin versteht unter Bildung einen ´Treiber von Forschung und Innovation´, der die ´Wettbewerbsdefizite im internationalen Vergleich´ beseitigen solle. Eine Ökonomin sieht im ´Humankapital den wichtigsten Wachstumsbeitrag´, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz will ´unser Land wieder nach vorne bringen´ … National und anwendungsorientiert ist der vorherrschende Blickwinkel.“ Nun, wer die Bologna-Umsetzungsrhetorik im Bereich der Hochschule, Exzellenzinitiativen und Drittmittelakquise täglich miterlebt, wird darüber nicht allzu überrascht sein. Möglicherweise kann man sich das Buch also sparen, aber immerhin verspricht der Rezensent neben Texten im Beamtendeutsch auch ein paar kritische Beiträge. Ich werde mir also möglichst bald ein eigenes Urteil bilden.

Zwischenbilanz

Eine Zwischenblanz versucht der 50. Band der GMW-Reihe mit dem Titel: „E-Learning: Eine Zwischenbilanz. Kritischer Rückblick als Basis eines Aufbruchs„. Das ist eine gute Idee, hilft es doch tatsächlich oft für weitere Entwicklungen, wenn man mal zurückblickt und sortiert, was alles gelungen, was misslungen und was offen geblieben ist und welche Gründe es dafür geben könnte. Aufschlussreich sind die Beiträge von Simone Haug und Joachim Wedekind (eine Bilanzierung zu Förderprojekten) einerseits und Peter Baumgartner und Reinhard Bauer (eine Bilanzierung zum Medidaprix) andererseits und in Ergänzung dazu das Expertenstatement von Michael Kindt, weil sie deutlich machen, wie stark die Bemühungen um das Lernen und Lehren mit digitalen Medien (an der Hochschule) von Faktoren außerhalb der Hochschule, allem voran vom bildungspolitischen Klima und dazugehörigen Entscheidungen (bei denen es schlicht ums Geld geht) beeinflusst werden. Speziell die Föderalismusreform hat in Deutschland diesbezüglich gravierende Folgen gehabt. Michael Kindt (S. 98) formuliert es eher vorsichtig, was nach der letzen 2006 ausgelaufenen Förderrunde aktuell der Fall ist: „Weder Bund noch Länder fühlen sich wirklich veranlasst, die mit enormen Aufwand initiierten Entwicklungsstränge auszuwerten, z. B. auf Einflussfaktoren zu untersuchen, die im Sinne der Zielsetzungen förderlich oder hinderlich waren oder evtl. weitere Perspektiven und einen entsprechenden Förderbedarf auszuloten.“ Man könnte es auch drastischer sagen: Niemand hat mehr einen Überblick, jedes Land hat seine eigene Strategie, aber es eint sie der Versuch, die Verantwortung an die einzelnen Hochschulen weiterzureichen, die aus finanzieller Not nur da investieren, wo ein rascher „Return on Investment“ zu erwarten ist. Um den zu finden (und man finden ihn in der Bildung meistens nicht, weil die Effekte zwar nachhaltig, aber äußerst träge sind) und zu nutzen, scheuen manche Hochschulleitungen auch vor Beratungs- und Marketingfirmen nicht mehr zurück.

Mir selbst fällt (negativ) auf (und es wird mit beim Lesen des neuen Bandes wieder klar), dass der Einfluss der E-Learning Community auf die Bildungsforschung insgesamt sehr klein ist (was ich damit meine, kann man genauer hier nachlesen). Das ist ausgesprochen bedauerlich und ob ich mit meinen Überlegungen, woran das liegen könnte, richtig liege, weiß ich letztlich nicht genau. Allerdings wären die Gründe schon wichtig zu kennen, denn dann fiele es leichter gegenzusteuern und den Einfluss zu erweitern. Ich denke nämlich schon, dass im Umkreis des E-Learning zahlreiche interessante Befunde und Erfahrungen ebenso wie theoretische Ideen entstanden sind und entstehen, die für Fragen des Lernens und Lehren an der Hochschule (und darüber hinaus!) von genereller Bedeutung sind (über die Medien hinausgehend).

Was ich bislang nicht so ganz verstehe ist, warum (auch im „Jubiläumsband“) die GMW, deren Kürzel immerhin für „Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft“ steht, auf „E-Learning“, also auf Fragen des Medieneinsatzes in der Hochschullehre eingeengt wird. Zwar hat es über Aspekte wie Hochschulentwicklung durch digitale Medien bereits ausgehend vom E-Learning einzelne Erweiterungen gegeben. Aber auch der Einsatz von Medien in der Forschung ebenso wie in der Wissens- und Wissenschaftskommunikation nach Innen und Außen sollten meiner Ansicht nach dazugehören. Wir haben das im Vorstand bereits andiskutiert und es ist mir ein Anliegen, da dran zu bleiben. Denn vielleicht wäre das ja auch ein Baustein für eine Strategie, den Einfluss der GMW nicht nur auf die Bildungsforschung, sondern z.B. auch auf die Hochschulforschung auszuweiten. Zudem könnte dies eine Erweiterung der Zielgruppen bedeuten, von der die GMW ja nur profitieren würde.

Ich habe noch nicht alle Beiträge des Bandes gelesen, aber nach der Lektüre einiger ausgewählter Texte und einem Überblick über die andere Beiträge, muss ich Joachim zustimmen, dass es sich lohnt, sich ein wenig mehr Zeit für den Band zu nehmen (auch wenn nicht alle Artikel auf demselben Niveau sind). Abschließend möchte ich noch Rolf Schulmeister (S. 321) zustimmen, der auf ein aus meiner Sicht wichtiges Spanungsfeld beim Einsatz aktueller digitaler Medien speziell in Bildungsinstitutionen hinweist: „Es ist zu erwarten, dass sich auf diese Weise ein Widerspruch zwischen der naturwüchsigen Innovation und der ungeordneten Vielfalt an Methoden im Internet einerseits und den Bemühungen um Standardisierung der Schnittstellen, die für die Kooperation notwendig sind, einstellen wird, der die Fähigkeit zur Kooperation einschränken kann.“

Universitäre Praxis als Ressourcenmanagement

Angeregt durch die Lektüre von Richard Münchs „Globale Eliten, lokale Autoritäten“ (auf Rezensionen dazu habe ich hier verwiesen) lese ich gerade einige Artikel aus dem Sammelband „Wissenschaft unter Beobachtung. Effekte und Defekte von Evaluationen„, herausgegeben 2008 von H. Matthies und D. Simon (VS Verlag für Sozialwissenschaften). Die dort versammelten Autoren (mit Ausnahme des letzten: der ist Restaurantkritiker und bringt eine treffende Analogie für die „Evaluitis“ aus dem Bereich der Sterne-Restaurants) stammen (fast) alle aus dem weiten Umkreis von (Wissenschafts-)Soziologie und Politikwissenschaft. Für Psychologen und Pädagogen ist das daher nicht ganz so einfach zu lesen, aber äußerst anregend. Das Buch ist ein sehr gutes Pendant zu Münch, der natürlich einen eigenen (für mich an vielen Stellen durchaus überzeugenden) Argumentationsstil hat und sicher nicht alle möglichen Argumente und Sichtweisen entfalten kann, wenn es darum geht, Phänomene wie New Public Management und die damit verbundene Ökonomisierung von Bildung und Wissenschaft zu beschreiben und einzuschätzen.

Ein Beitrag beschäftigt sich mit der unternehmerischen Orientierung von Wissenschaftsorganisationen, der mich immer wieder daran erinnert, dass es Zeit wird, das auch von mir bearbeitete Thema „Wissensmanagement“ in öffentlichen und nicht kommerziell ausgerichteten Organisationen vor diesem Hintergrund noch kritischer zu beleuchten. In der Überarbeitung meines Studientextes (bei dem aber das letzte Kapitel leider immer noch aussteht; siehe hier) habe ich das bereits berücksichtigt, aber nachdem ich in den letzten Wochen wegen zweier im Juni anstehender Vorträge vermehrt Texte zum hier angerissenen Themengebiet gelesen habe, muss ich darüber noch vertiefter nachdenken. Leider gibt es zum Band von Matthies und Simon nichts online.

Zitiert wird in einem Artikel aber ein kurzer und lesenswerter Artikel von David Gugerli, Professor für Technikgeschichte an der ETH Zürich (2005), der die unternehmerische Ausrichtung der eigenen Universität zum Ausgangspunkt einiger Ausführungen nimmt (hier): Die forschungsorientierte Hochschule des 21. Jahrhunderts folge – so schreibt er – den Regeln des New Public Management und werde mit unternehmerischen Controlling- Technologien überwacht, sodass aus ihrer akademischen Autonomie eine betriebswirtschaftliche Budgetautonomie geworden sei. Aus der Managementkultur – so Gugerli – folge ein Zwang zur Formalisierung, der Inhalte oft zu einer zweitrangigen Sache werden lasse oder sogar die Wirkung von negativen Anreizen habe, in jedem Fall die in der Wissenschaft so notwendige Kreativität untergrabe. Zitat: „Management ist als Topos … allgegenwärtig – der Zuwachs der Bedeutung universitärer Verwaltung ist unübersehbar. Er geht einher mit einer zunehmenden Marktförmigkeit der Produkte und der Sozialbeziehungen innerhalb der Hochschule, und er verwandelt universitäre Praxis in eine Sonderform von Ressourcenmanagement.“

Eines frage ich mich: Wenn sich doch offenbar eine ganze Reihe von Hochschulangehören aus verschiedenen Disziplinen einig sind, dass der jetzt eingeschlagene Weg zwar eine notwendig andere Richtung nimmt als früher (denn früher war ja wohl nicht alles besser), aber offenbar nicht der richtige, sondern ein für das Gefährt sogar riskanter Weg ist (deren Wegweiser verwirrend und auch nicht immer glaubwürdig sind), warum bleiben wir dann nicht stehen und suchen einen anderen? Warum traben wir weiter zwanghaft auf diesem Weg weiter?