Was lehrt ein Tag der Lehre?

Gestern war ich an der Universität Zürich (die übrigens aus meiner Sicht eine wirklich gute Web-Seite hat!) beim „Tag der Lehre“, der 2009 das erste Mal stattfand. Ziel ist es, auf diesem Wege einen Dialog zwischen Studierenden und Lehrenden anzustoßen. Dazu gibt es verschiedene Aktivitäten auf Fakultäts- und Institutsebene (dezentral organisiert) sowie gesamtuniversitäre Angebote (siehe hier). Ich war zur Abschlussveranstaltung am Tag der Lehre eingeladen und habe einen Vortrag über den Begriff der „Studierendenorientierung“ gehalten. Zum Vortrag gab es eine Plenumsdiskussion, auf die sich die Diskussionsteilnehmer auch ein wenig vorbereiten konnten. Ich wurde nämlich vorab gebeten, eine Art Abstract/Thesenpapier zu liefern, das ich auch hier bereitstelle

Abstract_Thesen_Zuerich_Okt10

Die hinter dem Vortrag stehenden Überlegungen habe ich zusammen mit Tobias Jenert in einem schriftlichen Artikel ausgearbeitet, den wir aber gerade bei einer Zeitschrift eingereicht haben, sodass ich ihn hier im Moment nicht hochladen kann, aber das kommt dann noch – unabhängig davon ob er angenommen wird oder nicht ;-).

Bei der Erarbeitung des Vortrags bzw. Artikels habe ich etliche Überlegungen aufgegriffen, die mir schon seit langem immer wieder durch den Kopf gehen. Aber wie das so ist: Erst infolge von Veranstaltungen oder Publikationen findet bzw. nimmt man sich dann auch die Zeit, das gründlicher zu durchdenken und mit bestehenden Erkenntnissen aus der Literatur zu verbinden. Jedenfalls meine ich, dass es sich gelohnt hat: Es erscheint mir wichtig, sich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis sehr genau zu überlegen, was das heißt, wenn man sich zum Prinzip setzt, sich in der Lehre „am Studierenden zu orientieren“. Wenn man es nur nachplappert (ähnlich Begriffen wie Innovation und Nachhaltigkeit), dann sollte man es besser gleich sein lassen. Wenn man eine ganz bestimmte Vorstellung davon hat, dann ist es hilfreich, diese zu explizieren, denn – wie ich im Vortrag versucht habe zu zeigen – es gibt sehr wohl recht unterschiedliche Vorstellungen von Studierendenorientierung. Deutlich wird das vielleicht auf der folgenden Abbildung – auch wenn ich diese an sich ohne nähere Erläuterung nicht so recht mag 😉

Studierendenorientierung

Ich hoffe, dass ich in Zürich einen Beitrag zum Weiterdiskutieren und -denken mit dem Thema „Studierendenorientierung“ liefern konnte. Die Diskussionsrunde (inklusive Plenum) jedenfalls war durchaus rege: Mein Vorschlag, die „Bildungsorientierung“ als mögliche Alternative zur Studierendenorientierung zu betrachten, wurde erstaunlich positiv und produktiv aufgegriffen. Auch im Nachgang der Veranstaltung gab es ein paar interessante Gespräche, die gezeigt haben, dass das Thema die Gemüter bewegen kann und dass eine „Lösung“ freilich nicht in bloßen Begriffen liegen kann.

Und da die Züricher wirklich turbo-schnell sind, gibt es sogar schon einen ausführlichen Bericht über die Veranstaltung, nämlich hier.

Weltraummüll

Christian Spannagel hat – neben einigen anderen interessanten Berichten aus Maputo – in seinem Blog am Ende des letzten Beitrags über den Einsatz von Wikis auf ein aus meiner Sicht wichtiges Problem hingewiesen, zu dem sich auch einige Leser in Kommentaren geäußert haben. Er schreibt: „Es ist zwar gut verstanden worden, wie man mit einem Wiki arbeitet und wofür das gut ist. Allerdings sind die inhaltlichen Ergebnisse nicht sonderlich überzeugend. Problem: Was macht man jetzt? Die Studierenden arbeiten nicht mehr darin, und die Ergebnisse stehen nun mehr oder weniger halbfertig und halbkorrekt im Internet. Soll ich das als Dozent verbessern? Soll ich einen Kommentar auf die Seite schreiben, der die Inhalte relativiert?“ Den Kommentaren kann man entnehmen, dass diese Erfahrung unabhängig von der Nationalität der Lernenden und von der Person des Lehrenden ist: Viele Angebote, gerade auch solche, die man mit Hilfe von Web 2.0-Anwendungen, macht, werden von wenigen oder auch mal gar keinen Studierenden aufgegriffen, sofern es nicht unmittelbar prüfungsrelevant oder sonst irgendwie „erzwungen“ ist. Für die Qualität dieser Inhalte kann man auch nicht die Hand ins Feuer legen – das kann sehr gut, okay oder auch schon mal einfach nur schlecht und/oder schlampig sein. Sind diese Dinge öffentlich zugänglich, ist Christians Frage, wie man damit umgehen soll, auf jeden Fall gerechtfertigt.

Dass das – wie einige Kommentatoren meinen – „nicht so schlimm“ sei und man sich „keinen Stress machen“ solle, ist mir zu einfach. Müssen wir als Lehrende wirklich auch noch dazu beitragen, dass global verstreute Inhalte, die nichts taugen, an Umfang wachsen und dann wie Weltraummüll nicht mehr eingefangen werden können? Dass man – so ein anderer Vorschlag – das Ergebnis umbenennen solle „weg vom Inhalt hin zum Prozess“ (als „work in progress“) erscheint mir schon sinnvoller, aber auch nicht optimal, denn: Wenn man eh weiß (oder erwartet), dass z.B. das Wiki ein Friedhof bleiben wird, ist dann der Hinweis auf einen wie auch immer gearteten Fortschritt wirklich gerechtfertigt? Dann also besser keine Öffentlichkeit für “Wissensprodukte“, die aus der Lehre kommen? Das wäre dann auch eine extreme Reaktion, denn es gibt sie auch – die tollen Ergebnisse, auf die man als Lehrender stolz ist. Deswegen bin ich auch ein bisschen stolz auf das immer noch existierende w.e.b.Square in Augsburg, wo wir zumindest mal EINE Lösung für einen TEIL des skizzierten Problems gefunden haben. Jedenfalls bin ich inzwischen der Meinung, dass man besser nicht alle möglichen studentischen Inhalte gleich veröffentlichen sollte, dass man als Lehrender auf die Qualität der öffentlich zugänglichen Inhalte achten oder andere Strategien einführen muss, dass so etwas wie Qualitätssicherung stattfindet, und dass halbfertige oder schlechte Inhalte zwar öffentlich reflektiert werden können, aber ansonsten (ohne Reflexion) besser den Papierkorb wandern sollten.

Der Lehrpreis als Ersatzhandlung

Mandy Schiefner und Balthasar Eugster haben einen sehr anregenden Text zum Thema „Lehrpreise“ geschrieben (die dazu bereits gelaufene Diskussion ist übrigens durchaus genauso anregend). Eingeordnet haben sie ihre Erörterungen über Ziele und Wirkungen von Lehrpreisen in die übergeordnete Frage, wie man Lehre sichtbar machen kann, was das eigentlich heißt und für wen und wozu das nützlich ist. Zum Einstieg werden zwei Konzepte von „Sichtbarkeit“ unterschieden: einmal im wörtlichen Sinne die Sichtbarkeit als das, was man mit seinen Augen wahrnehmen kann, und des Weiteren im übertragenen Sinne die Sichtbarkeit als das, was auf der Agenda steht und entsprechend diskutiert wird. Diese Unterscheidung finde ich schon mal ausgesprochen wichtig. Eine weitere aus meiner Sicht ganz essenzielle Frage ist die, was man denn eigentlich sichtbar macht, wenn man Lehre z.B. über Lehrportfolios dokumentiert, wenn man Lehre über Fragebögen evaluiert, wenn man in Lehrveranstaltungen hospitiert oder eben z.B. Lehrpreise vergibt. Dabei wird deutlich, dass vor allem die so wichtigen Vor- und Nachbereitungen eines Lehrenden fast immer unsichtbar bleiben – am ehesten besteht da noch in Lehrportfolios die Chance, genau das mitzubekommen; diese aber werden selten öffentlich gemacht. Schließlich spielt natürlich das „Wozu“ der Sichtbarmachung von Lehre eine ganz wichtige Rolle. Hier unterscheiden die beiden Autoren den Dialog, die Qualitätsverbesserung von Lehre und den Kompetenznachweis. Man könnte noch darüber nachdenken, wie diese drei Funktionen denn genau zusammenhängen. Was man vielleicht noch genauer unterscheiden könnte, ist die Lehre als Produkt und als Prozess. In Analogie zur Narration, bei der man den Prozess des Erzählens ebenso wie das Produkt der Geschichte in Zentrum rücken kann, stellt sich auch die Lehre jeweils anders dar, wenn man den Prozess des Lehrens an sich und das Lehrkonzept als zugrundeliegendes Produkt (z.B. ein didaktisches Muster!) unterscheidet.

Am Ende kommen Mandy und Balthasar zu dem Schluss, dass speziell der Lehrpreis eigentlich kaum etwas sichtbar macht, das Wesentliches über die Lehre aussagen könnte. „Seine Vergabe ist eine Art Ersatzhandlung für die immer wieder scheiternde Bestimmung von Lehrqualität“ (S. 19). Leider ist genau das vielen politisch Verantwortlichen oder auch didaktisch völlig ungeschulten Personen überhaupt nicht klar. Oder es ist ihnen klar und sie hoffen, dass es allen anderen nicht klar ist. Manchmal kommt mir das vor wie bei Aktionen zur Frauenförderung: Man bietet an der Oberfläche irgendwelche „Ersatzhandlungen“ für wirklich tief greifende Veränderungen an, um die potenziell Aufbegehrenden ruhigzustellen. Lehrpreise signalisieren, dass man „was tut für die Lehre“. In Wahrheit – so meine Befürchtung – ist gute Lehre im Vergleich zu einer ertragreichen naturwissenschaftlich-technischen Forschung kaum etwas wert (siehe hierzu auch die Diskussion in Mandys Beitrag). Vielleicht ist es sogar völlig egal – was nur diejenigen nicht wahrhaben können und wollen, die sich um gute Lehre in Forschung und Praxis bemühen.

Kalt erwischt

Mein erstes „Trimester“ liegt nun schon wieder zwei Monate hinter mir. Bald folgt die lange „Vorlesungsphase“ – nur von ganz wenigen Wochen (Weihnachten z.B.) unterbrochen, und ich bin mal gespannt, wie sich das so auf meine Arbeitsroutinen auswirkt, wenn die „Pause“ von Mitte/Ende Februar bis bitte April fehlt. Das ist das eine, das andere sind meine ersten Erfahrungen mit den Studierenden der UniBw. Wie fange ich da jetzt an? Vielleicht mit meiner falschen Annahme, ich wüsste, wie man Lehrveranstaltungen so gestaltet, dass zumindest die Mehrheit der Studierenden mitzieht und am Ende zufriedenstellende Ergebnisse resultieren. Genau das nämlich ist mir zwischen April und Juni 2010 eher nicht gelungen. Nun muss ich allerdings (zur Vermeidung allzu einseitiger Zuschreibungen) dazu sagen, dass ich bereits im letzten Augsburger „Vorlesungsexperiment“ (siehe z.B. hier) ziemlich ernüchtert war und auch im MuK-Studiengang Veränderungen in den letzten Semestern festgestellt hatte, was z.B. Experimentierfreude, Basisfähigkeiten und Engagement der Studierenden betrifft (wofür es viele Gründe geben kann, auf die ich hier jetzt nicht eingehe). Trotz dieser Relativierung muss ich zugeben, dass es mich in München erst mal besonders kalt erwischt hat. Zum Thema Didaktisches Design habe ich auf der Grundlage meines Studientextes (hier) eine Veranstaltung für insgesamt 70 Studierende angeboten und diese – so meine ich – einigermaßen interaktiv aufgebaut. Damit man sich ein Bild machen kann, hier das Konzept (der Leitfaden quasi für mich und meine beiden Mitarbeiter).

VL_Konzept_Doz_Leitfaden_2010

Ähnlich habe ich bereits in Augsburg mehrfach gearbeitet, etwa zum Thema Wissensmanagement, zu dem es einen analogen Studientext gibt (hier). Die Erfahrungen waren bei diesem Konzept immer recht positiv. Das war der Plan. Aber einiges kam anders. Da mein Laut-Denk-Protokoll etwas länger geworden ist, habe ich es in einem Dokument gespeichert. Hier ist es:

Gedankenprotokoll_erstes_Trimester_2010

Lieber am Badesee

Freitag Nachmittag bei weit über 30 Grad – das ist eher keine Zeit, zu der man sich einen Vortrag anhören möchte. Dennoch waren einige interessierte Zuhörer/innen da, als ich gestern im Rahmen der Friday Lectures – organisiert vom Center for Teaching and Learning der Universität Wien – einen Vortrag zur Studienganggestaltung gehalten habe. Es gab im Anschluss zwei Kurzvorträge von Ko-Referenten zum Thema – zum einen von Herbert Hrachovec, Vorsitzender der Curricularkommission des Senats der Universität Wien, sowie von Christian Brandstätter, einem Studierenden der TU Wien. Moderiert hat Martin Bernhofer vom ORF/Ö1. Das Format hat mir gut gefallen: Eine kurze Einführung, ca. 30 Minuten Vortrag, zweimal ca. 10 Minuten Ko-Referate, zu denen ich dann Stellung genommen habe, und schließlich eine allgemeine Diskussion. Alles wurde als Audio aufgezeichnet, sodass Interessierte, die bei ca. 36 Grad lieber einen Badesee aufgesucht haben, dennoch mitbekommen, wie die eineinhalb Stunden liefen. Hinterher haben ich zwei Studierenden noch ein Interview gegeben.

Interessant an der Diskussion war für mich, dass es in Österreich keine Akkreditierung von Studiengängen gibt, was sich aber ändern soll. Man kann nur hoffen, dass man aus den in dieser Hinsicht schon begangenen Fehlern (in anderen Ländern) lernt. Ob meine Grundidee, die Studienganggestaltung endlich auch wieder als eine didaktische und nicht mehr bloß logistische Herausforderung zu sehen, wirklich angekommen ist, das weiß ich nicht so genau. Letztlich landeten wir nämlich doch wieder bei den hochschulpolitischen Problemen, bei denen wir als Hochschullehrer nicht unmittelbar und in Eigenregie richtig tätig werden können, um zu Lösungen zu kommen.

Hier nun der Vortrag zum Nachlesen (für die, die lieber lesen als zuhören):

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Mut zur Lehre

„Die zählebigste Grundannahme ist die, der zufolge Lehren eine unverzichtbare Voraussetzung für die Initiierung und Begleitung von Lernprozessen sein soll“ – schreibt Rolf Arnold in der FAZ.net (hier) angesichts der nie endenden Klagen über die Lehre an deutschen Universitäten (danke an Sandra für den Link-Hinweis). Bologna, so Arnolds Argumentation, versuche, grundlegende Probleme des Lernens und Lehrens an unseren Unis durch „Mehr vom selben“ zu lösen, indem man z.B. den Präsenzunterricht erhöht und unter anderem auch die physische Präsenz kontrolliert. Dass dies keine sinnvolle Lösung ist, da stimme ich Arnold zu, wie ich kürzlich selbst in einem Interview (Blogbeitrag hier) erklärt habe. Meine volle Zustimmung hat Arnold auch in dem Argument, dass man im Zuge von Bologna dem Irrglaube unterliegt, dass man allein mit der Einrechnung des Selbststudiums in die Punktelogik der neuen Studiengänge sicherstellen könne, dass Studierende ein effektives Selbststudium praktizieren. Das Gegenteil dürfte (eben wegen mehr Präsenz-Anforderungen) der Fall sein.

Allerdings meine ich, dass Lehre sehr wohl etwas dazu beitragen kann, das Studierverhalten und damit das Lernen an sich (auch das Selbststudium) zu verbessern: Muss Lehre denn darauf beschränkt werden, langweile Vorlesungen zu halten, die – so Arnold – mit „aberwitzig geringen Behaltensquoten“ einhergehen und der „Verkündigungstradition der Kirche“ folgen? Nicht ganz klar ist mir außerdem, warum Arnold die Entwicklung von Selbstlernmaterialien von der Lehre abgekoppelt sieht: Vor mich besteht Lehren zum einen darin, geeignete Inhalte auszuwählen und aufzubereiten (Inhaltsdesign) und sich dann Gedanken darüber zu machen, mit welchen Methoden man Lernende darin unterstützen kann, aktiv mit diesen Inhalten umzugehen (Aufgabendesign). Wer Selbstlernmaterialien erstellt, der lehrt – finde ich! Aus dem Grund habe ich meinen Studientext (hier) auch genau so aufgebaut (nach Inhalts- und Aufgabendesign).

Wenn man ein solches Verständnis von Lehren hat, dann entsteht erst gar nicht eine so große Kluft zwischen Lernen und Lehren, wie Arnold sie sieht, und in der Folge empfiehlt, das Lehren besser nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen. Bringt es uns weiter, wenn wir das Lehren zum Feind des Lernens erklären? Wollen dahin kommen, dass sich jeder alles selbst beibringen soll? Ist das ein kultureller Fortschritt? Ich würde alle drei Fragen mit nein beantworten und mich für mehr „Mut zur Lehre“ aussprechen. Mut braucht man deshalb, weil man sich mit dem Anspruch, anderen etwas beibringen zu können (und zu wollen), natürlich angreifbar macht, weil man viele Fehler machen kann, weil man mit seiner Inhalts- und Aufgabenwahl danebenliegen kann, weil man es NIEMALS allen recht machen kann …. Aber ist das ein Grund, es sein zu lassen?

Anwesenheitslisten als Schlüsselreiz

Anlässlich eine Vortrags am 11. Juni in Wien (hier die Ankündigung) habe ich der Zeitung „Der Standard“ (Österreich) ein Interview gegeben, das online hier verfügbar nachzulesen ist. Es geht mal wieder um Bologna und die Frage, was da so alles schief läuft und wer dafür verantwortlich ist. Viele der Fragen sind/waren wirklich sehr schwer zu beantworten und was ich da sage, ist meine persönliche Meinung, die natürlich nur auf einem bestimmten Erfahrungsschatz – nämlich meinem – beruht. Interessant sind die vielen Kommentare (unter dem Interview), was man sonst selten beobachtet! Die meisten Kommentare sind zustimmend und erläuternd. Nicht wenige der Kommentare beziehen sich hauptsächlich auf die willkürlich herausgegriffene Aussage zu Anwesenheitslisten, die die Journalistin als Überschrift gewählt hat – nämlich dass ich KEINE Anwesenheitslisten führe (scheint also eine besonders attraktive Aussage zu sein ;-)). Daran sieht man mal wieder, wie aufmerksamkeitslenkend Titel sein können (übrigens auch ein Effekt bei Veranstaltungen). Unter den vielen Kommentaren sind auch einige (wenige), die sich unmittelbar auf die Universität der Bundeswehr beziehen. Nun ja, das ist mir klar, dass dies nun immer wieder ein Punkt sein wird, auf den ich angesprochen werde. Ich gebe zu, dass das auch lange ein Aspekt war, der mir bei der Rufannahme eine ganze Reihe Zweifel beschwert hat.

Also, vielleicht kann ich ein paar Punkte klar stellen. In einem Kommentar wurde angemerkt, dass man einer Universität der Bundeswehr ja wohl keine Anwesenheitslisten brauche. Also: Auch an einer Universität der Bundeswehr ist es – das kann ich jetzt in meinem ERSTEN Trimester sagen – keineswegs so, dass die Studierenden tatsächlich alle quasi „auf Befehl“ kommen – eher im Gegenteil. Meine ersten Erfahrungen sind so, dass es im Studierverhalten zwischen BA-Studierenden etwa der Uni Augsburg und der UniBw München im Hinblick auf „ökonomisches Denken bei Workload und Co.“ keine großen Unterschiede gibt. Auch die Sorgen wegen der Umstellung auf BA (in München nämlich ganz neu) sind vergleichbar mit dem, was ich Anfang 2000 in Augsburg erlebt habe. Übrigens: Auch an der Uni Augsburg habe ich keine Anwesenheitslisten geführt. Anfangs hatte ich das versucht und nicht den Eindruck, dass das irgendeinen wirklich gewinnbringenden Effekt hat. Deswegen habe ich es sehr schnell wieder sein gelassen. Ein weiterer Kommentator bezweifelt, ob man an der UniBw in München überhaupt frei denken dürfe. Dazu: Beide Universitäten der Bundeswehr unterliegen jeweils dem Hochschulgesetz des jeweiligen Landes (in München also Bayern). Es ist natürlich schon ein ziemlicher Unsinn zu sagen, man dürfe dort nicht frei denken. Natürlich ist der Kontext ein anderer als an anderen Unis. Aber Helmut Schmidt hat sich maßgeblich für die Gründung beider Unis eingesetzt, DAMIT genau die lernen, eigenverantwortlich zu denken, die später mal besonders große Verantwortung tragen. Ich nehme das ernst und finde es von daher besonders wichtig, die Grundsätze eines Universitätsstudiums dort umzusetzen, die im Zuge einer wachsenden Ökonomisierung übrigens an ALLEN Hochschulen in Gefahr sind!

PS: Leider sind die Angaben zu meiner Person in diesem Interview nicht so ganz richtig: Werder bin ich Medienpsychologin, sondern einfach „nur“ Dipl.-Psychologin 😉 noch habe eine Professur für Medienpädagogik, sondern für Lehren und Lernen mit Medien.

Redlich und praktisch

Mandy Schiefner und Peter Tremp (mit Mitarbeiter) von der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik an der Universität Zürich beschäftigen sich in zwei aktuellen Artikeln mit zwei aus meiner Sicht sehr wichtigen Themen, die eher nicht allzu oft und intensiv diskutiert werden, wenn es um Hochschullehre geht: nämlich wissenschaftliche Redlichkeit und Praktika im Studium.

Im Beitrag von Mandy Schiefner (hier online) geht es um die wissenschaftliche Redlichkeit: Im Zentrum steht zwar (vor allem laut Überschrift) das Plagiatsproblem. Der Text reflektiert aber darüber hinaus weitergehende Aspekte einer wissenschaftlichen Haltung und stellt sich die Frage, wie man diese im Studium vermitteln kann. Besonders gefallen hat mir der Ansatz, nicht nur nach Möglichkeiten zu suchen, Plagiate zu entdecken und zu sanktionieren, sondern sie zu vermeiden. Im Prinzip hat das Thema viel mit dem breiteren Konzept der Informationskompetenz zu tun. Dabei besteht hier die Chance, den Blick nicht nur auf trainierbare Fähigkeiten zu heften, sondern eben auch auf Einstellungen und Werte – weshalb die Bezeichnung „wissenschaftliche Redlichkeit“ recht treffend gewählt ist.

Im Beitrag von Markus Weil und Peter Tremp (hier online) werden Praktika im Studium näher beleuchtet. In der Lehrpraxis bleiben – so meine Erfahrung – oft keine Lehrressourcen übrig, um Studierende darin zu unterstützen, Erfahrungen aus dem Praktikum sinnvoll in das Studium einzubinden bzw. hierfür Unterstützung zu geben. Dies liegt womöglich auch daran, dass man sich bisher – von Ausnahmen einmal abgesehen – zu wenig um diese Verknüpfung gekümmert hat oder vielleicht keinen Bedarf gesehen hat, hier etwas zu unternehmen. Je größer aber der Ruf nach Praxisorientierung wird (wobei der Sinn dieser Forderungen durchaus hinterfragt werden sollte), umso wichtiger wird eine explizite curriculare Einbindung von Praktika. Hierzu bietet die Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik auch ein noch umfangreicheres Dossier an (online hier).

Experiment vorerst abgeschlossen

Über meine „Vorlesung“ im Wintersemester 2009/10 (die an sich keine ist) habe ich hier ja bereits mehrfach berichtet (das Konzept kann man hier nachlesen; meine Gedanken zum Einstieg finden sich hier). Kurz vor Weihnachten nun haben wir den letzten Podcast, der sich auf prüfungsrelevante Inhalte bezieht, hochgeladen und die Arbeit im Wiki abgeschlossen (zwei zusätzliche, kürzere, Podcasts folgen noch). Die Podcasts sind in unserem „Vorlesungsblog“ alle öffentlich zugänglich; dies gilt auch für das dazugehörige Textmaterial, falls es im Netz ist. Eingescannte Textquellen kann ich leider nur den Studierenden im geschlossenen Raum zur Verfügung stellen. Das Wiki ist ebenfalls aus gutem Grund nicht öffentlich, denn es enthält auch meine Kritik an den Fragen und Antworten der Studierenden und bereitet unmittelbar auf die Klausur Ende Januar vor.

Über die Wiki-Arbeit, mit der die Studierenden gewissermaßen ihre eigene Klausur konstruieren, habe ich anderer Stelle (hier) bereits einen Zwischenbericht geliefert: Die Aktivität in den insgesamt acht „Wiki-Runden“ war leicht schwankend, aber alles in allem so, dass stets ausreichend viele (zwischen 20 und 40 Studierende) daran beteiligt waren. Die vier dazugehörigen Tutorien wurden (sogar am 23.12.2009) ebenfalls gut besucht. Unser erster Eindruck ist, dass die Aktivität zum größten Teil von den Studierenden des Studiengangs „Medien und Kommunikation“ (rund 60 Studierende) ausging, während die zahlreichen Nebenfachstudierenden offenbar weniger Zeit und Energie investieren wollten. Aktuell läuft eine Befragung unter den Veranstaltungsteilnehmern, damit wir unsere eigenen Beobachtungen (Abruf der Podcasts, Aktivität im Wiki, Mitarbeit im Tutorium) durch die Einschätzungen der Studierende komplettieren können. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse!

Das Kreuz mit dem Neuen

Wieder nichts Neues gehört – wer kennt dieses Gefühl nicht auf Tagungen und Messen, von denen viele dann gerne sagen, dass es ja ohnehin so zu erwarten ist und nur die soziale Interaktion und das „Networking“ investierte Zeit und Kosten rechtfertigen. Und so beklagt auch Jochen Robes (hier) am Ende der Campus Innovation 2009 in Hamburg, innovative Lernszenarien seien kein Thema gewesen. (Eine schöne Zusammenfassung speziell des E-Learning-Tracks der Konferenz befindet sich übrigens hier und Frank hat seine Eindrücke ebenfalls bereits hier zusammengefasst.)

Wo bleiben die Innovationen? Warum hören wir nichts Neues? Wir hören alle gerne etwas Neues, denn das vertreibt die Langeweile. Wir hören auch gerne etwas Provokatives, denn das fordert unsere Aufmerksamkeit. Man kann das auf Tagungen gut beobachten: Schlaue Redner nutzen diesen Effekt. Sie polarisieren, wagen konträre Thesen zum Mainstream, sprechen den Zuhörer an und liefern spektakuläre Beispiele. Das ist einerseits in Ordnung so, denn das regt Diskussionen an. Es ist andererseits auch gefährlich, weil es die Vernunft auch mal zeitweise vernebeln kann. Nun mag das bei unseren Themen nicht so schlimm sein (anders als bei politischen Themen), aber zum Problem wird es dann doch, wenn die Kluft zwischen dem Bildungsalltag und den Vortragsinhalten zu groß wird.

Also schön auf dem Teppich bleiben? Einen Großteil eines Vortrags nutzen, um Kooperationspartner in Projekten aufzuzählen, die immer gleichen gesellschaftlichen, institutionellen und organisationalen Rahmenbedingungen vortragen und am Ende bei einem Screenshot landen? Nein, wollen wir auch nicht. Das unterhält einen nicht und beinhaltet keine überraschenden Momente, auf die der Mensch nun mal gepolt ist. Aber Moment: Brauchen wir das Neue, die Innovation nur zur Unterhaltung? Manchmal habe ich genau diesen Eindruck.

Seien wir doch mal ehrlich: Wenn wir z.B. an der Hochschule etwas verändern, wenn wir die Lehre an einzelnen Stellen besser machen und was Neues ausprobieren, dann ist das als „Erzählstoff“ meistens nicht so rasend spannend. Es sind in der Regel „inkrementelle Innovationen“, die per definitionem keine nach außen deutlich erkennbaren Veränderungen anstoßen, weil sie am Bestehenden ansetzen und dieses weiterentwickeln. Es gibt viele (nein, bestimmt nicht die Mehrheit, das ist auch klar) Lehrende, die genau das jedes Semester machen oder versuchen. Flammende Reden kann man darüber leider kaum schwingen. Innovationen, die auf einen Schlag zeigen, dass man es auch anders machen kann, sind in der Bildungspraxis, so meine Ansicht, wohl in hohem Maße daran gekoppelt, dass man neben Medien und Methoden in der Lehre auch Rahmenbedingungen ändert. Die wohl wirkungsvollste Rahmenbedingung ist das Prüfungswesen, das jedes Studium lenkt wie kein anderer Umstand. Ein anderer Aspekt sind hier sicher die Ressourcen und auf jeden Fall auch Dinge, wie die Länge eines Studiums (weshalb ja auch Bologna deutlich sichtbare Veränderungen bewirkt hat) oder die schleichende bis offene Ökonomisierung der Bildungslandschaft. Das ist der Stoff für Keynotes, hier kann man bestehende Bedingungen anprangern und Visionen für die Zukunft ausmalen und wenn es hier tatsächlich mal zu revolutionären Änderungen käme, hätte man von einer deutlichen Innovation zu berichten.

Vielleicht müssten wir uns auf Konferenzen hierüber mehr Klarheit verschaffen. Wenn man auf einer Konferenz ein, zwei „echte“ Keynotes hört, die unterhaltsam sind, weil sie handwerklich gut gemacht sind und inhaltlich durch deutlich erkennbar neue Ideen und Gedanken zum Nachdenken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auffordern, und wenn man darüber hinaus über Projektbeispiele und die dort gemachten Erfahrungen mit den naturgemäß mühsamen und langsamen kleinen Schritten informiert wird, dann ist das aus meiner Sich durchaus in Ordnung so. Wir müssten uns vielleicht klarer über unsere Erwartungen werden und nicht mit einem diffusen Unterhaltungsbedürfnis im Plenum sitzen: Was leistet eine gute Keynote, was leistet ein Projektbericht und was erwarten wir uns von den Diskussionen, die hoffentlich auch noch stattfinden, und was erhoffen wir uns von anderen Formaten wie BarCamps u. ä.? Eine ähnliche Frage kann man schließlich auch inhaltlich stellen: Was erwarten wir uns von Innovationen in der Bildung, wie viel Neues brauchen wir und was genau müssten wir erneuern? Wie viel revolutionäre Ideen brauchen wir (und wir brauchen sie), wie viele sind aber auch genug und wo mangelt es eher an den vielen kleinen, aber konkreten Beispielen für neue Strukturen und Prozesse für die Lehre? Es kann auf keinen Fall sein, dass wir Konzepte entsorgen, weil sie als Schlagwort nicht mehr ziehen und bei der Umsetzung (erwartungsgemäß) Probleme bereiten, um uns auf die Suche nach wieder neuen Begriffen zu machen – die erneut zur Unterhaltung taugen.