Situiertes Lernen: noch (immer) ein Thema?

Im September werde ich auf dem Fernausbildungskongress der Bundeswehr einen Vortrag mit dem Titel halten“ Wie praktisch ist die Universität? Chancen und Grenzen des situierten Lernens mit digitalen Medien“ (hier das Abstract: Abstract_Hamburg_Sept09). Ich werde dabei versuchen, eine Verbindung zwischen dem Ansatz des situierten Lernens und dem Ansatz des forschenden Lernens herzustellen. Bei der Recherche bin ich auf einen Artikel gestoßen, der – obschon unter der Überschrift des selbstorganisierten Lernens – einen guten und kompakten Überblick u. a. über das situierte Lernen gibt. Das will ich anderen Interessierten nicht vorenthalten: Der Beitrag ist aus der Onlinezeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik und ist hier online abrufbar. Empfehlenswert!

Leidenschaftliche Bildung

Ich bin ja ein großer Fan bin Peter Bieris Buch „Das Handwerk der Freiheit“ – nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art, wie es geschrieben ist. Nun habe ich durch Zufall einen Text (der Text einer Rede von 2005) entdeckt, den ich denjenigen, die sich immer mal wieder Gedanken um den Bildungsbegriff machen, nicht vorenthalten will. Titel: „Wie wäre es, gebildet zu sein?“. Darin klopft er ganz verschiedene Facetten des Bildungsbegriffs ab und versucht auf diesem Wege eine Konkretisierung, die ich recht gelungen finde, auch wenn man vieles natürlich schon an vielen anderen Stellen gelesen hat. Trotzdem: der kurze Text ist eine verständliche und alltagsrelevante Hinführung zu einem Begriff, der uns immer wieder Probleme bereitet und doch so wichtig ist. Muss man selbst lesen – an der Stelle möchte ich nur einen der abschließenden Sätze zitieren: „Der Gebildete ist an seinen heftigen Reaktionen auf alles zu erkennen, was Bildung verhindert“ – leidenschaftliche Bildung eben, wie er das in seinem letzten Absatz nennt.

Wikibu – ein Anfang

Über Beat bin ich auf ein Werkzeug aufmerksam geworden, das Wikipedia-Nutzern insbesondere in Bildungskontexten (speziell Schule) dabei helfen soll, die Qualität von Wikipedia-Artikeln einzuschätzen: Wikibu. Es werden gewissermaßen Kriterien vorgegeben, an denen man sich bei einer Qualitätseinschätzung entlang hangeln kann (kann man hier genauer nachlesen). Dabei bleibt die Aufmachung gut an typischen Bewertungsmustern, wie man sie auch bei anderen Web 2.0-Anwendungen kennt, was womöglich die Akzeptanz erhöht. Die Entwickler kommen vom Zentrum für Bildungsinformatik der Pädagogischen Hochschule Bern; die Idee stammt von Werner Hartmann.

Ich stimme Beat zu, dass das ein konstruktiver Vorstoß nicht nur für die Schule ist (das könnte man der Uni ebenso einsetzen, finde ich), um den Umgang mit Wikipedia zu verbessern – statt fantasielose Verbote auszusprechen. Ebenso richtig ist aus meiner Sicht Beats Kritik, dass man sich dabei noch auf quantifizierbare Kriterien allein verlässt. Das ist nicht ganz ungefährlich, zumal da es den Glaube an die „Intelligenz der Massen“ bestärkt, an der ich meine erheblichen Zweifel habe. Auch wissen wir gerade im Wissenschaftsbereich, wie hartnäckig sich falsche oder nie belegte Aussagen halten (z.B. die Aufsummierung des Lernerfolgs mit Zunahme der beanspruchten Sinne). Trotzdem ist das Werkzeug ein guter und vor allem praktisch sofort umsetzbarer Anfang. Man könnte ja versuchen, die Kriterien zu ergänzen oder einige zu ersetzen, die mehr qualitative Urteile einfordern – auch wenn die dann natürlich stärker der subjektiven Verzerrung ausgeliefert sind. Hier wäre es dann natürlich nützlich, wenn eine gewisse kritische Masse ihr Urteil abgibt. Solche Kriterien zu finden, dürfte allerdings nicht gerade leicht sein. Da müssten sich mal mehrere zusammensetzen und darüber nachdenken – und die Vorschläge dann im Netz bewerten lassen ;-).

Keine Vorzeige-Community

In meinem Vortrag in Hamburg vor eineinhalb Wochen habe ich aus der Schrift der Bundesassistentenkonferenz von 1970 zitiert und u.a. darauf hingewiesen, dass schon die damaligen Verfechter des forschenden Lernens begleitende Lernformen vorgeschlagen haben – und zwar nicht nur das genetische und das reflexive (bzw. kritische) Lernen, sondern durchaus auch das rezeptive Lernen. Letzteres sei vor allem dann sinnvoll, wenn es einen konsensfähigen Wissenskanon gäbe. Das sehe ich auch so, auch wenn es speziell in unseren Fächern keinen so klaren Konsens darüber gibt, was man wissen sollte (Kanon) und was exemplarisch bleiben kann und muss. Dennoch meine ich, dass man sich zumindest auf einen Kern an Inhalte einigen könnte, den man in bildungswissenschaftlichen und mediendidaktischen Studiengängen oder Modulen kennen sollte. Für solche Zwecke ist die gesamte Diskussion um „Reusable Learning Objects“ (um die es wieder ruhiger geworden ist) wichtig.

Und genau hierher gehören aus meiner Sicht Materialsammlungen, für die jetzt Michael Kerres mit seinem Team einen Beitrag auf YouTube leistet (hier): Das finde ich sehr gut und sicher werde ich das eine oder andere Video nutzen. Aber unabhängig von den konkreten Videos wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, dass wir als Lehrende an der Hochschule beginnen, überhaupt solche Fundstücke und Materialien systematisch ! zu teilen, von denen man zumindest erwarten oder hoffen kann, dass sie zu einem Wissenskanon gehören. Wir Lehrende sind in dieser Hinsicht eigentlich eine schlechte Community, jedenfalls keine Vorzeige-Community. Es ist zwar richtig, dass es nicht so einfach ist (wie man es mal geglaubt hat), einzelne Materialien wie einen Legostein (so eine Metapher, die auch Peter Baumgartner mal gebraucht hat) auf die bereits bestehenden Legobauten draufzusetzen oder diese untereinander zu ersetzen, denn immerhin gibt es – im Idealfall – so etwas wie eine innere Logik einer Veranstaltung (oder eines Moduls). Trotzdem: Oft suche ich ewig nach einem guten und geeigneten Text zu einem Thema für die Studierenden, nach einem Audio oder Video und verbrauche dabei sehr viel Zeit. Hier könnten wir uns letztlich schon besser untereinander unter die Arme greifen. Wir müssten da eine entsprechende Community of Practice aufbauen, Inhalte nach einer bestimmten Logik sammeln und kommentieren und diese Inhalte auch pflegen und könnten auf diesem Wege womöglich – mittelfristig zumindest – viel Zeit sparen.

Stell dir vor, du liest deutsch und verstehst jeden Satz

Seit Mai erfreut uns der Sprachpabst Wolf Schneider jeden Monat mit einer kurzen Videokolumne der SZ.

Die erste Folge dreht sich um ein Thema, das uns auch in der Wissenschaftssprache immer wieder Probleme macht: Die weibliche Form. Er hat – wie zu erwarten – ein schönes Beispiel parat, nämlich eine Arbeitsplatzbeschreibung des NDR, die wie folgt lautet: „Der Intendant bzw. die Intendantin ernennt seinen Stellvertreter bzw. seine Stellvertreterin bzw. ihren Stellvertreter bzw. ihre Stellvertreterin“. Dazu Wolf Schneider: „Das Problem ist: Die Frauen SIND in der Sprache benachteiligt ….“ Aber das Beispiel zeige eben, zu welch lächerlicher Umständlichkeit es führen kann, wenn man versucht, dieses Problem in der Sprache mit dem „-innen“ zu lösen. Recht hat er.

In der zweiten Folge wendet sich Schneider direkt an die „lieben Deutschlehrer“ und fragt sich, wie einer Deutsch lehren soll, der sich nach den hiesigen Richtlinien orientiert, und zitiert ein paar exotische Vorgaben an die armen Lehrer (schön ist etwa der zitierte „motivliche und gattungspoetische Hintergrund“). Aber auch aus der FAZ gibt es Beispiele, die exemplarisch die Scheußlichkeit auch vieler wissenschaftlicher Sätze zum Ausdruck bringt. Schneider endet seine zweite Videokolumne mit den Worten: „Stell dir vor, du liest deutsch und verstehst jeden Satz“ …. träumen darf man ja.

Zwischenbilanz

Eine Zwischenblanz versucht der 50. Band der GMW-Reihe mit dem Titel: „E-Learning: Eine Zwischenbilanz. Kritischer Rückblick als Basis eines Aufbruchs„. Das ist eine gute Idee, hilft es doch tatsächlich oft für weitere Entwicklungen, wenn man mal zurückblickt und sortiert, was alles gelungen, was misslungen und was offen geblieben ist und welche Gründe es dafür geben könnte. Aufschlussreich sind die Beiträge von Simone Haug und Joachim Wedekind (eine Bilanzierung zu Förderprojekten) einerseits und Peter Baumgartner und Reinhard Bauer (eine Bilanzierung zum Medidaprix) andererseits und in Ergänzung dazu das Expertenstatement von Michael Kindt, weil sie deutlich machen, wie stark die Bemühungen um das Lernen und Lehren mit digitalen Medien (an der Hochschule) von Faktoren außerhalb der Hochschule, allem voran vom bildungspolitischen Klima und dazugehörigen Entscheidungen (bei denen es schlicht ums Geld geht) beeinflusst werden. Speziell die Föderalismusreform hat in Deutschland diesbezüglich gravierende Folgen gehabt. Michael Kindt (S. 98) formuliert es eher vorsichtig, was nach der letzen 2006 ausgelaufenen Förderrunde aktuell der Fall ist: „Weder Bund noch Länder fühlen sich wirklich veranlasst, die mit enormen Aufwand initiierten Entwicklungsstränge auszuwerten, z. B. auf Einflussfaktoren zu untersuchen, die im Sinne der Zielsetzungen förderlich oder hinderlich waren oder evtl. weitere Perspektiven und einen entsprechenden Förderbedarf auszuloten.“ Man könnte es auch drastischer sagen: Niemand hat mehr einen Überblick, jedes Land hat seine eigene Strategie, aber es eint sie der Versuch, die Verantwortung an die einzelnen Hochschulen weiterzureichen, die aus finanzieller Not nur da investieren, wo ein rascher „Return on Investment“ zu erwarten ist. Um den zu finden (und man finden ihn in der Bildung meistens nicht, weil die Effekte zwar nachhaltig, aber äußerst träge sind) und zu nutzen, scheuen manche Hochschulleitungen auch vor Beratungs- und Marketingfirmen nicht mehr zurück.

Mir selbst fällt (negativ) auf (und es wird mit beim Lesen des neuen Bandes wieder klar), dass der Einfluss der E-Learning Community auf die Bildungsforschung insgesamt sehr klein ist (was ich damit meine, kann man genauer hier nachlesen). Das ist ausgesprochen bedauerlich und ob ich mit meinen Überlegungen, woran das liegen könnte, richtig liege, weiß ich letztlich nicht genau. Allerdings wären die Gründe schon wichtig zu kennen, denn dann fiele es leichter gegenzusteuern und den Einfluss zu erweitern. Ich denke nämlich schon, dass im Umkreis des E-Learning zahlreiche interessante Befunde und Erfahrungen ebenso wie theoretische Ideen entstanden sind und entstehen, die für Fragen des Lernens und Lehren an der Hochschule (und darüber hinaus!) von genereller Bedeutung sind (über die Medien hinausgehend).

Was ich bislang nicht so ganz verstehe ist, warum (auch im „Jubiläumsband“) die GMW, deren Kürzel immerhin für „Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft“ steht, auf „E-Learning“, also auf Fragen des Medieneinsatzes in der Hochschullehre eingeengt wird. Zwar hat es über Aspekte wie Hochschulentwicklung durch digitale Medien bereits ausgehend vom E-Learning einzelne Erweiterungen gegeben. Aber auch der Einsatz von Medien in der Forschung ebenso wie in der Wissens- und Wissenschaftskommunikation nach Innen und Außen sollten meiner Ansicht nach dazugehören. Wir haben das im Vorstand bereits andiskutiert und es ist mir ein Anliegen, da dran zu bleiben. Denn vielleicht wäre das ja auch ein Baustein für eine Strategie, den Einfluss der GMW nicht nur auf die Bildungsforschung, sondern z.B. auch auf die Hochschulforschung auszuweiten. Zudem könnte dies eine Erweiterung der Zielgruppen bedeuten, von der die GMW ja nur profitieren würde.

Ich habe noch nicht alle Beiträge des Bandes gelesen, aber nach der Lektüre einiger ausgewählter Texte und einem Überblick über die andere Beiträge, muss ich Joachim zustimmen, dass es sich lohnt, sich ein wenig mehr Zeit für den Band zu nehmen (auch wenn nicht alle Artikel auf demselben Niveau sind). Abschließend möchte ich noch Rolf Schulmeister (S. 321) zustimmen, der auf ein aus meiner Sicht wichtiges Spanungsfeld beim Einsatz aktueller digitaler Medien speziell in Bildungsinstitutionen hinweist: „Es ist zu erwarten, dass sich auf diese Weise ein Widerspruch zwischen der naturwüchsigen Innovation und der ungeordneten Vielfalt an Methoden im Internet einerseits und den Bemühungen um Standardisierung der Schnittstellen, die für die Kooperation notwendig sind, einstellen wird, der die Fähigkeit zur Kooperation einschränken kann.“

Begründet widersprechen

In unseren Studiengang „Medien und Kommunikation“ kommen vor allem Studierende, die Kommunikationswissenschaft studieren wollen. Dass der Studiengang gleichberechtigt mit „Mediendidaktik und -pädagogik“ auch einen bildungswissenschaftlichen Anteil hat, wird eher als lästig empfunden – wie die letzte (interne) Erhebung zeigt, in der fast 70% der Erstsemester kein Interesse an unseren Inhalten hat. Das macht die Lehre in diesem Fach alles andere als einfach, wie man sich denken kann. Das ist EIN Problem. Ein anderes Problem, das ich beobachte, ist, dass alles, was nicht unmittelbar „berufsrelevant“ erscheint, ebenfalls eher wenig Interesse auf sich zieht. Zusammen mit meinen Mitarbeitern bemühen wir uns seit Jahren, genau diese „Berufsrelevanz“ zu erhöhen, auch wenn das in unserem Fach schwierig ist, denn wir haben natürlich keine Ahnung, wo unsere Studierende am Arbeitsmarkt landen. Die Vielfalt der möglichen Felder ist groß, ein Versprechen auf „Berufsfähigkeit“ daher eine glatte Lüge.

Dieses Problem ist nicht spezifisch für unseren Studiengang – es ist grundsätzlich – so grundsätzlich wie die Frage, welchen Zweck die Universität überhaupt hat: Bildung oder Ausbildung? Ausbildung! Das hören wir alle und ich habe – das muss ich eingestehen – am Anfang meiner beruflichen Laufbahn nicht so sehr viel darüber nachgedacht. Die Gedanken aber kommen jetzt – häufiger und intensiver. Manchmal lähmen sie mich, weil ich mir nicht mehr sicher bin, wofür ich eigentlich noch die Verantwortung übernehmen kann: Soll ich die Studierende weiter anlügen und ihnen sagen, wir machen sie berufsfähig? Oder soll ich gegensteuern und darauf pochen, das es darum gar nicht gehe, sondern dass es das Ziel sein müsse, kritisch denken, methodisch handeln und verantwortungsvoll urteilen zu lernen? Letzteres führt dann mit Sicherheit dazu, dass der bildungswissenschaftliche Kernfachbereich noch unbeliebter wird.

Es gibt eine ganze Menge schlauer Leute, die sich in den letzten Jahren viele Gedanken genau dazu gemacht haben. Ich möchte nur einen an der Stelle herausgreifen und ein paar Zitate hervorheben. Unter dem Titel „Ein Studium ist keine Ausbildung“ hat Michael Walter bereits 2005 (online hier abrufbar) ein paar interessante Thesen und Argumente gebracht. Ich zitiere:

  • „Die Konzeption Humboldts, aber auch der mittelalterlichen Universitäten, kannte keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Studenten und Professoren, sondern nur einen Unterschied in der Erkenntniskompetenz. Sie beruhte ihrerseits ebenso auf akkumuliertem, wenn auch unsicherem Wissen wie auf Erfahrung. Aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Wissens, das sie weitergeben, verkürzen Professoren jenen Zeitraum, um diese Erfahrungen bzw. das temporär geltende Wissen selbst zu sammeln“ (Walter, 2005, S. 8).
  • Daraus folgert er auf der nächsten Seite: „Gute Studierende sind jene Studierende, die eines Tages in der Lage sind, ihren Professoren und Professorinnen begründet zu widersprechen und eigene Systeme und Modelle vorzuschlagen. Gute Professoren und Professorinnen sind jene, die ihre Studierenden in die Lage versetzen wollen zu widersprechen“ (Walter, 2005, S. 9). Das trifft es eigentlich ziemlich genau, was ich mir implizit immer so vorstelle, wie ich zumindest in dafür geeigneten Situationen (mit denen, die hierfür eine Bereitschaft signalisieren) versuche, dabei aber vor allem bei großen Gruppen natürlich massiv an Grenzen und auch auf Unverständnis stoße. Wichtig erscheint mir denn aber auch Walters Aufforderung an die Studierenden selbst:
  • „Studierende sollten … von der Universität … keine Berufsausbildung erwarten. Die Kompetenzen, die ein Studium vermittelt (oder vermitteln sollte), sind grundlegender und darum auch nachhaltiger Natur: das Erkennen und Durchdenken von Problemen, die anschliessende Suche nach Lösungen und, damit verknüpft, die Suche nach jenem Wissen, das für die Lösung von Bedeutung ist“ (Walter, 2005, S. 9).

Es gibt eine Reihe weiterer Autoren, die genau darin einen durchaus beachtlichen gesellschaftlichen, mithin auch ökonomischen Nutzen sehen. Oder von der anderen Seite her wie folgt von Peter Winterhoff-Spurk in der Ausgabe von Forschung und Lehre vom Februar dieses Jahres (ebenfalls noch online zugänglich hier) formuliert: „Was jetzt im Bildungsbereich – und besonders an den Universitäten – geschieht, ist die Begrenzung des Menschen auf Fertigkeiten und Begabungen, die seiner beruflichen Qualifikation und darüber hinaus den Interessen der Wirtschaft und des Staates dienen. Den Preis dafür werden die nächsten Studierendengenerationen – und später wir alle – zahlen müssen.“

Ich könnte noch einige andere Diagnosen ähnlicher Art hinzufügen, denen ich laut zustimmen kann. Nur Lösungen, die finde ich nicht. Wir können, wir wollen schließlich nicht zurück in vorherige Jahrhunderte. Universitäten sind einem Wandel unterzogen, ja es ist ja auch eine der Leitideen von Humboldt, dass sich die Universität selbst erneuern muss. Allerdings soll sie das „selbst“ und nicht unter dem Zwang von Ökonomie und Politik. Die Lösung kann also wohl nur bei uns selbst, bei denjenigen liegen, die Teil der Universität sind – bei den Professoren/innen und Studierenden. Aber das „Wie“, das ist freilich auch in meinem Kopf ein einziges großes Fragezeichen …

Woher kommt die Netz-Phobie?

Nicht wenige Journalisten der sogenannten Qualitätspresse scheinen sich sehr bedroht zu fühlen vom gemeinen Web-User, von den Bloggern und sonstigen „Ideologen des Internets“, die sich – so das Feindbild – in einem gigantischen rechtsfreien Raum tummeln und kriminelle Machenschaften in anarchistischer Grundstimmung billigend im Kauf nehmen. Mir ist die letzte ZEIT-Ausgabe fast aus der Hand gefallen, als ich den Artikel „Wider die Ideologen des Internets!“ von Heinrich Welfing gelesen hatte: Gehöre ich als intensiver Nutzer des Internets zu einer wachsenden Gruppe von Personen, die nach dem Motto lebt „Im Namen der Freiheit wird der Austritt aus dem Recht propagiert“? Nur der nebenstehende kürzere Beitrag über die „Geistesaristokratie“ von Gero von Randow, der sich zu einer differenzierteren Argumentation aufgerafft hat, hat dazu geführt, dass die ersten Seiten der ZEIT nicht sofort im Mülleimer der Bahn gelandet sind. Die hier deutlich werdende „unerträgliche Seichtigkeit der deutschen Internet-Debatte“ hat Marcel Weiss in einem längeren Kommentar zu diesem absolut verunglückten Artikel sehr gut auf dem Punkt gebracht. Ich empfehle die Lektüre dieses Beitrags sehr, dem erst mal nicht viel hinzuzufügen ist.

Anders als Weiss interessiert mich allerdings schon, wie es dazu kommt, dass man bei der Lektüre von Zeitungen wie der ZEIT bei diesen Themen zunehmend das Gefühl hat, dass das Internet zu einem Feind und Gegner (jetzt: Gegner des Rechts) hochstilisiert wird: Wovor genau hat man Angst? Was steckt hinter der Polemik, die inzwischen beleidigende Züge annimmt? Wie kommt es, dass sich hier ansonsten gut recherchierende Journalisten mit Politikern verbünden, denen nicht mehr als Stammtisch-Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher (nicht technischer!) Probleme einfallen? Überhaupt kann ich nicht verstehen, warum man hier in der Politik nicht offensiver ist und ein paar alte an Netz-Phobie leidenden Herren (und Damen) mit Vertretern aus internetaffinen und -erfahrenen Bereichen der Ökonomie, Kultur und Wissenschaft ersetzt, die echte Lösungen für neue Gefahren und Risiken erarbeiten, die eine wohl noch lange nicht abgeschlossene digitale Entwicklung für unsere Gesellschaft ohne Zweifel mit sich bringt. Pseudo-Lösungen wie Internet-Sperren und Kriegserklärungen gegen aktive Netz-User sind wirklich fehl am Platz. Und die mediale Unterstützung solcher Tendenzen ist schon ziemlich enttäuschend.

Geschmack wirkt hierarchisierend

„Warum informell lernen?“, so lautet der Titel des aktuellen Online-Themenheftes von Matthias Rohs und Bernhard Schmidt (Zeitschrift für Bildungsforschung). Angesichts meiner eigenen Überlegungen zum Konzept der Selbstorganisation (z.B. hier – der Beitrag wird jetzt übrigens doch in einem Herausgeberband mit dem Titel „digitale Lernwelten“ aufgenommen) hat mich in einem ersten Schritt vor allem der Beitrag von Grotlüschen und Krämer interessiert, der den eher psychologischen Konzepten zu diesem Themenbereich eine stärker philosophisch orientierte Lesart von Selbstbestimmung entgegensetzen.

Ich habe aber den Eindruck, dass da manche Gegensätze auch konstruiert werden, ohne zu beachten, dass eine philosophische Sicht natürlich einen anderen Standpunkt einnimmt als die Psychologie. Sätze z.B. wie „Interesse ist ein Prozess, kein Zustand. Interessen sind nicht nur graduell zwischen Selbst- und Fremdbestimmung angesiedelt. Sie sind auch gewachsen – und zwar in einem sozialen Prozess in einer bestimmten historischen und ökonomischen Lage“ stehen für mich keineswegs in einem Widerspruch zu psychologischen Interpretationen von Motivation und Interesse. Weiter heißt es: „Wir vermuten …, dass die Wahl von Interessen in gradueller Selbstbestimmung verläuft, die jedoch zu vermeintlicher Selbstbestimmung umetikettiert und verinnerlicht wird: Die Einflüsse von Außen werden übersehen, vergessen oder verkleinert.“ Alles, was also jemals von außen kam, kann niemals Teil meiner Selbstbestimmung werden? Wenn dem so wäre, dann müssten wir es wohl aufgeben, nach Selbstbestimmung zu streben, denn wir leben schließlich nicht als Monade ohne Einflüsse.

Die Autorinnen begründen ihre Auffassung mit dem Habitus-Konzept – ist nicht ganz leicht zu lesen, aber die Sprache gehört hier wohl zum Habitus ;-). So heißt es z.B.: „Über inkorporierte Aversionen gegenüber anderen Lebensstilen werden Klassen und Schichten reproduziert. Der Geschmack wirkt hierarchisierend“ – das klingt irgendwie einleuchtend, aber wenig ermutigend, wenn nachgeschoben wird, dass es zwar die Möglichkeit gäbe (laut Bourdieus Theoriesystem, das man hier zugrunde legt) Klassenschranken zu überschreiten, dies aber meist mit Verlusten zu „bezahlen“ sei. Richtig ist wohl die Feststellung „Welchen Interessegegenständen überhaupt begegnet werden kann, ist maßgeblich von der jeweiligen Schicht beeinflusst“, weshalb ja Schulen und die Chance für jeden so wichtig sind, neben der eigenen Familie auch anderes kennenzulernen. In der Hinsicht waren wir, so meine ich, in Deutschland schon mal weiter (ich selbst bin in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ins Gymnasium gekommen und in dieser damals recht neuen Schule waren sehr viele aus „Schichten“, deren Habitus an sich das Interesse an einer höheren Schulbildung verlustreiche Konsequenzen hätte haben müssen – das gilt auch für mich selbst).

Der gesamte Text ist in jedem Fall interessant ! zu lesen. Zustimmen kann man sicher auch dem Fazit „Die Möglichkeiten, sich für etwas zu interessieren, sind gerade nicht für alle gleich, sondern strukturell ungleich verteilt – das wird nur tunlichst vergessen.“ Mit einer ganzen Reihe anderer (teilweise implizit mitschwingender) Folgerungen aber kann mich nicht so recht anfreunden. Ich war und bin begeistert von Bieris Konzept des angeeigneten Willens, das ich übrigens gut vereinbar finde mit dem psychologischen Konzept der Selbstbestimmung von Deci und Ryan. (Welche Gedanken sich einige unserer Studierender im Nachgang eines Seminars dazu im letzten Jahr gemacht haben, kann man z.B. hier nachlesen). Fazit: Philosophische Konzepte begleitend zu psychologischen Konzepten gerade in den Bildungswissenschaften heranzuziehen, ist mit Sicherheit ein richtiger und wichtiger Weg.

Angriff auf die Freiheit

Prägnant und aus meiner Sicht auch sehr treffend zieht Josef Joffe, Herausgeber der ZEIT, in einer aktuelle Kolumne mit dem Titel „Tyrannei des Guten“ ein Resümee der gegenwärtigen Reaktionen auf den Amoklauf in Winnenden: Wie bereits gewohnt, also quasi auf Knopfdruck, werden Verbote und Präventionsmaßnahmen ins Volk geworfen, unabhängig von bereits bestehenden Gesetzen, die Wahnsinnstaten niemals werden verhindern können. „In den Gesetzentwürfen gerinnt das magische Denken zu Paragrafen“, so Joffe, was aus meiner Sicht genau richtig formuliert ist: Magisches Denken, der Glaube an formale Vorgaben, Standards und Kontrollsysteme, der ist ja so viel stärker als der Glaube daran, dass Menschen ihren Verstand gebrauchen könnten, wenn sie nur wollten und wenn man ihnen von Kind an die Chance gäbe, Verstand und Vernunft auszubilden und zu nutzen. Waffenverbote und Internetsperren sind nun mal so viel leichter zu implementieren als gute Schulen, soziale Netzwerke und eine auf Solidarität statt immer nur auf Wettbewerb bauende Kultur. Ganz nebenbei – unbemerkt von der Bevölkerung – lassen sich mit den immer umfassenderen Verbots- und Zensurversuchen kleine, aber sich ausbreitende Angriffe auf die Freiheit ausdehnen. Eine kurze, aber lesenswerte Kolumne!