Auf dem Weg zu einer Plagiatsphobie?

Politiker, die beim Verfassen ihrer Dissertationen eindeutig abgeschrieben haben, verursachen wahrscheinlich vor allem Kopfschütteln – auch unter Doktoranden. Politiker jedoch, die beim Verfassen ihrer Doktorarbeit wahrscheinlich abgeschrieben haben, vielleicht aber auch (zusätzlich oder stattdessen?) „nur“ nicht ordentlich gearbeitet haben und (tatsächlich oder gespielt – wer kann das schon beurteilen) überzeugt vertreten, keine Täuschungsabsichten gehabt zu haben, machen eher Angst (ich glaube, es reicht hier einer der vielen Links zu den Online-Medien, z.B. hier). Sie machen Angst, weil die Frage naheliegt: Kann es passieren, dass man plagiiert, ohne es zu merken? Vor einem Jahr noch hätte ich gesagt: nein, weil ich vor allem das „klassische Plagiat“ – also wörtliches Abschreiben oder Übernahme mit leichten Veränderungen ohne Quellenangabe – im Kopf gehabt hätte. Und das ist nichts, was einem aus Versehen passiert. Inzwischen aber sind einige medienwirksame Plagiatsfälle und Dokumentationen in Wikis doch so, dass ich ins Zweifeln komme. Im letzten Doktorandenkolloquium in der vergangenen Woche haben wir uns daher (unter anderem) mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Ich formuliere die Ursache von Sorgen und Ängsten auch redlich arbeitender Doktoranden mal in Form einiger Fragen:

1. Was ist mit eigenen Arbeiten, die bereits vor und während der Promotion entstehen, die man z.B. schon auf Tagungen vorgestellt hat und in die Dissertation einfließen werden? Mache ich mich damit des Plagiats verdächtig?

2. Was ist mit Verweisen auf Bücher, auf die man den Leser hinweist, weil da ein Thema ausgeführt wird, auf das man selbst nicht näher eingehen will – muss man das komplett gelesen haben? Ist das Plagiat, wenn ich es angebe, ohne es bis ins letzte Detail zu kennen?

3. Was ist mit Konzepten und Begriffen, die in einer Fach-Community bereits zum Allgemeingut geworden sind. Darf ich die überhaupt noch verwenden, ohne jemanden zu zitieren, um nicht in den Verdacht des Plagiierens zu kommen?

4. Was ist mit Gedanken, die ich tatsächlich selbst habe, die man aber dann doch irgendwann in einem anderen Buch auch findet? Was, wenn ich es tatsächlich irgendwo gelesen, aber vergessen habe und nach Jahren der Lektüre nicht mehr erkenne, ob da etwas nicht komplett mein eigener Gedanke ist? Bin ich dann ein Plagiator?

Ich denke, bei solchen Fragen wird es eben nicht mehr so leicht, Urteile zu fällen, wie es in den Medien Usus geworden ist. In einem Zeit-Artikel vom Juni 2012 bezeichnet (hier) eine Gruppe von Wissenschaftlern die öffentliche Plagiatssuche als „unwürdiges Spektakel“. Der Beitrag enthält (bei aller Kritik an einigen der Ausführungen in diesem Text) den aus meiner Sicht folgenden richtigen Gedanken: „… welcher Umgang mit Texten, Gedanken und Argumenten in der Wissenschaft als ´Plagiat´ zu gelten hat, versteht sich nicht von selbst.“

Und wie ließen sich dann also die obigen Fragen beantworten?

1. Es gibt sogenannte „Selbstplagiate“; das ist fast schon ein eigenes Thema. Hier gibt es Widersprüche: Es kann nicht alles neu sein in einer Dissertation, wenn gleichzeitig auch gefordert wird, dass man als Doktorand Tagungen besucht und dort den Stand seiner Arbeit vorstellt und im Bedarfsfall auch publiziert. Lösung: Immer alles angeben, was man schon publiziert hat und auch darauf verweisen, wenn man das in der Dissertation wieder verwendet. Wichtig ist, dabei nicht zu verschleiern, dass man hier schon mal etwas veröffentlicht hat (zu diesem Thema siehe z.B. auch hier).

2. Ich glaube, es ist ein wenig verlogen, wenn jemand sagt, er habe nicht nur alle Aufsätze, sondern auch alle Bücher bis in den letzten Winkel gelesen, die im Literaturverzeichnis einer Dissertation stehen. Insbesondere, wenn man sich auf einem Gebiet bereits auskennt, kann es gut sein, dass man nur ein Kapitel aus einem Buch gelesen hat, das eben subjektiv Neues geboten hat. Und wenn der Fall eintritt, dass man ein Thema erwähnt, das man genau NICHT eingehender behandeln will, und dazu ein Buch kennt und sich vergewissert hat, dass es etwas taugt, dann darf man den Leser aus meiner Sicht gerne darauf verweisen, dass er da noch mehr Infos findet – auch ohne es ganz gelesen zu haben.

3. Wann etwas in der Fachwelt schon so bekannt, belegt, begründet etc. ist, dass es Allgemeingut geworden ist, dürfte die wohl schwierigste Frage sein. Ich meine, um da eine wirklich gute Antwort geben zu können, müsste man das jetzt mal mit Beispielen durchspielen. Das wäre ein eigene Blogbeitrag oder noch besser: Darüber sollte man mal einen Artikel schreiben.

4. Ob jemand im Moment gerade den gleichen Gedanken hat, den ich habe? Sicher! Aber wahrscheinlich nicht in exakt gleicher Form sprachlich umgesetzt, wenn denn der Gedanke auch artikuliert wird. Aber ist es ausgeschlossen, dass es zumindest ähnlich ist? Nein, ist es nicht! Und es kommt ja auch vor, dass man nach dem Verfassen eines Textes noch geeignete Quellen findet, die Argumente beinhalten, die denen ähneln, die man selbst verwendet hat. Wenn da der Plagiatsverdacht zu einer Plagiatsphobie wird, die dazu führt, dass man sich nicht mehr traut, selbst zu denken (ohne hinter jedem Gedanken eine Quellenangabe zu machen), dann wird das langfristig auch der Wissenschaft schaden. Darüber sollten wir vielleicht mal reden …

Und um eine Kritik zu diesem Blogpost gleich vorzubeugen: Ich befürworte natürlich keine Plagiate! Aber ich merke auch, dass die auf jeden Fall fällige Diskussion zu einzelnen (sicher speziellen) Fragen führt, die nicht einfach zu beantworten sein werden und bei denen wir uns dann auch nicht mit allzu einfachen Antworten zufrieden geben sollten.

 

Keine leichte Aufgabe

Im Sommer habe ich das Buch von Stephen Frank mit dem Titel „eLearning und Kompetenzentwicklung. Ein unterrichtsorientiertes didaktisches Modell“  gelesen und dazu eine Rezension für die Online-Zeitschrift Medienpädagogik (hier) geschrieben. Ich habe das Buch mit Interesse gelesen und hoffentlich mit meinem schriftlich festgehaltenen Eindruck einige auch dem Autor wichtige Punkte getroffen.

Rezensionen kosten ja doch immer einiges an Zeit. An sich ist es schade, dass man das so wenig macht, denn natürlich liest man anders, wenn man weiß, dass man sich zu den Inhalten schriftlich äußern wird. Wie bei einigen anderen Dingen auch, fallen diese an sich genuin wissenschaftlichen Tätigkeiten (lesen, sich Gedanken machen, sich dazu äußern, das Gelesene später weiter verwenden etc.) jedenfalls bei mir immer öfter unter den Tisch, weil sich administrative Tätigkeiten und solche, die ich mal im weitesten Sinne als Projektmanagement bezeichne, immer breiter machen. Da eine rechte Balance zu finden, ist wahrscheinlich generell keine leichte Aufgabe.

Turbo-Bachelor oder doch lieber länger?

Laut eines kurzen Zeit-Online-Artikels gibt es sie: die Langzeitstudenten auch im Bachelor (hier ist der Artikel). Der Beitrag erzählt die Geschichte eines Studierenden der Medienwissenschaft und macht klar: Lange studieren geht offenbar auch im Bachelor (jedenfalls an manchen Unis) und muss keinesfalls Ausdruck von Faulheit sein. Voraussetzung freilich ist, dass Studierende nicht eine bestimmte CP-Zahl bis zu einem vorgegebenen Zeitpunkt vorweisen müssen oder nach Ablauf der Regelstudienzeit aus der Uni fliegen. Immerhin zeigt die Einzelfallgeschichte: Etwas mehr individuelle Flexibilität stünde wohl jedem Studiengang gut, denn es gibt viele Gründe, warum Lern- und Bildungsprozesse mal länger dauern oder Umwege brauchen ODER eben mal in vergleichsweise kurzer Zeit oder auf direktem Wege möglich sind. Vom Weg immer gleich auf die Qualität des Ergebnisses zu schließen, ist unangemessen. Das gilt aus meiner Sicht aber auch für den „Turbo-Bachelor“, also auch für die, die ihr Studium schnell beenden. Auch da muss man schon genau hinschauen und die einzelne Person im Blick haben, denn: Zügig ist sicher nicht gleich oberflächlich.

So wird das nichts

Evaluationen in der Hochschullehre sind heute Standard. Das ist an sich ein relativ neues Phänomen. Als ich studiert habe (na ja, das ist natürlich auch sehr lange her – so in der zweiten 1980er Hälfte) gab es allenfalls eine kurze Feedback-Runde am Ende eines Seminars – vielleicht. Vorlesungen wurden gar nicht bewertet. Auch später, als ich meine eigenen ersten Veranstaltungen angeboten oder daran mitgearbeitet habe, war das Ob und Wie fast ausschließlich Sache des Dozenten. Nur an und zu gab es mal „stichprobenartig“ einen Fragebogen, der seitens des Studiendekanats verteilt wurde – alle paar Jahre.

Heute hat man in Hochschulleitungen eigene Ämter geschaffen, die dafür da sind, die Qualität der Lehre zu „sichern und weiterzuentwickeln“ und damit halt auch – ja, ich nenne es mal so – zu überwachen. Dazu sammelt man Daten. Eine wichtige Datenquelle ist die Evaluation von Lehrveranstaltungen. Das hängt natürlich auch mit den Akkreditierungen zusammen. Was davon also eine aus den Hochschulen quasi von innen kommende Entwicklung und was Reaktion auf Notwendigkeiten von außen ist, lässt sich wohl schwer abschätzen. Aber um das geht es mir an dieser Stelle nicht.

Nein, mir geht es in diesem kurzen Beitrag eher darum, mal zu explizieren, warum ich bei den aktuellen Evaluationen so ein ungutes Gefühl habe. Dabei ziehe ich nicht den Sinn in Zweifel, DASS evaluiert wird. Das ist gut so. Es ist begrüßenswert, dass man über Lehre spricht, dass man versucht, sich ein Bild über die Qualität der Lehre zu machen, und wenn man dann auch noch Anstrengungen unternimmt, diese zu verbessern – wunderbar! Früher war es definitiv NICHT besser. Aber ich glaube einfach nicht (mehr), dass uns das mit den jetzt nahezu etablierten Mitteln, insbesondere nicht mit den klassischen Studierendenbefragungen, gelingt. Warum nicht?

Das erste Problem ist schon mal Folgendes: Kommuniziert wird, dass man Veranstaltungen evaluiert. Aber wenn man sich mal die üblichen Evaluationsbögen ansieht, dann werden der Lehrende, sein Lehrkonzept und dessen Umsetzung, seine Ziele und Zielerreichung und sein Verhalten, vielleicht auch ein paar Rahmenbedingungen erfasst und bewertet bzw. evaluiert. Also da fehlen mir die Lernenden! Ob eine Veranstaltung gelingt oder nicht, hängt nicht nur vom Lehrkonzept und dessen Umsetzung ab, also von dem, was sich der Lehrende überlegt hat und wie er dann handelt. Es hängt ja wohl auch von den Studierenden und davon ab, inwieweit sie sich an dem Angebot beteiligen und wie sie selbst handeln. Niemand bestreitet in der Regel, dass für gelungene Bildungsprozesse die Interaktion zwischen Lehrenden, Lernenden und der Sache, um die es geht, entscheidend ist. Der Lehrende kann daran einen großen Anteil haben, aber die Evaluation allein des Lehrenden bleibt auf halbem Wege stehen, wenn man sich ein Urteil über Lehrveranstaltungen bilden will.

Um sich von einer Veranstaltung und deren Qualität ein Bild machen zu können, das einigermaßen valide ist, müsste man an sich ganz selbstverständlich auch die Studierenden und deren Handeln in die Evaluation mit einbeziehen: Was bringen Studierende von sich aus in die Veranstaltung ein? Wie beteiligen sie sich, wie bereiten sie etwas vor und nach, wie unterstützen sie sich gegenseitig etc.?

Es ist völlig in Ordnung, dass Studierende ein Urteil über einen Lehrenden abgeben. Aber auch Studierende müssten (als Gruppe) in dem Sinne „bewertet“ werden, wie sie zum Erfolg einer Veranstaltung beitragen. Das könnte der Lehrende machen (analog zur Lehrenden-Bewertung seitens der Studierenden); besser wäre sicher ein externes Urteil, was aber freilich organisatorische Probleme aufwirft. Ebenfalls sinnvoll wäre es, dass Studierende von Zeit zu Zeit untereinander die Dynamik einer Veranstaltung und das gemeinsame Handeln einschätzen. Das heißt aber dann letztendlich: Man muss miteinander ins Gespräch kommen! Und das ist etwas ganz anderes, als Kreuzchen auf Fragebögen zu machen.

Ja, ich weiß, was jetzt für ein Einwand kommt – die Anonymität ist wichtig. Das sehe ich auch – zumindest so lange wir noch Prüfungen mit Rechtsfolgen haben. Ein Hindernis für gegenseitiges transparentes Feedback dürfte außerdem sein, wenn Evaluationen vorrangig gemacht werden, damit Akkreditierungsagenturen Ruhe gebe, wenn sie also vor allem formal das Signal aussenden sollen, dass man ja etwas für die Qualität der Lehre tut. Unter so einem Vorzeichen ist es schwierig, eine Kultur aufzubauen, die dergestalt ist, dass alle ein echtes Interesse an guter Lehre haben und jeder (!) seinen Teil dazu beiträgt: Lehrende und Studierende.

Aber ich fürchte, die Tendenz geht in eine andere Richtung: immer mehr Evaluationen – parallel dazu immer weniger Rücklauf, weil Studierenden freilich schon langsam die Nase voll davon haben, Fragebögen auszufüllen; immer mehr Daten – parallel dazu immer weniger Ideen, was man damit eigentlich genau anfangen soll; immer mehr zentrale Vorgaben – parallel dazu immer weniger gegenseitiges Vertrauen und Lust, sich an diesen Routinen zu beteiligen.

Also ich weiß nicht – so wird das doch nichts, oder?

Neun Monate Lehre

Nächste Woche beginnt bei uns an der UniBwM das neue Studienjahr. Ein Studienjahr – das bedeutet für uns Lehrende: neun Monate fast durchgängig Lehre, nämlich in Form von drei Trimestern, die weitgehend nahtlos aneinander anschließen. Ich kann nun auf zwei Studienjahre (und das erstes Trimester im Frühjahr 2010) zurückblicken und aktuell festhalten: Alle Bachelor- und Master-Module bzw. -Veranstaltungen sollten inzwischen (mit Ausnahme eines Masterseminars, das ich jetzt im Herbst zum ersten Mal anbiete) weitgehend „sattelfest“ sein, das heißt: Erste Anpassungsschwierigkeiten der mir vertrauten Lehrkonzepte auf die Anforderungen an die bildungswissenschaftlichen Studienprogramme (also BA und MA) an der UniBw sind aus meiner Sicht zumindest in einer ersten Runde überstanden. Ich habe zu diesem Thema (Lehre an der UniBw) ja des Öfteren was gebloggt. Ich stelle mal ein paar Links zusammen – beginnend mit den ersten Erfahrungen im Frühjahr/Sommer 2010 bis zum letzten Blog-Post zu diesem Thema im Juni 2012:

  • Die ersten Erfahrungen: hier
  • Anmerkungen zum Feedback: hier
  • Evaluationsseminar: hier
  • Lehrerfahrungen generell (Vortrag): hier
  • Vorlesungen: hier
  • Unterstützung der Bachelorarbeitsphase: hier

Dass Lehrentwicklungen und -anpassungen erforderlich waren, finde ich nicht schlimm. Meine Mitarbeiter, vor allem Silvia, haben mir dabei immer tatkräftig geholfen. Schade fand ich eher, dass sich viele der Studierenden, die quasi die „Pionierphase“ mitgemacht haben, benachteiligt fühlten. Diese Einstellung kannte ich aus unserem MuK-Studiengang in Augsburg nicht. Da war meine Erfahrung, dass Studierende es honoriert haben, wenn man was Neues ausprobiert hat. Wenn etwas nicht so gut lief, aber Engagement und Interesse an den Leistungen der Studierenden da war, wurde das eigentlich immer nicht nur toleriert, sondern auch als Impuls für eigene Aktivität gesehen. Das ist ganz offensichtlich eine Frage die Kultur und die entwickelt sich nun mal nur sehr langsam.

 

Ausdruck von Hilflosigkeit

Unter dem Titel „Dauerproblem Gleichstellung“ findet sich in der duz mal wieder ein Beitrag zum Thema Quote – nun für Frauen in der Wissenschaft (hier). „Um sie jedoch zu erreichen, fordern Experten Sanktionsmöglichkeiten über die Drittmittelvergabe“. Frauenquote in der Wissenschaft inklusive Androhung von Sanktionen, natürlich in Form von Geldentzug, was ja bekanntlich immer am wirksamsten ist: Wird das was bringen? Wie wäre es mit einer Männerquote – in Kinderkrippen und Kindergärten, in der Grundschule, in der Altenpflege und überall da, wo man den Männern nach wie vor keine echte Chance eingeräumt hat, sich zu entfalten? Wenn es Frauenquoten gibt, dann bin ich im Gegenzug auch für Männerquoten. Überhaupt: Mädchen sind besser in der Schule und das weibliche Geschlecht insgesamt weniger kriminell etc. Lasst uns also doch den Männern helfen, oder?

Meine persönliche Erfahrung z.B. in Berufungskommissionen ist die: Externe Vorgaben werden formal abgehakt. Manchmal entstehen auch skurrile Diskussionen zum Thema Gleichstellung – als wäre Frausein schon ein Qualitätsmarkmal – natürlich nur formal. Informell ist ja eher das Gegenteil der Fall: Wie viel gewichtiger klingt doch ein Argument, wenn es mit einer lauten und tiefen Stimme vorgetragen wird. Dafür können aber nun die Männer nichts. Da stimmt etwas nicht mit unserer Wahrnehmung, mit unserer Kultur, mit unseren Routinen etc.

Susanne Keil fragt in ihrem Artikel in der duz: „Quotenforderungen sind meist Ausdruck von Hilflosigkeit. Was soll man noch tun, wenn man alles versucht hat?“ Hat man alles versucht? Glaube ich nicht: Ich meine, Ziel müsste es sein, dass Männer UND Frauen ein gemeinsames Leben, vor allem eines mit Kind oder Kindern, so gestalten, dass alle Beteiligten ihre Begabungen und Interessen einbringen können und nicht aufgrund des Geschlechts in eine bestimmte Rolle fallen. Und das gilt für Frauen ebenso wie für Männer. Zudem müssen wir wohl erst noch mühsam lernen, ansozialisierte Urteilsschemata abzulegen, die uns ebenso alle begleiten: Immer noch hat man ein Grinsen im Gesicht, wenn ein Mann unter vielen Frauen am Spielplatz sitzt oder gar im Kindergarten mit „seiner“ Gruppe Ball spielt. Immer noch ist es ein Problem, wenn Frauen in Führungspositionen unangenehme Entscheidungen gegenüber Männern treffen usw.

Was ich sagen will: Meiner Ansicht nach geht das Problem der Ungleichheit von Männern und Frauen auch in der Wissenschaft viel tiefer als dass man dem mit Quoten begegnen kann. Quoten werden immer geschickt umgangen werden können und sie sind ja auch dort sinnlos, wo es z.B. an geeigneten Frauen für eine Position fehlt.

Man liest sogar

In Kürze wird der Wissenschaftsrat auf einer Veranstaltung (hier das Programm) über die Ergebnisse einer Initiative berichten, die bereits 2004 beschlossen wurde. Im Hochschulmagazin duz kann man hier nachlesen, dass es dabei um ein neues Forschungsrating geht – entstanden aus der Unzufriedenheit mit bekannten nationalen und internationalen Verfahren. Diese dienen dazu, Ranglisten zu erstellen, an denen Wissenschaftler wie auch Studierende (und Förderinstitutionen) ablesen können sollen, wie gut eine Universität ist.

Das neue Verfahren des Wissenschaftsrats arbeitet vor allem mit Peer Reviews und kombiniert quantitative mit qualitativen Daten. „Statt nur die Zahl von veröffentlichten Aufsätzen in Fachzeitschriften zu zählen, werden ausgewählte Publikationen von den Gutachtern auch gelesen und bewertet“, so heißt es im besagten duz-Artikel.

Im Pilotverfahren wurden vier Fächer untersucht. Ziel war es unter anderem, die Spezifika der Fächer für ein Rating besser herauszuarbeiten. Der Ranking-Kritiker Richard Münch (Uni Bamberg) war einer der Gutachter in der Pilotstudie, und beschreibt im Artikel den Aufwand als sehr hoch: „Jedes einzelne der 16 Mitglieder der Gutachtergruppe hat im Zeitraum von zwei Jahren etwa drei Monate seiner Arbeitszeit in das Begutachtungsverfahren gesteckt“, so wird er zitiert.

16 mal drei Monaten innerhalb von zwei Jahren für einen Pilotbetrieb mit vier Fächern, das macht zusammen genau vier Jahre Arbeitszeit eines Wissenschaftlers oder eben ein Jahr Arbeitszeit von vier Wissenschaftlern für einen Bruchteil dessen, was an sich Gegenstand eines solchen Ratings wäre. Immerhin kommen dann die so beschäftigten Wissenschaftler nicht zum Forschen, sodass vielleicht der Evaluationsgegenstand ein bisschen kleiner wird. Wenn es das ist, was angestrebt wird (nämlich weniger Forschungsoutput, weil dieser vielleicht eh zu redundant, zu wenig neu o. ä. ist), dann hätte ich da noch ein paar andere Ideen, wie man das erreichen kann: z.B. mehr Zeitinvestition in die Lehre, mehr Personal für Betreuungsleistungen etc.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es gut, dass man die bisherigen Ranking-Verfahren kritisch hinterfragt. Es ist auch völlig legitim, nach Alternativen zu suchen. Positiv ist, dass man erkannt hat, wie wichtig die Beachtung verschiedener Fächerkulturen ist. Und ich schließe mich auch gerne der Ansicht an, dass die Fachöffentlichkeit und alle interessierten Bürger ein Recht darauf haben, zu erfahren, was an Hochschulen so passiert – also auch in der Forschung. Aber ginge das nicht auch anders? Mit mehr Transparenz, die jeder Wissenschaftler und jede Universität jenseits der bloßen Marketing-Maßnahmen herstellt? Mit mehr echter gegenseitiger und vor allem kooperativ (versus auf Selektion) angelegter Kritik, die der Sache dient?

Außerdem: Glaubt denn jemand ernsthaft, dass Peer Review-Verfahren weniger anfällig für Fehleinschätzungen sind als manipulierbare Zählmethoden? Und was ist mit dem Aufwand? Wie lässt sich das rechtfertigen? Werden, wie der Artikel in der duz an einer Stelle suggeriert, tatsächlich Bund oder Länder die Ergebnisse heranziehen, um schwächeren Hochschulen unter die Arme zu greifen? Kann ich mir nicht vorstellen!

Übrigens: In einem Workshop der GMW 2012 zum Thema E-Science (Programm) habe ich mit Thomas Köhler und Klaus Wannemacher kurz diskutiert, welche Vorteile es hätte, wenn sich Wissenschaftler zu einer Publikationsbegrenzung verpflichten würden – also z.B. nur zwei Artikel im Jahre zu schreiben. Wir sind unter anderem zu dem Schluss gekommen, dass das eine Maßnahme zur Qualitätssteigerung sein und insbesondere den Diskurs über Publikationsinhalte erhöhen könnte. Und genau diesen Diskurs könnte man sicher mindestens parallel zu Reviews mit Selektionscharakter nutzen, um sich Einsicht in die Qualität von Forschung zu verschaffen.

Was wäre, wenn … Akt VII des Blended Talk

Nun ist die GMW 2012 schon wieder vorüber. Anstatt an dieser Stelle nun den Rest des Textes zu posten, verweise ich jetzt auf den GMW-Band, der online hier zugänglich ist. Auf den Seiten 29 bis 40 findet sich der Text zum Gedankenexperiment – natürlich in der Gänze.

Im „Blended Talk“ zum Gedankenexperiment über Prüfungen haben mich Beat und Petra tatkräftig unterstützt. Ihre Überlegungen dazu, was denn wäre, wenn es keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr gäbe, waren sehr interessant! Ich habe mich gefreut, dass die beiden das mitgemacht haben – vielen Dank an der Stelle nochmal an euch beide! Bei genauem Hinhören wurde aus meiner Sicht bei den drei Varianten deutlich, dass wir alle an mehreren Stellen die Bedingungen geändert haben, unter denen wir unsere Überlegungen ausgeführt haben. Die Zeit war aber viel zu knapp, um das zu explizieren. Zu eng war auch der Zeitrahmen für eine genaue Beantwortung aller vier Fragen.

Wie immer ist man hinterher schlauer und ich würde bezogen auf den „Blended Talk“ sagen, dass man auf jeden Fall einen Workshop (mindestens 90 Minuten) dazu hätte machen müssen. Erst mal wäre es wichtig gewesen, die Methode des Gedankenexperiments auch in der Präsenzsituation ausführlicher darzulegen, damit man „systematisch“ nachdenkt. Das hat vor allem zu zweit oder zu dritt meiner Einschätzung nach großes Potenzial – vielleicht ist das ja auch ein bisschen rübergekommen. Um dieses Potenzial wirklich auszuschöpfen, erscheint es mir notwendig, hier methodisch ausreichend Vorarbeit zu leisten. Da reicht ein kurzer Text vorab sicher nicht.

Sodann hätte jeder von uns mindestens 15 Minuten Zeit haben müssen, um die Fragen unter den definierten Bedingungen ausführlich zu beantworten und zu begründen. Im Anschluss hätte man dann unsere Antworten miteinander vergleichen und diskutieren können, warum wir an welchen Stellen zu ähnlichen oder eben verschiedenen Antworten gekommen sind. Schließlich wäre es sehr fruchtbar gewesen, in einer zweiten Runde die Bedingungen zu ändern, die ich als Autorin ein wenig selbstherrlich festgelegt hatte.

Aber egal: Ich bin froh, das mal ausprobiert zu haben. Und vielleicht lässt sich das oben Gesagte ja auch asynchron nachholen (wobei es da aber wohl wieder Zeitprobleme geben wird). Inhaltlich, also bezogen auf das Thema Prüfungen, meine ich nach wie vor, dass ein solches Gedankenexperiment die eine oder andere kreative Idee zur Lösung unserer vielfältigen Assessment-Probleme beitragen oder wenigstens das ein oder andere typische Phänomen im Kontext von Lehre und Assessment in einem anderen Licht oder nachvollziehbarer erscheinen lassen könnte.

Was wäre, wenn … Akt IV des Blended Talk

Morgen beginnt bereits die Preconference der GMW – es werden also schon einige in Wien sein. Die Hauptkonferenz beginnt am Dienstag. Nun ist der GMW-Band ja bereits online – trotzdem kommt jetzt stoisch 😉 der letzte   Blog-Post, der dazu beitragen soll, dass der „Vortrag“ am Dienstag-Nachmittag mit dem Titel „Was wäre, wenn es keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr gäbe“ etwas anders gestaltet werden kann. Die vorhergehenden Akte finden sich (in aufsteigender Reihenfolge) hier, hier und hier. Im Folgenden wird dargelegt, unter welchen Bedingungen das Gedankenexperiment abläuft.

Das Setting des Gedankenexperiments

(1) Prolog: Was ist das Grundsätzliche und Übergreifende in meinem Gedankenexperiment? Welchen Rahmen habe ich gesteckt? Einerseits geht es mir um die Koppelung von Lehren und Lernen, die unter anderem durch Prüfungen behindert, oft genug auch verhindert wird. Didaktisch betrachtet spricht viel dafür, „Prüfungen mit didaktischen Funktionen“ bzw. verschiedenen Formen eines „Assessment for Learning“ mehr und intensiver als bisher in die Lehre zu integrieren und im Gegenzug Prüfungen mit Rechtsfolgen abzuschaffen, die komplexeren didaktischen Szenarien zur Kompetenzförderung nicht gerecht werden. Andererseits geht es mir um die Effizienz im Bildungsalltag von Universitäten, die infolge von Prüfungen denkbar schlecht ausfällt. Ökonomisch betrachtet spricht wenig dafür, Prüfungen mit Rechtsfolgen in der heutigen Form beizubehalten: Anschlusssysteme auf dem Arbeitsmarkt kritisieren Prüfungsergebnisse und Noten, weil sie wenig valide (z.B. inflationär gut) oder nicht aussagekräftig sind, setzen eigene Assessment-Verfahren ein oder fällen falsche Entscheidungen auf der Grundlage von Ziffernnoten (vgl. Lang-von Wins, Triebel, Buchner & Sandor, 2008).

(2) Annahmen: Welche Prämisse liegt meinem Gedankenexperiment zugrunde? Inwiefern sind die Annahmen, welche die Prämisse bilden, kontrafaktisch und dennoch denkbar oder real möglich? Die Prämisse ist: Nehmen wir an, an Universitäten gäbe es keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr, also keine Prüfungen, die einen Selektionscharakter haben und mit einer Ziffernnote bewertet werden. Nehmen wir weiter an, dass von außen (z.B. Wirtschaft, andere Arbeitgeber) kein prinzipieller Protest gegen diese Abschaffung laut würde, und dass die Ressourcen der Universitäten konstant blieben.

Die erste der formulierten Annahmen, die Kernannahme des Gedankenexperiments, ist einerseits kontrafaktisch: Sie entspricht heute und in unserer Gesellschaft nicht der Wirklichkeit – im Gegenteil: Prüfungen spielen an Universitäten für Studierende und Lehrende eine herausragende Rolle. Gleichzeitig aber ist die Annahme prüfungsfreier Universitäten durchaus denkbar, hat doch z.B. die BAK bereits 1970 die Abschaffung von Prüfungen mit Rechtsfolgen als möglich dargelegt. Auch die anderen beiden Annahmen sind fiktiv bzw. hypothetisch (zumal da man annehmen muss, dass Anschlusssysteme am Arbeitsmarkt Ziffernnoten zumindest als ersten Filter verwenden), aber im Bereich des Möglichen. Zusammen haben die formulierten Annahmen eine gewisse Katalysator-Funktion: Das angestoßene Szenario regt die Vorstellung an und man kann es weiterdenken.

(3) Fragenkomplex: Welche Fragen sollen in meinem Gedankenexperiment beantwortet werden? Meine Fragen lauten: Wie würden Studierende darauf reagieren, wenn es keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr gäbe? Was würde das für die Lehrenden und für die Verwaltung an Universitäten bedeuten? Welche Alternativen zum Prüfungssystem mit Rechtsfolgen würden sich entwickeln? Welche Rolle würden die digitalen Medien dabei spielen?

Die durch die Annahmen gebildete Prämisse des Gedankenexperiments legen die formulierten Fragen nahe, aber nicht fest: Während sich die erste Frage relativ eng an die gemachte Prämisse anlehnt, ist die letzte Frage nicht zwingend, für meine Zielsetzung aber wichtig. Alternativ hätte man z.B. auch fragen können, ob das mit der Versuchsanordnung geschaffene Szenario überhaupt wünschenswert ist oder nicht und warum es (un-)erwünscht ist, oder welche Reaktionen von außen (Arbeitgeber) kämen.

(4) Bedingungen: Von welchen Bedingungen gehe ich aus? Die Bedingungen, von denen ich bei diesem Gedankenexperiment ausgehe, lassen sich in aller Kürze wie folgt benennen: (1) die Erkenntnis, dass Studierende in der Regel so lernen, wie sie geprüft werden (z.B. Reeves, 2006); (2) die Beobachtung, dass sich die Masse der Prüfungen auf die Abfrage von Kenntnissen beschränkt (z. B. Wannemacher, 2009); (3) die Folgerung, dass die Kompetenz-Rhetorik in Modulhandbüchern mit den Merkmalen heutiger Prüfungen in der Regel wenig gemeinsam haben (z.B. Borgwardt, 2011); (4) die Erfahrung, dass anspruchsvolle Prüfungen mit gegebenen Ressourcen nur schwer zu bewältigen sind (z. B. Müller, 2011); (5) der Grundsatz, dass man die an Universitäten vorhandenen Ressourcen nicht unnötig verschleudern sollte (z.B. Schimank, 2008).

In diesem Rahmen werden sich alle drei Varianten des Gedankenexperiments auf der GMW-Tagung bewegen. Nicht nur ich werde meine Version darstellen, die sich auch im schriftlichen Artikel des GMW-Bandes befindet, sondern auch Petra Grell und Beat Döbeli werden unabhängig von mir eigene Versionen präsentieren. Leider sind 30 Minuten sehr knapp dafür: Jeder von uns wird nur fünf Minuten Zeit haben, denn das Ganze muss ich trotz der Blog-Posts ja doch ein wenig rahmen. Ich bin aber sehr gespannt, denn ich kenne Beats und Petras Versionen auch noch nicht! Bis dann!

Was wäre, wenn … Akt III des Blended Talk

Die GMW rückt näher und ich bin beim dritten von vier Blog-Posts als Vorbereitung auf einen Beitrag zum Thema Prüfungen. In diesem Beitrag  geht es um den Versuch, in einem Gedankenexperiment der Frage nachzugehen, was wäre, wenn es keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr gäbe. Das Vorgehen habe ich hier erklärt; die beiden vorausgegangenen Abschnitte befinden sich hier und hier.

Dieser Akt nun ist SEHR wichtig. Denn man muss sich ja fragen, was ein Gedankenexperiment überhaupt ist! Wenn man sich darüber keine Klarheit verschafft, bleibt das Ganze eine ziemlich windige Sache. Also: Wer Interesse an dem Präsenz-Beitrag am Dienstag-Nachmittag auf der GMW hat: Bitte diesen Abschnitt unbedingt lesen. Ich werde das nämlich am Dienstag nicht wiederholen können. 🙂

Was ein Gedankenexperiment auszeichnet und (nicht) leisten kann

Manchen gilt das Gedankenexperiment lediglich als eine andere Bezeichnung für Gedankenspiele ohne Bezug zur Wissenschaft; andere sehen im Gedankenexperiment eine wissenschaftliche Methode. Eine umfassende Darstellung der Ideen- und Wissenschaftsgeschichte sowie eine kritische Analyse dieser Methode liefert Ulrich Kühne (2005). In seinem Buch erläutert er das Gedankenexperiment in der Naturphilosophie, Psychologie und Logik sowie in der modernen Physik und Wissenschaftsphilosophie. Eine erste theoretische Arbeit über die Methode des Gedankenexperiments stammt aus dem Jahr 1811 vom dänischen Naturforscher Hans Christian Ørsted; in das Vokabular von Naturwissenschaft und Wissenschaftsphilosophie führte Ernst Mach um 1900 den Begriff des Gedankenexperiments ein (Kühne, 2005, S. 21). Seitdem wurde und wird er unsystematisch gebraucht, was unter an-derem daran liegt, dass es zwar viele Beispiele für Gedankenexperimente (aus Naturwissenschaft und Philosophie) gibt, aber kaum genaue Definitionen oder gar methodische Anleitungen. Für Kleining (1986, S. 742 ff.) ist das Gedankenexperiment eine Form des qualitativen Experiments, für das entsprechend alle Techniken (des geplanten Veränderns) verwendet werden können wie bei anderen Formen des Experimentierens. Seel (2007, S. 38) betont, dass Gedankenexperimente letztlich darauf hinauslaufen, mögliche Welten zu konstituieren. Es geht in einem Gedankenexperiment weniger darum, zu eruieren, ob etwas wahr oder falsch ist, sondern darum, ob es möglich oder notwendig ist.

Kaum jemand behauptet, Realexperimente würden durch Gedankenexperimente widerlegt oder überflüssig gemacht werden. Stattdessen wird vor allem deren heuristische Funktion betont: Mit Hilfe von Gedankenexperimenten kann man sich das Unübliche, Andersartige, Unvertraute vorstellen (Engels, 2004, S. 220 f.). „Sinnvoll verstanden sind Gedankenexperimente eine Methode, um argumentative Brücken zwischen weit auseinanderliegenden, logisch zuvor unverbundenen Wissensinhalten herzustellen. Die Brücke wird durch Prinzipien hergestellt. Ausgehend von einem vorhandenen Wissen – Alltagswissen oder fortgeschrittene Theorien – werden qualitative Allgemeinsätze abstrahiert, deren Gültigkeit in einen noch nicht erforschten Anwendungsbereich stipuliert wird“ (Kühne, 2005, S. 390). Festzuhalten ist: Nicht jede Überlegung, die mit „Was wäre, wenn ….“ beginnt, ist ein Gedankenexperiment. Das aber wirft die Frage auf: Wann führt der Satzanfang „Was wäre, wenn ….“ zu einem solchen? Nach Helmut Engels (2004, S. 14 ff.) lässt sich an folgender (oft implizit bleibender) Struktur erkennen, ob man ein Gedankenexperiment vor sich hat:

  • Während man bei einem Realexperiment von Hypothesen ausgeht, die man verifiziert oder falsifiziert, liegen einem Gedankenexperiment zunächst einmal eine oder mehrere Annahmen zugrunde, die kontrafaktisch sind, also gegen die Fakten sprechen, aber denkbar sein müssen, prinzipiell auch real möglich sein können und die Vorstellung anregen.
  • Neben den Annahmen, welche die Versuchsanordnung bzw. Prämisse bilden, umfasst ein Gedankenexperiment eine Frage oder einen Fragenkomplex, der in Bezug zu den Annahmen steht, ohne direkt daraus ableitbar zu sein.
  • Das eigentliche Experiment besteht darin, Überlegungen zur Beantwortung der formulierten Fragen anzustellen. Dabei kann man weitere Bedingungen einbeziehen, z.B. „logische Prinzipien, moralische Normen, Wertentscheidungen, Erkenntnisse der Einzelwissenschaften, Einsichten aus der Lebenserfahrung, lebensweltliches Wissen usw.“ (Engels, 2004, S. 16). Zudem bedient man sich beim Überlegen verschiedener Vorgehensweisen wie z.B. Analogiebildung, hypothetische Verallgemeinerung, Perspektivenwechsel, experimentelle Umkehrung und vieles mehr. Der Ausgang des Experiments ist offen.
  • Zu einem Gedankenexperiment gehört schließlich ein größerer Rahmen, der etwas Grundsätzliches oder Übergreifendes beinhaltet. Diesen Rahmen bilden der Prolog am Anfang und der Epilog am Ende.

Daraus ergeben sich insgesamt fünf Schritte für die Umsetzung und Präsentation, an denen ich mich im Folgenden (explizit) bei der Darstellung meines Gedankenexperiments zur (Un-)Entbehrlichkeit von Prüfungen an Universitäten orientieren werde.