Der Wille würde es auch tun

Ich gebe es zu, dass ich mit den zahlreichen unter dem „Konnektivismus“ firmierenden Verlautbarungen zum selbstorganisierten und vernetzten Lernen insbesondere aufgrund des damit verbundenen missionarischen Eifers (der immer gleichen Leute) skeptisch gegenüberstehe. Das gilt auch für die im Moment durch viele Blogs und Ankündigungen laufenden Massive Open Online Courses (MOOC). Nun habe ich endlich den im Oktober 2011 veröffentlichten,  recht sachlichen Überblick über dieses Format in einem e-teaching.org-Artikel von Stefanie Panke (hier) gelesen. Der Beitrag stellt insbesondere eine Beziehung zum Konzept der „Personal Learning Environments“ her und versucht, die an MOOCs gestellten Erwartungen auf diesem Wege ein wenig zu ordnen und stellenweise auch kritisch zu hinterfragen. Als Kennzeichen für MOOCS werden Aspekte genannt, die so neu nicht sind:

(a) Es werden mehr Inhalte angeboten, als verarbeitet werden: Nun, das ist in anderen Veranstaltungen durchaus auch der Fall, wenn man Reader und Literaturlisten, Links und andere Ressourcen zusammenstellt – mir kommt das jedenfalls eher üblich vor. (b) Lernende treffen eine individuelle Auswahl und konstruieren ihren eigenen „Informationsmix“: Im Kopf der Lernenden erfolgt genau das, so würde ich behaupten, ebenfalls in jeder Seminarveranstaltung, im besten Fall auch im Hinblick auf die persönliche Gestaltung der Veranstaltungsressourcen in analoger und digitaler Form. (c) Die Inhalte überträgt jeder entsprechend seiner Ziele in eigene bedeutsame Kontexte: Seit den 1990er Jahren gibt es verschiedene didaktische Modelle, die zum einen zielgruppenspezifische, Interesse weckende Anwendungskontexte anbieten, aber natürlich auch dazu anregen, eigene Betroffenheit herzustellen, indem man Bezüge zu persönlichen Zielen und Anwendungsfeldern sucht. DASS man das macht, ist also ein alter Hut, WIE man es erfolgreich machen kann, wäre da schon interessanter. (d) Lernende sollen ihren Standpunkt öffentlich vertreten: Das hat man in klassischen Veranstaltungen (auch technologiegestützten) meistens nicht und dürfte wohl als einzige wirkliche Besonderheit gelten – mit entsprechend Vorteilen und Nachteilen.

Eher befremdlich sind die deutschen Wort-Neukreationen auf der Seite 10 im Zusammenhang mit Problemen bzw. Herausforderungen in MOOCs: „Kuration“ und „Voliation“ sind jedenfalls keine Wörter, die im Duden auftauchen und auch nicht gerade verständnisfördernd sind – muss das sein? Warum nicht „Informationspflege“ – hätte wenigstens einen netten metaphorischen Beiklang. Und was soll „voliation“ sein? Ist vielleicht „Volition“ gemeint? …, wobei ich auch dieses (bei Psychologen durchaus gängige Wort) seltsam finde – der Wille würde es auch tun.

Am Ende des Beitrags wird unter anderem die fehlende Anbindung des MOOC-Konzepts an institutionalisierte Lehr-Lernformen mit Prüfungen kritisiert. Meine These ist, dass das nie zusammengehen wird: Prüfungen sind nicht dazu geeignet, dazu anzuregen, sich in ungewisse Lernprozesse zu begeben, dabei auch noch motiviert bei der Stange zu bleiben und sich an der Unabgeschlossenheit des gemeinsam konstruierten Wissens zu erfreuen. Das sind einfach zwei ganz verschiedene Modi und ich kann es keinem Studierenden verübeln, wenn er sich da lieber ganz traditionell auf die nächste Prüfung vorbereitet. Solange wir an Hochschulen prüfen wie bisher, bleiben bei MOOCs die Marketing-Effekte wohl größer als die Effekte auf das Studium.

Jenseits der „Toll-Danke-sehe-ich-genauso“-Kommentare

Es ist jetzt ziemlich genau zwei Jahre her, als ein Beitrag von Rolf Schulmeister zum Thema „Kommentarkultur in Weblogs“ ein wenig Aufregung unter einigen Bloggern verursacht hat – vor allem bei denjenigen, die in einer kleinen empirischen Studie zu den „Beforschten“ gehörten (z.B. hier, hier, hier und hier). In der Tat ist es in vielen Fällen nicht so weit her mit den Kommentaren auf Blog-Posts oder gar mit Diskursen, die dadurch angestoßen werden. Aber es gab und gibt Ausnahmen: Viel diskutiert (jenseits der einfachen „Toll-Danke-sehe-ich-genauso“-Kommentare) wird z.B. regelmäßig im Blog von Christian Spannagel oder auch im Lehrerblog von Herrn Rau. In meinem eigenem Blog geht diesbezüglich eher gemächlich zu – woran das genau liegt, kann ich nicht sagen. Jedenfalls habe ich an diese Diskussion über Blogs als Medium der Selbstdarstellung versus als Medium der gegenseitigen Kommentierung denken müssen, als ich die umfängliche Auseinandersetzung im noch jungen Blog des „Netzwerks Innovation durch Bildung“ zu Werner Sesinks Ausführungen über seine Vorlesungserfahrungen gelesen habe. Gut, man trifft da wieder auf die alt bekannten Namen und das wiederum stützt Rolfs These von der Kommentarmüdigkeit in der Blogosphäre, wenn es nicht um Themen geht, die man als persönliches Hobby verfolgt, sondern um solche rund um Lehren, Lernen und Bildung (das sind dann halt immer nur SEHR wenige, die da aktiv sind). Dennoch zeigt dieses Beispiel aus meiner Sicht schön, dass und wie ein Diskurs öffentlich geführt werden kann. Und wer das genau mit verfolgt, kann daraus viel lernen und zum eignen Mit- und Nachdenken angeregt werden, ohne selbst mit zu diskutieren. Auch für Studierende könnte das interessant sein. Aber freilich dürfte hier wieder gelten: Selbst WENN Professoren bloggen (nur sehr wenige tun es), ist wohl die studentische Lesergruppe eher klein. Oder doch nicht?

Offensiv bekundetes Desinteresse

Es gibt seit kurzem einen neuen Blog – einen Blog des Vereins „Netzwerk: Innovation durch Bildung e.V.“. Einige der Beiträge stammen von Werner Sesink, mit dem ich seit einiger Zeit einen für mich wertvollen Austausch unter anderen zum Thema Entwicklungsforschung habe. Der neuste Blog-Beitrag behandelt ein Problem, das ich auch immer wieder (und gerade erst) in meinem Blog bespreche: das Ringen um den Dialog in der Lehre, um Motivierung und Interessenentwicklung, um Vermittlung von Inhalten und Aktivierung zum eigenen wissenschaftlich fundierten Denken und Handeln. Wenige Professoren machen öffentlich, was Sie dabei erleben, welche Zwickmühlen entstehen, welche Fehler man macht und wo man sich – wohl ähnlich wie die Studierenden – ungerecht behandelt und immer wieder (trotz vieler Erfahrungen) auch etwas ratlos fühlt. Werner Sesink nun beschreibt hier seine etwas enttäuschenden Erfahrungen in seinem letzten Semester; ich möchte eine Stelle zitieren:

„Verletzend war das so offensiv bekundete Desinteresse eines großen Teils der Teilnehmer/innen an diesem besonderen Konzept, das so weit ging, dass sie keine Hemmungen hatten, die Veranstaltung praktisch kaputt zu machen (die Musik ging im Lärmpegel unter; mein Vortrag war kaum zu vernehmen – wobei ich selbst das gar nicht so gemerkt habe und erst durch die Rückmeldung der Studierenden darauf gestoßen wurde). Ich war erstmal ziemlich ratlos, wie ich einigermaßen würdevoll mit der Situation umgehen sollte. Schließlich hab ich mich entschlossen, zum einen den Studis eine Rückmeldung zu ihrem Verhalten zu geben, zum andern eine Neuregelung für den Erwerb des Leistungsnachweises einzuführen.“

Dass didaktische Konzepte, die sich bereits bewährt haben, nicht mehr „funktionieren“, ist eine Erfahrung, die ich ebenfalls schon gemacht habe. Ich frage mich dann mitunter, was genau sich geändert hat: Haben sich die Studierenden und ihre Erwartungen und Voraussetzungen geändert? Habe ich mich geändert, haben sich meine Anforderungen geändert? Oder habe ich übersehen, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben? Oder alles zusammen?

Auch die Suche nach Lösungen, die einen am Ende selbst nicht sonderlich überzeugen (auch das beschreibt Werner Sesink in seinem Beitrag) ist mir bekannt: Des Öfteren schon hatte ich das Gefühl, ein Loch zu stopfen und währenddessen ein neues aufzureißen, das dann wieder gestopft werden muss etc. Wahrscheinlich hilft nur, dass man das Ganze zwar weiterhin ernst nimmt, aber gelassener damit umgeht, dass man die interessierten Leute nach vorne bittet (wörtlich und bildlich gemeint) und mit ihnen spricht, sich freut, dass man ein paar erreicht und bei den anderen hofft, dass sie andere Wege finden, um ihre akademischen und beruflichen Ziele zu erreichen – ohne ihnen böse zu sein (was dann wohl das größte Kunststück ist)!

Zeit schrumpfen

Normalerweise sehe ich ja zu, dass ich trotz engem Terminkalender einigermaßen regelmäßig diesen Blog „pflege“ , sprich: nicht vernachlässige. Aber dann passiert es halt doch, dass man das Vorhaben, einen kurzen Beitrag zu schreiben, immer wieder auf später verschiebt. Ja, zugegeben: Ich bräuchte mal wieder einen richtig freien Tag für freie Gedanken. „Frei“ ist da schon der richtige Begriff, denn wenn (auch so ein passendes Bild) das „Zeitkorsett“ zu eng wird, fühlt man sich wie ein Gefangener.  An sich mag ich es ja nicht, im Blog zu klagen, dass man nicht zum Bloggen kommt; das ist letztlich eine seltsam Meta-Blog-Kommunikation. Aber ich greife mal einen Aufhänger zu diesem Beitrag heraus, der über die Meta-Kommunikation hinausgeht: die Zeit! Neulich habe ich in der S-Bahn in einem Buch von Helmut Engel zum Thema „Gedankenexperimente“ eine schönen Hinweis zum Thema Zeit gefunden: In Gedanken nämlich kann man die Zeit rückwärts laufen lassen, in der Vergangenheit neu anfangen, die Zeit dehnen und schrumpfen, einen Zeitraum immer und immer wieder erleben usw. Mit zunehmenden Alter hat man ja das Gefühl, dass die Zeit schrumpft – jedenfalls die, die noch vor einem liegt. Die Zeit zu dehnen, ist mir jedenfalls noch nicht gelungen. In Gedankenexperimenten allerdings geht das in der Tat. Wenn ich mal wieder Zeit habe, werde ich intensiver drüber nachdenken. 🙂

Gefesselte Forschung

Anlässlich einer Biografie von Steve Jobs macht sich Joachim Wedekind in seinem Blog (hier) Gedanken zu der Frage, wie man es hinbekommt, dass Teams intrinsisch motiviert arbeiten. Er kommt zu dem Schluss, dass sich aus bestehenden Beispielen (etwa bei Apple und anderswo) keine Richtlinien ableiten lassen und dass man mitunter einfach auch Glück haben müsse. Dieses „Glück“, intrinsisch motivierte Teams bilden zu können, – und jetzt komme ich zu der Passage, die mich besonders aufhorchen ließ – hat Joachim selbst bisher vor allem in praxisorientierten Projekten und weniger in Forschungsprojekten gehabt. Er stellt in diesem Zusammenhang allerdings sogleich in Frage, ob das wohl ein Zufall oder eben keiner ist. Ich denke, es ist kein Zufall und das dürfte mit der Art von Forschung zu tun haben, die wir heute hoch halten: eine stark formalisierte Forschung, die mit „hohen Qualitätsstandards“ gerechtfertigt und entsprechend eingefordert wird. Kritisches Hinterfragen von Standards (und damit Konventionen), die aus Forschungsprojekten mitunter bloße Verwaltungsakte machen, ist nicht erwünscht, sondern mit dem Generalverdacht belegt, dass man diese nicht beherrscht, wenn man an ihnen zweifelt. Eine Forschung, die sich nur mehr in engen Grenzen bewegen und den eingeschlagenen Pfad nicht (mehr) verlassen darf, ist eine gefesselte Forschung. Aber vielleicht war und ist das eine notwendige Folge der seit der Jahrtausendwende „entfesselten Hochschule“, die man auf anderem Wege wieder einfangen musste. Für die Sache – so meine Meinung – ist das fatal: Was ist das für eine Forschung, bei der Forscher nur mehr nach externen Anreizen (Drittmittel, Rankings, Rufe) schielen? Warum sollten aus der Forschung keine Anwendungen (Produkte) entstehen, an denen man seine Freude hat? Wo, wenn nicht in der Forschung, sollte man Grenzen überschreiten und dazu auch motiviert sein und werden?

Keinen interessiert es

Die Kriterien und Vorgehensweisen beim Peer Review zur Einreichung von Beiträgen zur Jahrestagung der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW) werden geändert und keinen interessiert es. Wie kommt das? Ca. 100 Einreichungen gibt es jährlich bei der GMW. Da davon auszugehen ist, dass sicher nicht jeder jedes Jahr etwas einreicht, schätze ich den Kreis der potenziellen Einreicher pro Jahr mal auf ca. 300. Ungefähr 300 Personen müssten also an sich ein Interesse an den Kriterien und Vorgehensweisen haben, mit denen ihre Arbeiten beurteilt und ausgewählt werden. Sollte man meinen; ist aber nicht so. Denn obschon – was ich sehr gut finde – die GMW öffentlich aufruft, sich an dem Thema zu beteiligen (siehe hier) und dann ihre neuen Überlegungen erneut öffentlich macht (hier), äußert sich dazu niemand. Mein Kommentar blieb da alleine stehen. Warum? Weil man einfach mal überall einreicht und dann halt schaut, was passiert? Nach dem Motto „Irgendwas wird irgendwo schon gehen, wenn nicht da, dann woanders?“. Kann es einem wirklich egal sein, wie und woran man bzw. die eigenen wissenschaftlichen Arbeiten gemessen werden? Da jammern wir in der (Bildungs-)Wissenschaft immer alle, wie wenig junge Menschen die Potenziale des Web 2.0 nutzen und neue Web-Technologien doch wieder nur zur Unterhaltung und zum Konsum heranziehen, nicht aber für die eigene Artikulation und Partizipation an Dingen, die über die eigene Freizeit hinaus relevant sind. Und was macht man im akademischen Umfeld? Dasselbe? Nur aus anderen Gründen? Hat jemand Antworten?

Wie eine Schulstunde – ohne Frühstück

Unter dem Titel „Eine ganz normale Seminarsitzung“ findet sich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ der Bericht eines Geschichtsprofessors, der manchem Leser etwas zynisch, anderen Lesern dagegen bekannt vorkommen wird und auf wieder andere vielleicht sogar entlastend wirkt. Ich beschränke mich auf zwei längere Zitate, weil man den ganzen Text auch selbst online hier nachlesen kann:

„Um 9.15 sind alle heute zum Erscheinen Entschlossenen vollzählig. Gelegentliche Ermahnungen, mit dem Thema Pünktlichkeit doch erwachsen und so umzugehen, als sei die Universität ein Arbeitgeber, verfangen dauerhaft ebenso wenig wie die wiederholt vorgebrachten Hinweise, dass in akademischen Lehrveranstaltungen nicht gefrühstückt wird. […] In der Seminarsitzung heute fehlt einer der zwei Referenten. Die letzten Wochen war er da, er hat das Doppelreferat angeblich mit einem Kommilitonen vorbereitet, nun fehlt er unentschuldigt. Ich bin weniger überrascht als der vereinzelte Referent. Inzwischen muss ich davon ausgehen, jede Sitzung eines Seminars, in dem aufgrund eines seit einem Dreivierteljahr bekannten Themenplans Referate gehalten werden sollen, mit Unterrichtsmaterialien wie eine Schulstunde auffangen zu können, wenn die Referenten ohne oder nach kurzfristiger Absage ausfallen“.

Nach dieser resignierend wirkenden Darstellung eines Dauerzustands folgt eine konkrete Episode über den „vereinzelten Referenten“:

„ ´Hallo. Ich bin der Marco und erzähle Euch heute etwas über, äh, …´. Marco bekommt durch die Mithilfe einer Kommilitonin den Beamer nach nur fünf Minuten in Gang. … Marcos halbes Referatsthema ist die Rolle der Reichsregierung in der Julikrise 1914. Sein fehlender Mitreferent hätte über den Generalstab sprechen sollen. Aufteilung und die einzelnen Punkte der Agenda einschließlich gedruckter Quellen und einschlägiger Sekundärliteratur habe ich mit Marco, der im fünften Fachsemester eines sechssemestrigen B.A.-Studiengangs ist, detailliert durchgesprochen. Der Beamer wirft nun Marcos Namen, den fast fehlerfrei getippten Titel seines Referats, Datum und Matrikelnummer, das Logo unserer Anstalt sowie die drei Gliederungspunkte an die weiße Wand. Diese kommen mir bekannt vor, weil ich sie Marco vorgeschlagen habe. Neun Minuten lang wird Marco, der aufgefordert war, ein diskussionsorientiertes Referat mit Thesen zu halten und den Seminarteilnehmern die für ihn ausgesuchten Schlüsselquellen vorzustellen, eine Chronologie der Julikrise 1914 vortragen, die erkennbar aus der Datenliste stammt, die ich in den Semesterferien vor dem Seminar neben anderen Materialien zur Verfügung gestellt habe. […] Meiner Einladung, einmal ausführlich über sein Referat unter vier Augen zu sprechen, kommt Marco nicht nach, wird sich aber über die Note auf seinem Leistungsnachweis beim Studiendekan beschweren und mich als Prüfer in seinem B.A.-Abschluss meiden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er danach irgendwo ins Masterstudium gehen.“

Ob das nun eine „ganz normale Seminarsitzung“ – was ja ein wenig nach Repräsentativität klingt – oder gar nur die Spitze eines Eisbergs oder ein Beispiel ist, das man zwar kennt, aber nicht die Mehrheit von Seminarsitzungen repräsentiert, sei dahingestellt. Ich bin ja schon der Meinung, dass die Leistungen und das Engagement von Studierenden AUCH eine Reaktion auf die didaktische Leistung und das Engagement eines Lehrenden sind. Bezeichnenderweise signalisiert der Bericht schon eine recht negative Haltung zu hochschuldidaktischen Bemühungen, und vielleicht könnte man ja mal auf die Idee kommen, dass das eine mit dem anderen durchaus zusammenhängt. Allerdings kommt es auch nicht von ungefähr, dass – so meine Vermutung – viele Hochschullehrer, die das lesen, wissend lächeln werden, denn natürlich gibt es diese Fälle überall. Was mich z.B.  immer sehr ärgert ist, wenn Studierende kein Feedback haben wollen, oder dieses einfordern, dann aber gar nicht richtig zur Kenntnis nehmen geschweige denn berücksichtigen. Da kommt man sich dann einfach nur veralbert vor und fragt sich schon, warum man sich das antut. Aber es gibt eben AUCH die anderen „Fälle“ und „Sitzungen“ – das heißt: Lehrsituationen, in denen es Entwicklungen, kleine und größere Verbesserungen von Leistungen, entstehendes Interesse und Veränderungen im Laufe der Zeit (manchmal auch länger verzögert) gibt, die man mit Testverfahren und Evaluationsmaßnahmen am Ende einer Veranstaltung nicht einfangen kann, sondern die man erst erkennt, wenn man Studierende etwas länger kennt, mit ihnen spricht und auch mal genauer hinhört.

Also, lieber Kollege (wie man so schön sagt): Ich kann das einerseits schon verstehen (und teilweise nachfühlen) – den Frust und die Unverständnis vor dem Neun-Minuten-Referat, der schlampigen Sprache und Gefummel am Beamer, aber: Ebenso wenig, wie wir das als neues Niveau verwenden und aus universitären Veranstaltungen reine Schulstunden machen dürfen, sollten wir dauerhaft zynisch werden (es reicht ja eine zeitlich begrenzte Ironie) und in die Haltung verfallen, dass da nichts mehr zu retten ist. Und wer auf dem Standpunkt steht, dass jede Form von didaktischer Gestaltung den wissenschaftlichen Himmel zerstört, der darf sich nicht wundern, wenn ihn neue Herausforderungen in der Lehre erst mal ratlos machen.

Geld, Reputation, Gestaltungsfreiheit, Zeit

Geld, Reputation, Gestaltungsfreiheit, Zeit – das sind laut neuester Empfehlungen des Wissenschaftsrats „zur Bewertung und Steuerung von Forschung“ (online hier zugänglich) die wichtigsten „steuerungswirksam einsatzbaren Anreize“ an Hochschulen. Diese konsequent einzusetzen, befürworten die einen, um die Leistungsfähigkeit in der Forschung zu erhöhen. Die anderen kritisieren dies als kontraproduktiv und attestieren solchen Verfahren eher negative Effekte für das Wissenschaftssystem. Die Gegensätzlichkeit dieser Positionen sowie deren Unvereinbarkeit hat jetzt der Wissenschaftsrat jetzt erkannt und liefert Empfehlungen dafür, wie man damit umgehen kann, falls es gelingt, dass man „beiden Seiten Zugeständnisse abverlangt“ (S. 10). Erklärtes Ziel des Papiers ist es, „die Auseinandersetzungen um die Bewertung und Steuerung von Forschung zu versachlichen“ (S. 13), was voraussetzt, dass diese bislang als unsachlich wahrgenommen wird. Zudem soll „eine Balance der unterschiedlichen Interessen“ (S. 13) angestrebt werden. was daraufhin hindeutet, dass hier verschiedene Wissenschaftlergruppenoffenbar tatsächlich verschiedene Interessen haben (Geld, Reputation, Gestaltungsfreiheit, Zeit?).

Zunächst werden einige Beobachtungen zusammengetragen zu: (a) Bewertung durch Peers, (b) Bewertung durch quantitative Indikatoren, (c) Evaluationsverfahren, (d) Ratings und Rankings, (e) Steuerung über Mittelallokation (leistungsorientierte Zuweisung des Landesmittel an Hochschulen, leistungsorientierte Mittevergabe innerhalb der Hochschulen und W-Besoldung), (f) Standards „guter wissenschaftlicher Praxis“, (g) Folgen für die Lehre und (h) wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Dann folgende die eigentlichen Empfehlungen: zunächst „übergeordnete Empfehlungen“, die – per definitionem – relativ abstrakt sind, und dann einzelne Empfehlungen, die sich auf die gerade genannten Gegenstände der Beobachtung beziehen.

Es ist aus meiner Sicht durchaus empfehlenswert, sich das durchzulesen. Viele Punkte sind derart, dass sie rasch auf Zustimmung stoße werden, so z.B. weniger Dokumentationen und Evaluationen, indem das alles besser koordiniert und getaktet wird. Dünn sind die Vorschläge zum Peer Review (S. 37 f.): Mehr Transparenz durch offene Peer Review-Verfahren werden z.B. gar nicht erwähnt. Dass der Begriff der Forschungsleistung möglichst breit gefasst werden sollte (S. 34), hört sich ebenfalls gut an: Hinweise auf die damit (unter anderem) verbundene Notwendigkeit, dass auch eine Diskurs über das Wissenschaftsverständnis in den einzelnen Disziplinen stattfinden muss, fehlt allerdings. Am Glauben, dass Wettbewerb prinzipiell die Dinge heiligt, wird weitgehend festgehalten, wenn z.B. empfohlen wird, Drittmittel, die „kompetetiv eingeworben“ wurden, höher zu gewichten als solche, die in nicht-kompetetiven Verfahren vergeben worden sind (S. 40). Auch wenn man vielen Ratings keine hohe Qualität bescheinigt, hält der Wissenschaftsrat auch in den aktuellen Empfehlungen an Ratings als Maßnahme der Steuerung von Forschungsleistungen fest (S. 44). Und zur W-Besoldung mag man jetzt noch nichts sagen (S. 46); dazu soll es eine eigene Empfehlung geben.

Was ich jetzt davon halte? Es ist gut, DASS sich der Wissenschaftsrat mit dem Thema beschäftigt, zeigt es doch, dass die in den letzten Jahren mehr gewordenen kritischen Stimmen nicht mehr überhört werden (können). Man kann auch einige „Zugeständnisse“ aus dem Empfehlungen ebenso wie durchaus sinnvolle Vorschläge herauslesen. Alles in allem aber läuft es meiner Einschätzung nach auf ein paar Korrekturen des gegenwärtigen Steuerungssystems hinaus, keinesfalls aber auf einen Kurswechsel. Es kann sich ja jeder (Wissenschaftler und Hochschullehrer) mal fragen, womit er sich am schnellsten locken lässt (mehr Geld, mehr Reputation, mehr Gestaltungsfreiheit, mehr Zeit?) und ob er einen echten Kurswechsel mittragen würde …

Alles gut mit Gutachten?

Einen Monat lang konnte man nun im GMW-Blog Kommentare zum Thema Peer Review bzw. Begutachtungsverfahren in der GMW (Jahrestagung bzw. Tagungsband) machen – nämlich hier. Gut – ich war mit meinem Kommentar auch spät dran. Aber dass es am Ende nur vier Personen gab, die etwas dazu zu sagen haben/hatten, ist vielleicht doch etwas wenig. Gibt es keinen Verbesserungsbedarf bzw. wird keiner gesehen? Oder war das nur zu versteckt und viele haben die Möglichkeit, ihre Meinung und ihre Vorschläge zu diesem Thema kundzutun, nicht bemerkt?

2010 hatte ich mit Silvia und Christian zusammen das Thema Peer Review bereits als Beitrag eingereicht (hier). Die Resonanz war auch damals eher verhalten. Da das gegenseitige Feedback zwischen Wissenschaftlern eine zentrale Säule des Wissenschaftsbetriebs ist und infolge von Evaluationen verschiedenster Art zudem über „Karrieren“ entscheiden kann, wundert es mich doch sehr, dass dieses Thema in Diskussionen so wenig aufgegriffen wird. Peer Reviews sind aus meiner Sicht einerseits so etwas wie eine besondere Art der Kommunikation und Vermittlung von Kritik und Begründung und damit ein ganz wichtiger Schritt in Erkenntnisprozessen. Andererseits haben Peer Reviews die Funktion von „Qualitätshütern“, sind mitunter eine Art Sozialisationsinstanz (manchmal hat man auch den Eindruck: Erziehungsinstanz) in einer wissenschaftlichen Community. Mit diesen zentralen Aufgaben sollte doch das Peer Review selbst Gegenstand der kritischen Reflexion sein und bleiben. Es darf sich meiner Meinung nach durchaus auch verändern, weiterentwickeln – und zwar mit Blick auf das Ziel, die jeweilige „Sache“ weiterzubringen, um die es geht.

Wo also bleiben all die (kritischen und kreativen) Stimmen?

 

Sich gegenseitig in Ruhe lassen

Wenn man ein bestimmtes Bild von der Universität zeichnet, z.B. in die Richtung, dass Studierende besonders engagiert in ihrem Studium oder im Gegenteil besonders lethargisch und gleichgültig sind oder in die Richtung, dass Lehrende besonders einfallsreichreich in der Lehre oder im Gegenteil besonders ignorant sind, dann erntet man in jedem Fall Widerspruch, weil es immer Gegenbeispiele zu dem gibt, was man gerade darstellt. Und das ist auch nicht verwunderlich, denn Universitäten sind voll von engagierten und lethargischen Studierenden, von einfallsreichen und ignoranten Lehrenden; und sie sind voll von Studierenden und Lehrenden, auf die eine Vielzahl anderer und dabei auch gegensätzlicher Eigenschaften zutrifft – mitunter auch mehrere gegensätzliche bei einer Person je nach Situation. Wenn also variable Bilder von erfolgreichem und misslungenem Lehren und Studieren gezeichnet werden, dann treffen sie wahrscheinlich stets zu und zwar gleichzeitig und machen zusammen die Vielfalt aus, die wir im Universitätsalltag antreffen.

Sind Lehrende UND Studierende engagiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zwar beide Seiten einen großen Aufwand, aber ähnliche Erwartungen haben und ihre jeweilige Investition als lohnend empfinden. Umgekehrt gilt (leider) auch, dass im Falle wenig engagierter und interessierter Lehrender UND Studierender die Erwartungen ebenfalls weitgehend übereinstimmen, man den Aufwand auf beiden Seiten klein hält und sich schlicht gegenseitig in Ruhe lässt. Probleme und Herausforderungen ergeben sich allerdings in besonderem Maße überall dort, wo infolge der Verschiedenheit die Erwartungen seitens der Studierenden und die der Lehrenden auseinanderdriften: Studierende, die etwas lernen wollen, sich engagieren und auf Lehrende treffen, das das Minimum erfüllen, keine Rückmeldungen anbieten und kein sonderliches Interesse an der Lehre und den Studierenden haben, sind enttäuscht, bei günstigen personalen Bedingungen werden sie selbst aktiv und im ungünstigen Fall ziehen sie sich demotiviert zurück. Umgekehrt gilt aber auch: Lehrende, die in der Lehre mehr sehen als eine Pflicht, sich viel einfallen lassen und auf Studierende treffen, die das Minimum erfüllen, Rückmeldungen eher als lästig empfinden und letztlich das Studium aus anderen Gründen als aus Interesse an der Sache absolvieren, entwickeln ebenfalls unterschiedliche negative Reaktionen: Ärger, Resignation und Zeitinvestition in andere Dinge als Lehre.

Noch einmal komplexer wird die Situation, wenn man die Möglichkeit hinzuzieht, dass die verschiedenen Konstellationen sowohl bei den Studierenden als auch bei den Lehrenden zum einen unreflektiert „passieren“, zum anderen aber auch bewusst wahrgenommen und mit Kalkül praktiziert werden können. An dieser Stelle werden dann auch von beiden Seiten vielfältige Gründe angeführt, die das eigene Verhalten (scheinbar) legitimieren.

Wie ich da jetzt darauf komme? Nun, das Trimester (wir beginnen Anfang Oktober) ist noch im ersten Drittel, aber sowohl aktuelle Erlebnisse mit Studierenden als auch solche mit Kollegen/innen führen dazu, dass ich über solche Dinge im Moment gerade (mal wieder) nachdenke. Ich empfinde die Situation jedenfalls als vertrackt, denke mir oft, dass alle „am Spiel Beteiligten“ ihre Erwartungen und Aufwandsbereitschaft eigentlich transparenter machen müssten, wohl wissend, dass das infolge von sozialer Erwünschtheit und anderen Gründen eine utopische Vorstellung ist. Aber selbst WENN man den Versuch macht, die eigenen Erwartungen zu explizieren, steht in den Sternen, wie das der jeweils „andere“ interpretiert, ob er/sie die Erwartungen als legitim empfindet etc. Denkt man das weiter, landet man unweigerlich bei den Erwartungen an die Universität als eine gesellschaftliche Institution und stellt auch da eine hohe Diskrepanz fest, sodass es wiederum nicht verwunderlich ist, wenn wir auch zwischen Lehrenden und Studierenden auf diese teils ausgesprochenen, teils unausgesprochenen Erwartungsdiskrepanzen treffen.

Ich freue mich über Kommentare mit Ideen oder Erfahrungen, wie man damit konstruktiv(er) umgehen kann.