Intellektueller Kapitalismus

Seit knapp zwei Wochen gibt es von Richard Münch ein neues Buch: „Globale Eliten, lokale Autoritäten, Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey und Co„. Nachdem in seinem letzten „Beststeller“ vor allem die Forschung im Vordergrund stand (mir hatte das Buch zur „Akademischen Elite“  recht gut gefallen; ich habe hier darüber berichtet – mein Gott, wie die Zeit vergeht), widmet sich Münch nun stärker der Bildung und stellt Dinge fest, die an sich seit Jahren in zahlreichen Artikeln z.B. der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ immer wieder zu lesen sind: Die Problematik von Bologna mit der dazugehörigen Bürokratisierung, die Schwierigkeit der schleichenden Ökonomisierung über Marktprinzipien und den viel beschworenen Wettbewerb etc. An Münch sieht man, wie wichtig es ist, dass man mit diesen Aussagen nicht in der „eigenen Community“ (wie bei oben genannter Zeitschrift) verbleibt, innerhalb derer man zwar viel Konsens erzielt, der aber außen nicht gehört wird. Von diesem „Außen“ sind Wissenschaft und Lehre an der Hochschule nun eben abhängig. Auch wenn Münch also aus einer bestimmten Perspektive über die „Wissenschaftsstars“ schimpft, die man sich an die Hochschulen holt, während man dann an vielen anderen Ecken sparen muss, zeigt er doch, dass diese Stars aus einer anderen Perspektive wieder wichtig sind – z.B. als Sprachrohr wie er selbst. Und er zeigt, wie essenziell der richtige Zeitpunkt für Kritik ist: Erst der Zusammenbruch der globalen Wirtschaft infolge der Bankenkrise hat das Feld dafür geebnet, dass mehr Leser überhaupt geneigt sind, ihm (oder vielleicht auch den vielen anderen) zuzuhören. Das ist natürlich auch ärgerlich: Denn was bleibt von der Kritik, wenn sie schon fast wieder Mainstream ist?

Ein guter Beitrag zu Münchs neuem Buch findet sich im Deutschlandfunk (hier). Weniger gelungen finden ich den Beitrag in der SZ (hier): Der Autor wirft hier ein bisschen viel durcheinander – allerdings natürlich auch angeregt durch Münchs Aussagen, der an manchen Stellen übers Ziel hinausschießt. So habe ich z.B. den Eindruck, dass die Bedeutung des Wissens für unsere Gesellschaft (Wissensgesellschaft) und damit auch für Ökonomie und Arbeit (Wissensökonomie und Wissensarbeit) verkürzt dargestellt wird. Diese Entwicklungen sind ja keinesfalls so zu verstehen, dass damit auch jeglicher Umgang mit Wissen wirtschaftlichen Prinzipien zu unterwerfen ist. Im Gegenteil: Die wachsende Bedeutung des Wissens für Ökonomie und Arbeit macht die Rolle von Bildung und Lernen ja besonders deutlich! Die Antwort darauf kann also genau nicht ein „intellektueller Kapitalismus“ sein, sondern – wie in diesem Blog (hier) ja bereits ausführlich diskutiert – eine „Aufklärung 2.0“. Aber da ist Münch noch nicht. Ich hätte es sehr spannend gefunden, wenn sich ein erfahrener Wissenschaftler wie Münch bei einem solchen Buch mit jüngeren Co-Autoren zusammengetan hätte, die in unserer kapitalistischen Welt Nischen gefunden haben, in denen Ansätze einer solchen „Aufklärung“ aufscheinen.

Trotz dieser (kleinen) Kritik: Toll wäre es, wenn man Münch an diesem „Improve-Kongress“ (ich habe einigermaßen erschüttert vor nicht allzu langer Zeit hier davon berichtet) die Eröffnungsrede halten ließe – dann würde ich auch hingehen.  🙂

Wie gut ist ein Forscher in den Geistes- und Sozialwissenschaften?

Wie gut ist ein Forscher? So gut wie seine Publikationsliste. Aber natürlich nicht jede Liste! Das Gericht in einem Fünf-Sterne-Lokal erfordert ja auch erlesene Zutaten (aber wer weiß eigentlich schon, ob sich da nicht auch Discounter-Ware einschleicht?) und die kommen eben nicht irgendwo her. So ist das mit den Publikationen auch. Allerdings besteht wenig Konsens darin, was die „erlesenen Quellen“ sind und was man meiden muss – jedenfalls in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Der Unmut darüber, dass sich schon seit längerem in den Geistes- und Sozialwissenschaften Beurteilungspraktiken breit gemacht haben, die aus den Naturwissenschaften kommen, war und ist groß. Umso erfreulicher sind Vorstöße, hier differenzierter zu werden und die Besonderheiten der Disziplinen sowohl in der Forschung als auch in der Art der Veröffentlichung Rechnung zu tragen. Hierzu gibt es aktuell bei der DFG einen interessanten Hinweis (hier):

Die DFG spricht sich gegen den European Reference Index for the Humanities (ERIH) aus – einen Ansatz zur Bewertung von Zeitschriften als Publikationsorten für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse. Kritisiert wird zum einen, dass auch dieser Ansatz erneut allein Zeitschriften im Blick hat (und z.B. nicht Monografien und Sammelbände), und zum anderen, dass ad hoc zusammengesetzte Expertenpanels die Klassifizierung dieser Zeitschriften vorgenommen hätten. Das Ergebnis sei unterkomplexen und lade zu Missbrauch ein. Zusammen mit drei anderen Förderorganisationen aus Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden hat die DFG daher bereits Ende 2008 ein „Project Board unter Leitung von Professor Ben Martin, Universität Sussex“ initiiert – woher da jetzt die Experten kommen und wieso die nicht ad hoc zusammengesetzt sind, steht leider nirgendwo. Positiv aber ist folgendes Versprechen für die Arbeit dieser Gruppe (ich zitiere):

„Dabei sollen sowohl die Diversität europäischer Wissenschaftssprachen als auch die spezifischen Kommunikations- und Publikationsformen der einzelnen Disziplinen als besondere Herausforderungen mit bedacht werden. Beispielhaft sind hier die in vielen Fächern zentralen Publikationsformen der Monografie und des Sammelbandes zu nennen …“.

Schade, dass z.B. Lehrbücher und andere Lehrmaterialien wiederum NICHT berücksichtigt werden, obschon dies für den Transfer von Wissen und Wissenschaft und für die viel beschworene Einheit von Forschung und Lehre ja wohl auch SEHR wichtig wäre. Ein gutes Lehrbuch schreiben zu können, wäre das nicht auch eine wichtige Qualität eines Forschers? Wäre das nicht eine viel sinnvollere Initiative im Zuge einer höheren Wertschätzung der Lehre als ständig diese „Exzellenz-Wettbewerbe“? Ich frag ja nur …

Form und Inhalt

Zwei Wochen liegt die Fachtagung „Personal Learning Environments in der Schule“ an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz in Goldau nun schon zurück. Leider war ich nicht auf der Tagung und auch einige meine Mitarbeiter, die an sich da sein wollten, sind an der „personal moving environment“ gescheitert und mit einem kaputten Auto liegen geblieben (Gott sei Dank ist sonst nichts weiter passiert). Man kann aber (hier) die Keynote-Vorträge per Video anschauen und anhören (freilich nur ein kleiner Trost für den gescheiterten Besuch). Wer Zeit hat, sollte sich alle Vorträge anhören. Wer wenig Zeit hat, der sich sollte unbedingt Beat Döbelis Vortrag zu Gemüte führen. Warum? Weil ich niemanden kenne, der es besser hinbekommt, Inhalt und Form eines Vortrags so gut aufeinander abzustimmen.

Beats Vorträge sind Kunstwerke, in die er mit Sicherheit viel Zeit steckt. Und wie es sich „für ihn gehört“, bringt er das Handy (bzw. i-Phone) zum Einsatz, wenn es im Vortrag um das Handy geht. Er bringt Anschauungsmaterial mit, das er erwähnt, und setzt im Vortrag exemplarisch ein, um was es ihm geht. Diesen Vorträgen kann man folgen; sie bleiben in Erinnerung; sie verbinden Inhalt und Form. Sicher ist das nicht die einzige Art, gute Vorträge zu machen – das will ich gar nicht sagen. Es gibt verschiedene Ziele und damit auch verschiedene Formate und verschiedene Möglichkeiten, wie man die Form gestaltet (z.B. via Abstimmung auf den Inhalt à la Beat oder eben anders). Fest steht für mich allerdings, dass nur sorgfältig vorbereitete Vorträge ihr Ziel erreichen – Vorträge, bei denen man sich eben AUCH über die Form (zu der z.B. aus meiner Sicht auch die Struktur gehört) ausreichend Gedanken gemacht hat.

Diskussion um Entwurfsmuster

In Peter Baumgartners Blog findet sich eine interessante Zusammenstellung von verschiedenen Ansätzen zu sowie eine Diskussion um sogenannte Entwurfsmuster bzw. didaktische „Pattern“. Ausgangspunkt ist der (bereits erfolgte) Workshop „E-Learning-Patterns“ am Institut für Wissensmedien in Tübingen. Peter hat ausführlich verschiedene Online-Ressourcen zusammengestellt, aber auch seine Skepsis gegenüber aktuellen Ansätzen zum Ausdruck gebracht, auf die Christian Kohls vom Institut für Wissensmedien ausführlich reagiert hat (hier).

Worum geht es? Bei e-teaching.org kann man folgende Erklärung lesen: „Patterns (dt. Muster) sind ein systematischer Weg, erprobte Lösungsformen für wiederkehrende Problemstellungen zu dokumentieren und klassifizieren. Die Grundlage hierfür sind stets Erfahrungen aus der Praxis. Ein didaktisches Muster erfasst die Regelmäßigkeiten erfolgreicher Praktiken (good/best practices) mit der Zielsetzung, erprobte Methoden, Szenarien, Aufbereitungstechniken wiederzuverwenden und auf neue Gestaltungsaufgaben zu übertragen. … Dabei ist es nicht nur Ziel, die Regelmäßigkeit in der Lösungsform zu erfassen, sondern auch das dazugehörige Problemfeld mit seinen wiederkehrenden Kontexten, Situationen und Gegebenheiten, in denen das Problem auftritt.“ Zudem wird (hier) auf eine ganze Reihe solcher schon bestehender Sammlungen verwiesen.

Ich habe mich mit diesem Ansatz noch nicht intensiver beschäftigt, obschon mir der Begriff natürlich schon öfter untergekommen ist. Meine ersten Reaktionen sind eher zurückhaltend, weil ich den Verdacht habe, dass wir es hier womöglich mit einem nicht zwingend notwendigen Begriff zu tun haben (warum ich das jetzt so vorsichtig formuliere, weiß ich auch nicht). Diesen Verdacht hat man ja immer dann, wenn man „Muster“ entdeckt, um im Bild zu bleiben, also Ähnlichkeiten zu bekannten Begriffen, älteren Konzepten oder bestehenden Forschungstraditionen sieht. Wo sehe ich die?

  • Zunächst einmal fällt mir auf, dass es ja wohl eines des größten Ziele in Pädagogik und Didaktik ist, zumindest Heuristiken für die Gestaltung von Lernumgebungen und Lernsituationen anzubieten, zu entwickeln und zu erproben. Hier gibt es eine umfangreiche Tradition und natürlich erhofft man sich davon auch so etwas wie Vorlagen, Vorbilder oder Regeln für die Praxis, von denen jeder weiß, dass man sie an die jeweilige Situation natürlich anpassen muss.
  • Des Weiteren denke ich an die Expertiseforschung, die ja eigentlich auch genau das macht, was man in Pattern-Ansätzen postuliert: nämlich Experten daraufhin zu untersuchen, wie sie Probleme wahrnehmen, Wissen organisieren und in komplexen Problemsituationen erfolgreich handeln. Auch daraus hofft man, Heuristiken oder mehr ableiten und sogar für technische Systeme (Stichwort Case Based Reasoning) nutzen zu können.
  • Schließlich versucht man gerade mit Forschungsstrategien wie Design-Based Research oder Methoden der Entwicklungsforschung unter anderem auf „Entwurfsmuster“ in dem Sinne zu kommen, dass man Lehrenden praktisch nützliche und vor allem kontextsensitive Vorlagen zur adaptiven Nutzung an die Hand geben kann.
  • Nicht zuletzt hat man auch im Wissensmanagement mit Methoden wie Willkes Mikroartikel den Versuch unternommen, (jenseits der Forschung) situativ gebundene Erfahrungen so zu dokumentieren, dass auch andere sie „wiederverwenden“ können.

Damit will ich NICHT sagen, dass „E-Learning Patterns“ eine überflüssige Bewegung ist, insbesondere dann nicht, wenn damit fruchtbare Diskussionen, neue Studien und vor allem auch ein interdisziplinärer Austausch (wie das bei den Patterns wohl vor allem mit Informatikern der Fall ist) ausgelöst werden. Toll sind hierfür auch so umfangreich zusammengestellte Informationen, wie man sie auf e-teaching.org in einem eigenen Special zum Thema findet! Nur dürfen sich die Vertreter solcher neuen Gedanken nicht wundern, wenn speziell erfahrene Wissenschaftler aus Pädagogik und Didaktik etwas irritiert sind angesichts des Versprechens, dass hier gänzlich neue Gedanken zum Vorschein kommen – zumal, wenn sie dann vielleicht sogar – wie Peter meint – ziemlich trivial sind.

Improve the Alma Mater

Bis vor kurzem konnten wir uns zumindest noch darüber Gedanken machen, ob es sich lohnt über einen Aufruf wie „Rettet die Alma Mater“ nachzudenken. Heute gibt es „Improvement“ statt Rettung und zwar auf Fachmessen; und Personalfragen werden vielleicht schon bald über die Alma Mater GmbH abgewickelt. Wie ich darauf komme? Gestern bekam ich den Hinweis (na ja, etwas mehr als einen Hinweis, aber darauf gehe ich jetzt nicht näher ein) auf die „1. Europäische Fachmesse für Hochschulen und Forschungseinrichtungen“, die auch einen Kongress mit einschließt, ausgerichtet von der University Partners Interchange GmbH – unterstützt vom DAAD, Siemens und dem Stifterverband, betitelt mit „improve! 2009″. Nein, das hat mich noch nicht gestört, denn natürlich werden heute viele große Veranstaltungen von Firmen organisiert und koordiniert (wobei sich diese Firma bereits auf den „wachsenden Themenbereich des Bologna-Hochschulraumes spezialisiert“ hat – ein Phänomen, das einem ja bereits bei der Akkreditierung – unangenehm – auffällt). Aber der „Imageflyer„, der hat es in sich und spielt mit einem einfachen Trick: Die bekanntesten Floskeln aus der (Bildungs-)Politik werden hier aufgegriffen, wie z.B. „Die Politik entlässt die Hochschulen in die Freiheit“, „Exzellenz und Effizienz“, „Ein spannender neuer Markt entwickelt sich“, was mit blumigen Worten umschrieben wird und in der Behauptung gipfelt: „Konzepte, die sich in der Wirtschaft bewähren, nützen auch den Hochschulen – angefangen von der strategischen Zielfindung über Prozessanalyse bis zur Detailsteuerung“.

Tatsächlich? Wir hatten eine ähnliche Diskussion übrigens schon mal beim Thema Qualitätsmanagement in den 1990er Jahren, nur dass man damals eher soziale Einrichtungen als Hochschulen im Blick hatte (von Heiner Keupp, der dieses Thema schon vor 15 Jahren aufgegriffen hat, gibt es einen vergleichsweise aktuellen Vortrag dazu, nämlich hier). Es folgten Überlegungen zum Wissensmanagement an Hochschulen (dazu habe ich auch selbst mal was geschrieben, nämlich hier; ist aber schon eine Weile her). Jedes Mal war die Hoffnung groß, mit Konzepten aus der Wirtschaft Probleme an den Hochschulen lösen zu können, wobei man aus meiner Sicht schon mal weiter war und von einer bloßen Übernahmen ökonomischer Konzepte abrückte. Es ist ja so: Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass man vor allem, aber nicht nur das Management an Hochschulen verbessern kann – in den Universitätsleitungen genauso wie an den Fakultäten und einzelnen Fachbereichen. Niemand wird bestreiten, dass wir an der Hochschule das Engagement der Wirtschaft über den Weg von Forschungskooperationen und Drittmittel brauchen. Niemand wird bestreiten, dass verschiedene gesellschaftliche Bereiche – so auch Ökonomie, Bildung und Wissenschaft – voneinander lernen können. Was aber soll DAS? Was bitte sind an der Hochschule „effiziente Produkte“ (wie es im „Imageflyer“ heißt)? Das Bachelor-Studienangebot? Wir würde uns ja freuen, wenn damit ein effizientes Software-Produkt zur elektronischen Leistungspunkteerfassung gemeint wäre, auf das Hochschullehrer und Studierende allerdings schon lange vergeblich warten. Was wohl mit „innovativen Dienstleistungen“ an der Hochschule gemeint ist? Die Karriereberatung statt der Zumutung, zum kritischen Denken, zum Hinterfragen, zum Durchdringen auch komplexer Sachverhalte angehalten zu werden? Warum bitte sollen sich „Hochschulen als Marke etablieren“? Ich habe da ein Bild vom unabhängigen Wissenschaftler, der sich mit seiner Fachcommunity verbunden und seinen Themen und Studierenden, aber keiner „Marke“ verpflichtet fühlt.

Dass eine Seite Imageflyer so viele Plattheiten auf einmal zusammenbringt, ist fast schon wieder bewundernswert. Und dass dies so offensichtlich geschieht (man ist ja Subtileres gewöhnt), könnte geradezu amüsant sein  – wenn es nicht an sich ziemlich zum Heulen wäre.

Wilde Vorschläge

Eine Studie – die ich nirgendwo finde, auch nicht auf den Seiten des Ifo Instituts, wo sie eigentlich sein sollte – sorgt für Wirbel: Lehramt studieren nur, so heißt es in den Schlagzeilen (z.B. hier), diejenigen, die vergleichsweise schlechte Noten haben. Annette Schavan schlägt darauf hin vor, Unternehmen sollten ihre besten Leute in die Schule schicken, damit die mal den Laden ein wenig umkrempeln (ja, so hat sie es nicht gesagt, aber es läuft darauf hinaus). Als Reaktion auf diesen immerhin medienwirksamen „unkonventionellen“ Vorschlag protestieren jetzt alle – also fast alle: Was die Schüler dazu sagen, wissen wir nicht. Unrealistisch ist es ohnehin. Ludger Wößmann selbst, der sich für die Studie verantwortlich zeichnet, hat (in einem Interview) einen anderen Vorschlag: Die Aufstiegschancen von Lehrern verbessern (denn das würde motivieren) und vor allem leistungsorientiert denken. Auf diese Idee gibt es meines Wissens noch keine Reaktion. Was sollte man schon gegen Leistung haben – wie man die genau feststellt, das sagt er allerdings nicht. Da dürfte (das kennen wir aus der Hochschule – leistungsfähig ist der, der viel Drittmitteln ranschafft – egal wie: Was wäre das Pendant in der Schule?) schon mal die eigentliche Hürde liegen, die man erst mal nehmen müsste. Der Bildungsserver Blog zitiert eine Studie bzw. einen dazugehörigen Text (hier), in dem bessere Beratung und Eignungsprüfungen für angehende Lehrer verlangt werden. Das klingt in meinen Ohren schon vernünftiger, aber halt weniger spektakulär – da kann man sich in der Presse entsprechend weniger wirkungsvoll darauf werfen, also bleibt es eher im Hintergrund. Und dass die Ausbildung der Lehrkräfte mitunter mehr als zu wünschen übrig lässt, das sagt man schon gar nicht mehr, weil: Das hat man schon so oft gesagt, und wer will schon immer dasselbe hören.

Also manche Diskussionen, die man da in Schule und Hochschule führt, sind sich bisweilen ähnlicher als man meinen sollte: Vergleichbar ist die Klage über die schlechte Lehre. Vergleichbar sind die oft vergeblichen Bemühungen, beispielsweise über digitale Medien (als EINEN Weg) auch methodische Verbesserungen herbeizuführen. Ich beobachte auch Parallelen, was die Leidenschaft am Unterrichten betrifft, die sich – aus sicher verschiedenen Gründen – an Schule und Hochschule oft nicht oder nicht mehr so recht einstellen will. Ähnlich ist die Unlust von Schülern und Studierenden, von denen sich viele gehetzt zu fühlen scheinen (nein, ich habe keine Studie dazu): Angetrieben, in möglichst kurzer Zeit möglichst umfassend ausgebildet zu werden für … ja für was? Für Arbeitsleben und Wirtschaft natürlich, für einen guten Job, für Geld. Bildung – ob Schule oder Hochschule – das ist eine Durchgangsstation für das eigentliche Leben (geworden). Lasst uns doch Schule und Hochschule wieder ihre eigene Berechtigung geben, nicht nur die Berechtigung als „Mittel, um zu“. Lehrer und Hochschullehrer müssen sich im Übrigen auch nur allzu oft anhören, dass sie nicht wüssten, was in der „eigentlichen Welt da draußen“ vor sich ginge. Da schwingt eine gesellschaftliche Geringschätzung mit, die sicher auch ihren Beitrag zu den zahlreichen Problemen im Bildungsbereich leistet. Auch das – eine klar kommunizierte Daseinsberechtigung von Bildungsinstitutionen und deren Wertschätzung – könnte doch in den Reigen der Vorschläge aufgenommen und ernsthaft geprüft werden. Wenn wir dann alles zusammen nehmen: Kooperationen mit der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen, Aufstiegschancen und Anreize für Lehrer, berufliche Eignungsverfahren und Beratung, eine vor allem auch pädagogisch intensive und gut durchdachte Ausbildung von Lehrern sowie ein höherer gesellschaftlicher Stellenwert nicht nur der Bildungsinstitutionen, sondern auch der darin verbrachten Zeiten, die nicht bis ins Kleinste instrumentalisiert werden, dann … kommt vielleicht auch die Freude am Lernen und Lehren (zurück).

Ernüchterndes Ergebnis

Joachim Wedekind beklagt in seinem Blog (hier), dass es mit der Nachhaltigkeit von E-Learning-Förderungen im Hochschulbereich nicht weit her ist: Zu viele Anforderungen seien wie Hürden auf der Laufbahn im Stadion aufgestellt, sodass unklar bleibt, wie viel Energie noch da ist, wenn man die ersten drei oder vier Hürden (wie z.B. Bologna und Exzellenzinitiativen) genommen hat. Nun, man könnte natürlich einfach eine Hürde auslassen und daran vorbeilaufen oder man kann sie alle umrennen (womit man sich dann aber disqualifiziert hätte) oder – na ja – ein bisschen Doping vielleicht? Aber im Ernst: Joachims Hinweise sind wichtig und erinnern mich an einen eigenen Beitrag, den ich anlässlich eines doch eher mickrigen E-Learning-Artikels in der Zeitschrift Forschung & Lehre vor einiger Zeit (hier) gepostet hatte.

Schon öfter habe ich mir gedacht, dass wir an dem Phänomen, mit unseren „Lernen mit Medien“-Themen auf der Agenda immer wieder auf die hinteren Plätze rutschen, nicht ganz unschuldig sind. Wir sprechen von den digitalen Technologien, haben aber – natürlich! – die Schul-, Hochschul- oder Weiterbildung im Blick – je nachdem, in welchem Kontext wir uns befinden. Unsere Zuhörerschaft aber hört „Technologie“, nicht Bildung, und schon sind wir wieder im Erklärungsnotstand. Wir sehen digitale Technologie sowohl als Werkzeug als auch als Impulsgeber und „Ermöglicher“ pädagogisch-didaktisch alter wie neuer Ideen. Aber das zu erklären, ist nicht immer so einfach. Je mehr digitale Technologien selbstverständlicher Bestandteil des Informations- und Kommunikationsverhaltens eines Großteils der Bevölkerung werden, umso überflüssiger dürfte es werden, das Lernen und Lehren mit digitalen Medien zu vertreten, weil auch das „normal“ ist, denn Lernen ohne Information und Kommunikation funktioniert nicht. Da sind wir aber noch nicht. Vielmehr stehen sich hier diejenigen gegenüber, für das bereits so ist, und diejenigen, die bei denen genau das nicht der Fall ist. Damit sind Missverständnisse und gegenseitige Verständnislosigkeit zwischen diesen beiden Gruppen vorprogrammiert. Vielleicht ist das das eigentliche Problem für die nach wie vor geringe Breite und Nachhaltigkeit verschiedener E-Learning-Initiativen?

Übrigens: In den Kommentaren von Joachims Beitrag finden sich ein paar interessante Links, wie man z.B. an der Kaplan University versucht, mit kleinen (Marketing-)Filmen (hier und hier) die durch digitale Medien angestoßene „neue“ Lehr-Lernkultur zu verdeutlichen. Das ist ganz nett anzusehen – allerdings bleibt es natürlich an der Oberfläche, denn jeder der ernsthaft Lehre macht – mit Medien verschiedenster Art – weiß, dass der Teufel im Detail steckt.

Unsichere Elite

Die prekäre Lage von Nachwuchswissenschaftlern wird immer wieder mal beklagt – leider ohne, dass sich deswegen bisher etwas geändert hätte. Trotzdem sind Meldungen wie diese über die unerträgliche Unsicherheit, die den wissenschaftlichen Nachwuchs begleitet, wichtig, aber eben nicht genug. Ist das Phänomen neu? Na ja, so neu eher nicht, würde ich sagen: Nach meinem Diplom in Psychologie (1990) war ich stets nur auf halben Stellen beschäftigt – mitunter hatte ich Halb-Jahres-Verträge, zwischendurch mal ein Stipendium, dann kam mein Sohn auf die Welt und das Sicht-Entlanhangeln auf unsicheren Posten ging weiter (bis ich 34, also Gott sei Dank noch nicht 40  war). Mir war damals schon bewusst, dass dies nicht ein schlechtes Management meines Vorgesetzten, damals Prof. Mandl, war, sondern eine Folge der Tatsache, dass sich Universitäten immer mehr über letztlich unsichere Drittmittel finanzieren müssen. Heute kann ich noch mehr nachfühlen, dass es auch für Herrn Mandl sicher nicht leicht war, einigen seiner Mitarbeiter/innen diese Unsicherheit zuzumuten: Denn es ist weniger das Streben nach Reputation, das einen auf die Jadg nach Drittmitteln schickt, sondern eher das Bemühen, fähige Leute zu fördern – Beeren sammeln für den Nachwuchs sozusagen. Das Schlimme ist, dass man dabei manchmal Wege geht, die man eigentlich nie gehen wollte, also sich mit Themen beschäftigt, die man nicht so sonderlich wichtig findet, sie aber nicht ignorieren kann, wenn man Drittmittel braucht – nämlich für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Dass man den wissenschaftlichen Nachwuchs dabei ausnutzt – das ist eine Feststellung in der oben genannten Meldung, die man so pauschal sicher nicht machen kann. Das dürfte wohl doch stark von den jeweiligen Professoren abhängig sein. Sicher wird es einige geben, die z.B. den erhöhten Druck infolge von Bologna direkt an den wissenschaftlichen Mittelbau weiterleiten, aber diesem Reflex verfallen sicher nicht alle (ich hoffe, ich nicht).

Danke an Nina, die mich auf die Pressmitteilung aufmerksam gemacht hat. Alex hat das gleich ergänzt durch ein paar Links zu früheren Blog-Einträgen (nämlich hier, hier und hier), in denen das Thema bei uns bereits diskutiert wurde.

Wann kommt die Aufklärung 2.0?

Wird das Web 2.0 „entmündigte“ Mitarbeiter zu kreativen Intrapreneuren und den gelangweilten Schüler zum selbständigen Denker machen? Wenn es nach den Beiträgen zum Thema Web 2.0 in der taz seit Anfang des Jahres geht, dann ist das so. In loser Folge beleuchtet das Blatt das „Lernen 2.0 … mit Reportagen aus Laptop-Klassen, Porträts vom Lernen mit Blogs und Wikis, Interviews mit Vordenkern des neuen Lernens“. Das ist erst einmal gut und die bisherigen Artikel mit den Titeln „Die Entmündigten lernen, kreativ zu sein„, „Blogs – die Zukunft des Lernens“ und „Blogs geben Lernen wieder Sinn“ sind denn auch dazu geeignet, der vielleicht noch nicht in allen Punkten so Web 2.0-affinen Öffentlichkeit interessante Infos, Erfolgsbeispiele (die ja auch tatsächlich existieren) und spannende Visionen zu liefern. So weit so gut. Aber Leute! Wie kommt es, dass man alle Namen kennt? Natürlich sind da Thomas Rau, Lisa Rosa, René Scheppler und Martin Riemer – wer würde diese Namen nicht kennen, wenn er/sie sich für ein wie auch immer geartetes „Lernen 2.0″ interessiert. Was hat das zu bedeuten? Dass wir nur zu zehnt sind? Oder vielleicht zu 30? Und selbst wenn wir 100 oder sogar 300 sind – wie weit sind wir dann noch vom kreativen Intrapreneur im Unternehmen und vom selbständigen Denker in der Schule entfernt? Vielleicht kommt das von den Blogs: Da wir uns da vernetzen und uns – von kleineren Differenzen einmal abgesehen – so gut verstehen, bauen wir uns womöglich eine eigene Wirklichkeit und nehmen „die anderen“  gar nicht mehr richtig war? Ob unser holländischen Wohnzimmer gar Einwegscheiben haben? Gut, ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir so langsam mehr werden müssten, wenn die Hoffnung aufgehen soll, dass digitale Re- und Evolutionen so etwas wie Ermöglicher für ein sinnvolleres und aktiveres Lernen in Richtung von mehr Selbständigkeit, Partizipation und kritischem Denken gehen soll. Wann kommt die „Aufklärung 2.0″?

Standards für die Bildung: Geht das?

Stolze 577 Seiten umfasst die Expertise von Jürgen Oelkers und Kurt Reusser zum Thema Bildungsstandards, die bereits vor genau einem Jahr, nämlich im Januar 2008, vorgelegt wurde. In Auftrag gegeben hat die Expertise das bmbf. Ich bin darauf gestoßen, weil ich an sich etwas über Standards, Kompetenzen und Assessment zur Hochschule gesucht habe, und dann bin dann da hängen geblieben.  Ich habe NICHT alles gelesen, sondern nur einzelne Kapitel, die mich gerade interessierten und habe mir dabei so meine Gedanken gemact, was davon auch für die Hochschule von Interesse ist.  Ich denke aber, die Quelle sollte man sich merken, denn da wurde sehr gründlich recherchiert. Falls es jemanden interssiert, stelle ich mal mein Mini-Exzerpt zur Verfügung (bildungsstandards_2008), wobei ich beim nächsten Lesen mit anderen Fragen sicher andere Dinge notieren werde. Es gibt übrigens auch eine Kurfassung (hier).

Die Autoren sprechen sich alles in allem für Standards in der Bildung aus, und ich finde, sie begründen das auch sehr gut (leider aber so lang, dass es nicht viele lesen werden). Allerdings machen Sie auch klar, dass es keinen einfachen Weg gibt, Standards konsensfähig zu formulieren und sie dann auch erfolgreich zu implementieren. Ich war beruhigt zu lesen, dass eine stupide Testkultur nicht das ist, was die Autoren empfehlen, auch wenn sie die übliche Kritik an Bildungsstandards an manchen Stellen ziemlich heftig angreifen (und diese dabei aus meiner Sicht zu rasch in einen Topf werfen).