National und anwendungsorientiert

Nein, ich habe ihn noch nicht gelesen, den Herausgeberband von Jürgen Baumert mit dem einfallsreichen Titel „Einfallsreichtum. 60 Jahre Forschen und Lernen in der Bundesrepublik Deutschland. „An meinen gewohnten Stellen für Netzeinkäufe ist es noch nicht zu haben. Aber Kritiken gibt es schon, nämlich hier in der SZ: Alexander Kissler tut seine Meinung kund und es unschwer herauszulesen, dass er nicht allzu begeistert ist. Um den Charakter des Buches zu verdeutlichen, schreibt er z.B.: „Eine Finanzwissenschaftlerin versteht unter Bildung einen ´Treiber von Forschung und Innovation´, der die ´Wettbewerbsdefizite im internationalen Vergleich´ beseitigen solle. Eine Ökonomin sieht im ´Humankapital den wichtigsten Wachstumsbeitrag´, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz will ´unser Land wieder nach vorne bringen´ … National und anwendungsorientiert ist der vorherrschende Blickwinkel.“ Nun, wer die Bologna-Umsetzungsrhetorik im Bereich der Hochschule, Exzellenzinitiativen und Drittmittelakquise täglich miterlebt, wird darüber nicht allzu überrascht sein. Möglicherweise kann man sich das Buch also sparen, aber immerhin verspricht der Rezensent neben Texten im Beamtendeutsch auch ein paar kritische Beiträge. Ich werde mir also möglichst bald ein eigenes Urteil bilden.

Corporate Blogging

An sich bin ich kein Experte für Corporate Blogging. Ich habe auch so meine Zweifel, ob das praktikabel ist. Trotzdem habe ich mich bereit erklärt, darüber einen kurzen Beitrag für die Zeitschrift Organisationsentwicklung zu schreiben, die unter anderem eine Rubrik „Werkzeugkiste“ hat, in der in jedem Heft verschiedene Methoden zur Organisationsentwicklung vorgestellt werden. Immerhin sind solche Beiträge ein guter Anlass, um z.B. bestehende Erfahrungen und Erkenntnisse auf neue/andere Kontexte zu übertragen – so auch in diesem Fall beim Corporate Blogging. Es handelt sich um einen Praxisartikel, der allem voran Hilfestellung für den Unternehmensalltag geben soll.

Achtung (Nachtrag am 31.07.2009): Leider muss ich auf Wunsch des Verlags den Artikel als Preprint vom Netz nehmen. Ich finde zwar, dass ich hier kostenlos Marketing betreibe ;-), aber nun ja, ich respektiere diesen Wunsch. Ende Oktober kann ich ein Postprint im Layout der Zeitschrift zugänglich machen. Ich bitte also im Bedarfsfall um Geduld.

Nachtrag (20.10.2009): Es ist soweit. Ab heute kann ich den Beitrag im Original-Layout wieder online stellen. Hier ist er:

4_09 ZOE_Reinmann

In Rechtschreibung fast eine 1

Vor ein paar Tagen habe ich Post bekommen – vom Pons Verlag. Ich mache den Umschlag auf und zum Vorschein kommt ein A5-Schulheft in einem grünen Umschlag. Meine erste Assoziation: Mein Sohn hat irgendwo ein Schulheft rumliegen lassen. Aber halt: Beim Pons-Verlag? Die erste Seite ist leer, ich denke an einen Scherz und will es schon wie die immer wieder kommenden Briefe von Kabel Deutschland und irgendwelchen Möbelmärkten in den Müll werfen, da fällt mein Blick auf den Aufkleber, der am Umschlag haftet: „Gabi Reinmann E-Denkarium 07/2009“. Sowas: also nochmal einen Blick riskieren und weiterblättern. Zum Vorschein kommt ein Farbausdruck einer meiner Blogbeiträge (“Stille Helden des Alltags“) und eine nebenstehende handschriftliche Kommentierung. Das sieht dann so aus (bitte zum Vergrößern draufklicken):

Bild_Rechtschreibung

Auf der zweiten Seite bekomme ich sogar eine Rechtschreib-Note: eine 1-. Ein „Minus“ – Mensch Christian und das alles wegen eures dummen Kommafehlers (auf der Seite Bildungsexpeditition), den ich, wie es sich gehört, beim Zitieren NICHT verbessert habe.

Was für ein Marketingaufwand!! Wie viele solche mühevollen Kommentare mit dem klassischen Rotstift wurden verschickt? 50? 100? 300? 500? Billiges Marketing ist das bestimmt nicht. Wie nennt man das? Customized Marketing? Zur Sache ist zu sagen: Es ist schon richtig, dass es mit der Rechtschreibung gerade auch im Netz und (!) bei Studierenden nicht so weit her ist. Selbst muss ich allerdings auch ab und zu in den Duden schauen, z.B. ob es jetzt „im nachhinein“ oder „im Nachhinein“ heißt (man schreibt es übrigens groß). Wirklich nervig ist, dass ich selten eine Abschlussarbeit in der Hand halte, in der nicht auf jeder Seite mindestens fünf bis sechs Kommafehler sind. Ob eine Plattform „Deutsche Rechtschreibung Online“ da helfen kann? Na ja, vielleicht. An sich tut es auch der Blick in den Duden; viele aber sind offenbar zu faul, diesen Schritt zu tun. Ich werde mir die Plattform zumindest mal anschauen – nach so einem Marketing 😉

Doch keine Prosumenten?

Viele Studien (JIM-Studie, HIS-Studie zum Studierendenverhalten) kommen zu dem Schluss, dass selbst die netzaffinen Bevölkerungsgruppen (jung, hoher Bildungsgrad) keine überwältigenden „Produzenten“ in der Netzwelt sind, also z.B. Blogs schreiben, sich an Wikis beteiligen, Bookmarks öffentlich machen etc. Eine jetzt bei eleed veröffentlichte Studie mit Nachwuchswissenschaftlern (online hier abrufbar) kommt zu dem Schluss, dass es mit der aktiv-konstruktiven Nutzung des Web 2.0 auch im Wissenschaftsbetrieb nicht so weit her ist: „In unserer Studie konnten wir zeigen, dass auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Web 2.0 zurzeit noch hauptsächlich als Recherche-Tool und damit eher passiv nutzen“, heißt es im Fazit nach Darstellung der Befragungsergebnisse von immerhin 2361 Doktoranden. Auffällige Unterschied zwischen Fach und Geschlecht gibt es bei den Ergebnissen nicht, die durchaus Parallelen zu anderen Online-Studien mit anderen Bevölkerungsgruppen aufweisen, wenngleich auf einem höheren Nutzungsniveau. Interessant, aber nicht erstaunlich: Nur 3 % der Befragten geben an, in einem eigenen Blog über wissenschaftliche Themen zu schreiben.

Eine Generalisierbarkeit der Resultate auf „die“ Wissenschaft erscheint mir allerdings nicht gerechtfertigt: Immerhin konzentriert sich die Studie auf den wissenschaftlichen Nachwuchs. Professoren wurden nicht befragt; na ja, viele hätten wohl gar nicht geantwortet. Selbstreflexion auf dieser Ebene ist – das fürchte ich – nicht so gefragt: Vor zehn Jahren gab es an der LMU München mal den Versuch, eine interdisziplinäre Forschergruppe zum Wissensmanagement aufzubauen, was aber leider nicht geklappt hat: Immerhin aber waren wir schon so weit, dass jeder Fachbereich eine Projektidee entwickelt hatte. Für unseren Fachbereich hatte ich mich für die Idee stark gemacht, das Wissensmanagement in dieser Forschergruppe zu untersuchen. Das war allerdings nicht durchzusetzen: Zu groß war wohl die Sorge, wie diese Ergebnisse am Ende aussehen würden.

Trend-Tücken

Aktuell wird im Netz wieder vermehrt auf den seit 2006 vom MBB (Institut für Medien- und Kompetenzforschung) veröffentlichten „Trendmonitor“ zum E-Learning hingewiesen (online verfügbar hier). Dabei handelt es sich um eine Expertenbefragung, die leider etwas irreführend als „Learning Delphi“ bezeichnet wird, obschon die gleichnamige Delphi-Methode genau nicht in einer einfachen Befragung besteht (nähere Infos zur Delphi-Methode z.B. hier). Ziel der Studie bzw. der Studienreihe ist es, Prognosen über den „E-Learning-Markt“ etwa in Bezug auf favorisierte Methoden und technische Werkzeuge, aber auch in Bezug auf E-Learning als Arbeitsmarkt zu erstellen, also Trends ausfindig zu machen. Ich bin der Meinung, dass die Suche nach solchen Trends einige Tücken hat und das gilt auf jeden Fall auch für diese Studie.

Aber von vorne: Wer sind die befragten 54 Experten? Zur Hälfte (also 26 Personen) handelt es sich um Dienstleister/Produzenten; die nächst größte Gruppe (13 Personen) kommen aus „Wissenschaft/Forschung/Beratung“, wobei ich mich frage, ob man Berater und Wissenschaftler wirklich in einen Topf werfen sollte. Auch 2% Anwender sind dabei: Das macht also EINEN Anwender (sollte man da nicht besser auf Prozentangaben verzichten?). Die anderen Gruppen sind mit zwei bis vier Personen besetzt; acht Personen konnten gar nicht zugeordnet werden. Hm – sind das wirklich die Experten, die uns die E-Learning-Zukunft voraussagen können?

Neben der Zielgruppe stimmen mich auch einige Fragen skeptisch: Wenn nach dem Nutzen sowie nach dem kommerziellen Erfolg von „E-Learning“ gefragt wird, finden wir in den Items eine recht wilde Mischung von (a) Sammelbezeichnungen wie „Blended Learning“ und Open Educational Resources“, (b) Methoden und Aktivitäten (z.B. Simulationen und „Content Sharing“, (c) technische Werkzeuge (wie Weblogs, Wikis, Twitter) und noch einiges mehr. Ist es wirklich sinnvoll, all dies bei einer Frage gemeinsam einschätzen zu lassen? Wenn doch die meisten der Meinung sind, dass Blended Learning-Angebote einen hohen Nutzen haben, müssten dann nicht potenziell alle Methoden und Werkzeuge ähnlich eingeschätzt werden? Es ist doch zu vermuten, dass eher der Bekanntheitsgrad und/oder der aktuelle Verbreitungsgrad von Werkzeugen bei solchen Fragen eingeschätzt werden und sonst nichts. Dafür spricht, dass der Blick in die vergangenen Befragungen genau das zeigt: Dass die „Experten“ immer diejenigen Anwendungen als „nützlich“ einstuften, die gerade viel diskutiert und en vogue waren. Von den Kommunikationswissenschaftlern ahbe ich gelernt, dass es da das Agenda Setting gibt: Die Expertenmeinungen könnten mit diesem Ansatz aus meiner Sicht ganz gut gedeutet werden.

Sätze wie „Insgesamt belegen die Prognosen den Trend, dass Unternehmen auch zukünftig nicht gänzlich auf traditionelle Lernformen verzichten werden“ (S. 3) haben das Glück, dass sie wohl immer stimmen werden. Hilft uns das weiter? Sinnvoller ist da schon der ebenfalls gemachte Versuch, verschiedene „Szenarien“ einschätzen zu lassen, wie es in diesem Trendmonitor auch versucht wird. Allerdings sollten diese meiner Ansicht nach auch konkreter sein als z.B. „Deutschland wird seine Position als Bildungsexporteur ausbauen“ – ein Satz, bei dem es jedem Erziehungswissenschaftler ohnehin die Haare aufstellen wird.

An manchen Stellen hat man ja geradezu die Hoffnung, dass es mit den Seherfähigkeiten der befragten Experten nicht so weit her ist, z.B. wenn es heißt: „Deutlich weniger Experten glauben an eine steigende Wichtigkeit der Zielgruppen ´Mitarbeiter mit Migrationshintergrund´ (43%) und ´ungelernte Hilfskräfte´ (24%). Für letztere prognostizieren 19 Prozent der Befragten sogar ein sinkendes Interesse“ (S. 7). Prognostiziert man das jetzt oder wünscht man es sich eher oder nimmt man es als unweigerlich an, wenn die Wirtschaft kränkelt? Wer wird mit diesen Prognosen denn jetzt genau was machen? Sich als Depp fühlen, wenn man sich doch für diese „wenig interessanten“ Zielgruppen stark macht? Ich weiß nicht: Ist das sinnvoll – solche Prognosen anzustellen?

Es kommt auf einen Versuch an

„Ich setz mal eine Community auf“ – so lautete Christian Spannagels Abschlusskommentar in einer kleinen Diskussion anlässlich meines Blogbeitrags „Schon schade“, in dem ich ein bisschen herum maulte, dass gegenseitige Reviews unter Wissenshaftlern nicht optimal funktionieren, vor allem dann nicht, wenn sie nicht in ein offizielles Zeitschriften-Review eingebunden sind. Und das ist das Schöne an den neuen Web 2.0-Anwendungen, dass vom Reden zum Tun keine so große Hürde mehr liegt (wenn tatkräftige Nutzer hinzukommen): Seit kurzem gibt es dank Christians rascher Umsetzungsbereitschaft die besagte Community, die wir nun versuchen, auch mit Leben zu füllen: „(Bildungs-)Wissenschaftler 2.0“.

Ziel ist es, gerade nicht nur den Nachwuchs, sondern auch etablierte Wissenschaftler aus unserem Bereich zu ermuntern, einen etwas offeneren Austausch zu erproben. Wir haben dazu an sich nur ein paar Grundsätze formuliert und eben die „Vision“, auf diesem Wege einen alternativen Review-Prozess anzustoßen. Ich weiß, dass es ein Wunsch bleiben KÖNNTE, denn bestehende Systeme, die ja auch eine gewisse Anreizstruktur haben (Anerkennung in Bewerbungsprozess und in der Fach-Community), sind schwer zu ändern. Natürlich muss man unsere Ansichten zu diesem Thema nicht teilen; es geht nicht darum, dass wir es besser wüssten und andere bekehren wollten. Es geht auch NICHT darum, andere Formen des Reviews abzuschaffen – aber warum nicht mal mit verschiedenen Dingen ernsthaft experimentieren? Ich jedenfalls finde es bereichernd, was Neues auszuprobieren, auch wenn ich nicht weiß, ob es gelingt. Ich denke, man muss es testen, wofür genau, in welchem Umfang, mit wem etc. eine solche Form des Review-Prozesses fruchtbar ist. Nur machen muss man es, um sich ein echtes Urteil bilden zu können. Also: Wer macht mit? Der Profesorentitel sollte kein Hindernis sein – im Gegenteil 🙂 (zum Thema siehe auch Christians Blog-Beitrag hier)

Sie können auch anders!

Wer kann auch anders? Die GEW – also die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“. Bereits im Juni ging das neue wissenschaftspolitische Programm (hier) online; es stellt in einer Art 12-Punkte-Plan die Position der GEW zu Wissenschaft, Hochschule, Forschung und Lehre dar.

Es klingt meiner Ansicht nach etwas trotzig: „Wir können auch anders!“ Soll das eine Drohung sein? Nein, das ist eher nicht gemeint, vielmehr will die GEW mit dem „Schlachtruf“ zum Ausdruck bringen, dass sie keineswegs an alten Zöpfen hängt und zur Vergangenheit zurück will (wie man ihr vielleicht vorwerfen könnte), sondern dass sie auch für Reformen ist – aber halt anders. Ich weiß nicht so recht, ob das ein gelungener Einstieg ist.

Viele Aspekte in den zwölf Punkten sind begrüßenswert, aber mit allem kann ich mich nicht identifizieren. Etliche Absätze wirken zudem schon recht schlagwortbesetzt. Ein paar Gedanken dazu:

So stimme ich z.B. zu, wenn es heißt, dass man Studienplätze ausbauen muss (Punkt 1). Was aber heißt genau „bedarfs- und nachfragerecht“? Das wird nicht genauer gesagt. Eine Anrechnung von bereits erbrachten Qualifikationen ist auch okay – aber bis zu welchem Grad? Wenn man schon zig Punkte mitbringt bzw. angerechnet bekommt, welchen Sinn hat denn dann ein Studium noch? Meine klare Zustimmung hat dagegen das Plädoyer gegen eine „hierarchische Differenzierung in Elite- und Massenhochschulen“ (Punkt 2). Wenn das weiter und tiefer geht, halte ich das für eine gravierende Fehlentwicklung, von der wenige profitieren und viele das Nachsehen haben. Die „bedingungslose Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums“ kann ich so nicht unterstützen (Punkt 3). Man sollte endlich bessere Stipendien-Möglichkeiten schaffen. Eine maßvolle Gebühr von vielleicht 300,- Euro finde ich vertretbar und kann auch sinnvoll sein. Jeden Kindergartenplatz muss man bezahlen – Bildung gilt vielen als so wenig wert … das kann ja auch nicht sein. Eine wichtige Frage ist die Rolle des Staates in der Hochschule (Punkt 4): Sowohl eine Detailsteuerung als auch der Rückzug des Staates sind problematisch – das sehe ich auch so. Wie eine Demokratisierung der Selbstverwaltung aussehen soll, die ebenfalls gefordert wird, bleibt unscharf (Punkt 5): Das mit der Selbstverwaltung ist wirklich schwer. Manchmal wünschte ich mir da schon mehr Professionalität und weniger Gerede, wo jeder sein Statement abgibt, ohne dass etwas dabei herauskommt. Dagegen ist ein strikter Managementkurs auch nicht das, was man an der Hochschule haben will – eine echte Herausforderung also, wie man diese Quadratur des Kreises in Sachen Selbstverwaltung hinbekommt. Die GEW scheint es auch nicht zu wissen. Ganz klar spreche ich mich dagegen persönlich gegen Quoten aus (Punkt 7): Ich glaube nicht, dass das hilft, bestehende Ungleichheiten zu beseitigen. Besser sind da schon die Hinweise zur „familiengerechten Gestaltung der Wissenschaft“ (Punkt 6). Gut ist, dass die GEW auch das Thema „Funktionsstellen mit unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen“ angeht (Punkt 8): Es ist ein Unding, dass es von diesen Stellen so wenige gibt, obschon genau die Aufgaben wachsen, wofür man solche Funktionsstellen dringend bräuchte. In eine ähnliche Richtung geht die aus meiner Sicht berechtigte Forderung, die Ausbeutung von Lehrbeauftragten zu beenden. Was an einer Habilitation in Fächern, wo man das gut begründen kann, schlecht sein soll, verstehe ich dagegen nicht. Enttäuscht war ich von Punkt 9: Was da über Qualität steht, stimmt ja auf diesem abstrakten Niveau alles. Aber dass die GEW hier nicht eindeutiger zur Akkreditierung Stellung nimmt, finde ich bedauerlich! Die Aussagen zu Mobilität und Berufsfähigkeit stimmen in etwa mit den Bologna-Papieren überein – was ist da der Mehrwert? Und was bitte sind „autonome Seminare“? (Punkt 10). Gegen die Kritik am föderalen Flickenteppich speziell bei der Lehrerbildung kann man nichts sagen (Punkt 11) und wer sollte schon ernsthaft etwas gegen die „Einheit von Forschung und Lehre“ (Punkt 12) haben, wenn man nur wüsste, wie man das unter den heutigen Bedingungen bewerkstelligen soll. Ebenfalls schade, dass die GEW gerade im letzten Punkt kein Wort über die „Open-Bewegungen“ verliert – nach den Schmähartikeln der letzten Monate stimmt ja z.B. die SZ inzwischen versöhnliche Töne an (aktuell hier). Jedenfalls zeigt sich die GEW da nicht ganz auf der Höhe der Zeit.

Trotz alledem: Ein durchaus lesenswertes Programm. Es sollte sich jeder selbst eine Meinung bilden.

Ich bin eher der praktische Typ!

Joachim Wedekind reflektiert in einem interessanten Blog-Beitrag (hier) die Chancen einer Open-Bewegung für die Forschung und verknüpft damit die Hoffnung, dass sich in der Folge auch die Lehre ändert, der er aktuell nur einen mäßigen methodischen Standard attestiert. Neue Formen der Wissensgenerierung und Wissensdistribution (nämlich öffentlich zugänglich) sollten dann auch die Lehre positiv beeinflussen – Werkzeuge aus dem Umkreis des Web 2.0 (die wohl gemerkt noch keine Methoden sind) gibt es ja genug.

Ich teile Joachims Optimismus in dieser Hinsicht eher nicht. Vielmehr glaube oder befürchte ich, dass die Schere zwischen Forschung und Lehre noch weiter auseinandergehen wird. Nicht nur die sich etablierte Art der Umsetzung von Bologna-Rechtlinien in Deutschland und deren Verstärkung durch Akkreditierungsagenturen, sondern auch die Erwartungen der Studierenden und das Versprechen einer „Berufsausbildung“ im Studium führen von der Forschung eher weg als hin: „Das ist mir zu theoretisch!“, „Den wissenschaftlichen Background brauche ich nicht!“, „Ich bin eher der praktische Typ!“ etc. sind studentische Aussagen, die man immer häufiger hört und nicht zur Desinteresse, sondern gar Ablehnung von allzu offensichtlich „wissenschaftlichen Inhalten“ zum Ausdruck bringen. Medien und Politik waren in dieser Hinsicht erfolgreich: Das Label „praktisch – kurzzeitig – verwertbar“ haftet dem Bachelor längst an. Es gelingt durchaus, eine ganze Reihe von Studierenden im Verlauf des Studiums auch eine andere Sicht zu vermitteln, aber der Einstieg dazu ist eindeutig erschwert. Vielleicht ist das Konzept des forschenden Lernens und dessen Wiederbelebung und Aktualisierung ein kleiner Rettungsanker, den wir ins Bologna-Meer auswerfen könnten (ein Vortrag dazu hier), um Forschung und Lehre wieder zu verknüpfen. Dann könnte der Lehrbetrieb an interessanten Entwicklungen im Bereich der Forschung womöglich partizipieren.

Es fragt sich allerdings, wie sich die Forschung wirklich entwickeln wird, ob sich die Verfechter der Open-Strömungen werden durchsetzen können. Ändern müsste sich meiner Ansicht nach auch die Praxis der Forschungsförderung, die aktuell vor allem den Mainstream unterstützt. Angesichts der Tatsache, dass Wissenschaftler zunehmend das machen, was Geld bringt (unter anderem um auf eine angemessene Besoldung zu kommen, weil das in der Regel in den Zielvereinbarungen steht), und die Grundausstattung gerade mal dazu reicht, den bürokratischen Wahnsinn zu bewältigen, sehe ich auch in der Forschung erheblichen Reformbedarf.

Stille Helden des Alltags

Liegt in Deutschland die Bildung am Boden? Lernen Schüler vor allem, wie man andere in Online-Games umbringt? Empfinden Professoren die Lehre nur als lästige Pflicht, die sie vom Forschen abhält? Solche und andere Annahmen, die in diesen Fragen stecken, können Christian Spannagel und Lutz Berger nicht glauben. Sie machen von Ende August bis zum 9. September im Rahmen der „Forschungsexpedition“ ihre eigene Bildungsexpedition „durch PISA-Täler“ und über „Bologna-Berge“, um die „stillen Helden des Alltags“ zu suchen, die noch an die Bildung glauben. Ich bin beruhigt und geradezu beeindruckt, dass im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs auch originelle Ideen gefördert werden und nicht nur neue Formen des Hochglanz-Marketings. Die Initiatoren und ihr Team – so wird versprochen – werden „bloggen, twittern, filmen und podcasten was die Netze hergeben“. Wie es sich gehört, ist das Vorhaben insofern partizipativ angelegt, als dass sich jeder hier melden kann, wenn er Ideen hat, welche Stellen das Team ansteuern soll, wen sie interviewen und wen sie filmen sollen.

Tolle Idee! Mich würde interessieren: @Christian und Lutz: Habt ihr auch eine „Mission“? In gewisser Weise seid ihr da ja eineinhalb Wochen „Wanderprediger“ – was werdet ihr predigen? Optimismus, wie ihn das bmbf verkündet? Im Prinzip wichtig, aber ehrlich sollte es sein! Leuchttürme, wie sie Reinhard Kahl präsentiert? Auch nicht schlecht, aber lasst bitte die salbungsvolle Stimme weg. Oder doch was ganz anderes?

Im Ernst: Ich wünsche euch viel Erfolg und natürlich auch viel Spaß: Hoffentlich trefft ihr Leute, die was zu sagen haben und ihre Erfahrungen teilen wollen! Gute Reise!

Nicht zu Ende gedacht

Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat am Dienstag mit Vertretern des Aktionsbündnisses Bildungsstreik, Studentenvertretern und Vertretern des deutschen Hochschulsystems beraten. Viel schient nicht dabei herausgekommen zu sein. In der Pressemeldung des bmbf heißt es: „Ich möchte fünf konkrete Punkte benennen, die zentral sind und die wir mit dem heutigen Tag auf den Weg bringen werden“. Was sind das für fünf Punkte? Ich zähle mal auf (Zitate aus der Pressemeldung) und mache mir dazu meine eigenen Gedanken:

(1) „Strukturreform muss verbunden werden mit der Erneuerung der Curricula.“ Wie wäre es, wenn man die Fachvertreter selbst entscheiden ließe und endlich den Akkreditierungsunsinn stoppen würde, der zu seltsamen Curricula geführt hat? Dazu allerdings wird nirgendwo gesagt. Akkreditiert wird offenbar weiter, obwohl man sich ja einig ist, dass nicht die „Idee Bologna“, sondern die durch Akkreditierungsagenturen wesentlich mitbestimmten Umsetzungen das Problem sind.

(2) „Für die Länge des Bachelor-Studiums brauchen wir mehr Flexibilität. Es kann auch erforderlich sein, statt sechs auch sieben oder acht Semester im Bachelor-Studiengang zu studieren.“ Ja, das ist ja sinnvoll, scheint man doch allmählich einzusehen, dass man nicht alle Fächer in einen Topf werfen kann. Wer sagt es den Agenturen? Das vergisst man hoffentlich nicht.

(3) „Der Übergang vom Bachelor zum Master muss problemlos möglich sein. Studierende sollten selbst entscheiden können, ob sie einen Master machen wollen oder nicht. Ich bin gegen eine Quote.“ Ja, gute Idee, nur dann muss bitte auch eins passieren: Nämlich die Master-Studierenden bei der Berechnung von Kapazitäten mit einrechnen! Sonst landen wir nämlich wieder bei Seminaren mit einer Teilnehmerzahl von 60! Es ist ja ein Unding, den Master für die Unis und Fachvertreter als Luxus zu deklarieren und ausschließlich die Bachelor-Studierenden für Kapazitätsberechnungen heranzuziehen. Ich bin auch dafür, dass das jeder Studierender selbst entscheiden soll, ob er einen Master macht, aber es kann ja wohl nicht sein, dass Lehrende diese quasi nebenbei versorgen sollen. Genau das aber ist vielerorts der Fall, um zeigen zu können: Ja, wir schaffen es, Studienplätze zu schaffen! Dass die aber rechnerisch nach dem Bachelor aufhören, sagt man nämlich nicht dazu. Das ist ja wohl (wie so oft) nicht zu Ende gedacht!

(4) „Beratung und Betreuung der Studierenden müssen noch wesentlich besser werden.“ Ja, dafür bin ich auch – ich berate gerne Studierende (das mache ich lieber als Formulare ausfüllen und sinnlose Berichte schreiben), aber nicht hunderte gleichzeitig, weil das nämlich schlicht nicht geht. Und wenn wir nicht permanent so viele bürokratische Hürden hätten, bräuchten wir auch nicht so viel Beratung: Denn die Beratungen, die wir leisten, sind nur zu einem kleinen Teil inhaltlicher, aber zu einem großen Teil verwaltungstechnischer Art (ein Beispiel liefert Michael Kerres hier zum Thema Studiengebühren).

(5) „Wir werden eine Studie in Auftrag geben, die untersucht, wo die Bachelor-Studenten nach ihrem Abschluss unterkommen – in Unternehmen, in der Wissenschaft oder in einem anderen Bereich. Das erlaubt dann konkrete Aussagen darüber, wie gut Bachelor-Absolventen für den Beruf qualifiziert sind.“ Was genau ist das Ziel einer solchen Studie? Zu überprüfen, ob Unis schon Fachhochschulniveau haben? Es ist aus meiner Sicht höchste Zeit, sich ernsthaft über die Bedeutung des Begriffs „Berufsausbildung“ im Zusammenhang mit einem Universitätsstudium Gedanken zu machen. Das nämlich wird auch die Items einer Befragung in Rahmen einer solchen Studie stark beeinflussen – womit wir im Übrigen auch wieder beim Zweck der Universität wären: Vielleicht sollten wir erst mal eine Studie machen, was anspruchsvolle Berufe heute in der Wirtschaft und anderswo eigentlich an Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten fordern (Stichwort: Wissensarbeit)? Vielleicht käme dann heraus, dass wir ohnehin auf dem Holzweg sind, wenn wir meinen, ein Universitätsstudium würde direkt für einen konkrete Beruf ausbilden und für die dort verlangten Tätigkeiten unmittelbar „qualifizieren“?