Außenseiter und Dissidenten

Ein paar Zitate, von Holm Tetens, die aus meiner Sicht für sich selber sprechen und auf jeden Fall ein guter Anlass für anregende Diskussionen sein könnten:

  • „Die Güte von Wissenschaft und die Qualitäten eines Forschers und Hochschullehrers lassen sich nicht nach quantitativen, der Betriebswirtschaftslehre entnommenen Kriterien bemessen. Die Güte von Wissenschaft und die Qualitäten eines Hochschullehrers sind danach zu beurteilen, ob die Ideale der Wissenschaft gut realisiert sind. Die Qualität wissenschaftlicher Forschung lässt sich in letzter Konsequenz nicht quantitativ messen. Ob ein wissenschaftliches Forschungsergebnis inhaltlich interessant ist und ob es gut begründet ist, das stellt sich fast nie sofort, sondern oftmals erst nach längerer Zeit heraus, wenn immer mehr Forscher ihm zustimmen, es Eingang findet in kanonisches Lehrbuchwissen oder es zumindest für wert befunden wird, auf es einzugehen, über seinen Inhalt in Geschichtsdarstellungen einer entsprechenden Disziplin zu berichten und so weiter und so fort“ (Tetens, 2008, S. 31).
  • „Immer wieder haben Außenseiter und Dissidenten am Ende wissenschaftlich Recht behalten und hat sich ein von Gutachtern, wissenschaftlichen Zeitschriften usw. für exzellent befundenes wissenschaftliches Resultat als falsch und wertlos erwiesen, einmal abgesehen von der Tatsache, wie kontrovers in Wahrheit Exzellenzurteile in der Gemeinschaft der Wissenschaftler oftmals sind“ (Tetens, 2008, S. 32).
  • „Wissenschaftliche Forschung ist eine schöpferische Tätigkeit. Das Innovative in der Wissenschaft ist auf produktive Einfälle und Einsichten angewiesen. Es ist eine kognitionspsychologische Binsenwahrheit, dass sich schöpferische Leistungen nicht planen und nicht durch technisches Handeln herbeizwingen lassen. Man kann nicht mehr tun, als für Menschen eine anregende Umgebung zu schaffen und ihnen sehr viel Zeit zuzugestehen, Dinge auszuprobieren und Irr- und Umwege einzuschlagen. … Die gegenwärtige neoliberalistische Neuerfindung der Universität läuft auf das Gegenteil hinaus: Sie will aus den Forschern Akteure machen, die in möglichst kurzer Zeit viele wissenschaftliche Resultate erbringen sollen und das angeblich auch können, sobald man die Forscher nur ständig kontrolliert und die Forschungsaktivitäten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien bewertet.” (Tetens, 2008, S. 32)

Quelle: Tetens, H. (2008). Die Idee der Universität und ihre Zukunft. Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, 1, 24-33.  Auch online hier zugänglich.

Große Freude am Institut

Große Freude herrscht aktuell an unserem Institut für Medien und Bildungstechnologie: Das vom Medienlabor eingereichte Konzept des noch jungen Instituts einschließlich der dort angesiedelten (ausgewählten) Projekte befindet sich unter den Finalisten des diesjährigen Medidaprix (hier die Projektbeschreibung).  Ich muss gestehen, dass ich nicht damit gerechnet hatte. Die Gutachtervoten waren toll – ein Glück, denn wäre es nicht so eindeutig gewesen, hätte ich meinen Platz im Beirat auf jeden Fall räumen müssen. Selbstverständlich habe ich mich jeglicher Statements zu dieser Einreichung enthalten – aber es gab ohenhin kaum Anlass dazu. Ich freue mich sehr für unsere Mitarbeiter/innen, die in den letzten beiden Jahren ein so großes Engagement entwickelt und all die vielen Aktionen zur stärkeren Beteiligung der Studierenden und zur Entwicklung neuer Ideen für eine bessere Verbindung von Forschung, Lehre und Praxis auf die Beine gestellt haben.

Studientext Wissensmanagement

Nach etlichen Jahren habe ich im Winter 2008/09 endlich einen Studientext zum Wissensmanagement, den ich in der Lehre verwende, von Grund auf umgearbeitet und erneuert. Nun ist der Grundkurs, in dem er zum Einsatz kam, abgeschlossen und die Studierenden sind gut damit klar gekommen. Erster Test bestanden :-). Ich habe mich entschlossen, den Text frei zugänglich zu machen. Ich hoffe, er ist auch für andere am Thema Interessierte ein hilfreicher Einstieg in das Thema Wissensmanagement.

Studientext Wissensmanagement Reinmann 2009

Unangenehmer Schritt

Es mehren sich nun allmählich die Artikel zum Assessment, die in der Zeitschrift für Hochschulentwicklung in einem Themenheft herausgegeben werden. Alle bisherigen Beiträge sind empfehlenswert und ich bin mir sicher, dass uns das Thema noch lange beschäftigen wird. Weil ich mit dem Prozedere bei der Heftherausgabe allerdings nicht besonders glücklich war, bin ich auf eigenen Wunsch und, nachdem ich alle Beteiligten informiert hatt, als Herausgeberin zurückgetreten. Da ich in diesem Blog sowohl auf den Call (hier) als auch über den Fortgang (hier) berichtet habe, halte ich es für sinnvoll, auch diese Entscheidung hier kurz zu posten. Mit den eingereichten Beiträgen oder gar dem Thema an sich hat das natürlich nichts zu tun. Das halte ich nach wie vor für extrem wichtig – für Fragen des E-Learning ebenso wie für didaktische Fragen generell. Das war ein für mich unangenehmer, aber leider notwendiger Schritt. Man muss ja dahinter stehen können, wie etwas abläuft.

Situiertes Lernen: noch (immer) ein Thema?

Im September werde ich auf dem Fernausbildungskongress der Bundeswehr einen Vortrag mit dem Titel halten“ Wie praktisch ist die Universität? Chancen und Grenzen des situierten Lernens mit digitalen Medien“ (hier das Abstract: Abstract_Hamburg_Sept09). Ich werde dabei versuchen, eine Verbindung zwischen dem Ansatz des situierten Lernens und dem Ansatz des forschenden Lernens herzustellen. Bei der Recherche bin ich auf einen Artikel gestoßen, der – obschon unter der Überschrift des selbstorganisierten Lernens – einen guten und kompakten Überblick u. a. über das situierte Lernen gibt. Das will ich anderen Interessierten nicht vorenthalten: Der Beitrag ist aus der Onlinezeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik und ist hier online abrufbar. Empfehlenswert!

Schon schade

Seit einiger Zeit stelle ich Vortragsmanuskripte, Preprints, aber auch erste Arbeitspapiere als Vorstufe etwa von Vorträgen oder Artikeln online – oft in der Hoffnung, dass vielleicht zu dem einen oder anderen Thema ein Austausch auf Augenhöhe (also auch unter Wissenschaftlern und Hochschullehrern) stattfindet: etwa beim Thema empirische Bildungsforschung (Vorüberlegungen hier, letztendlicher Text hier) oder – wie vor kurzem – bei Fragen der Didaktik (Vorüberlegungen zu einer pfadabhängigen Didaktik hier – daraus soll natürlich noch mehr entstehen). Das klappt aber (noch) nicht, obwohl es – theoretisch zumindest – eine gute Möglichkeit wäre, außerhalb des klassischen Peer-Reviews gegenseitige Kritik und Stellungnahmen auszutauschen.

Manchmal versuche ich das auch direkt – indem ich einen anderen Wissenschaftler bitte, einen Beitrag kritisch zu lesen und Rückmeldung zu geben. Das funktioniert ab und zu, aber auch nicht immer. Irgendwie ist da die Scheu offenbar groß, denn ich glaube nicht, dass es wirklich immer Zeitargründe sind, die das verhindern – jedenfalls nicht, wenn es sich um Texte handelt, deren Umfang z.B. unter 20 oder 15 Seiten liegt. Es widerspricht wahrscheinlich eher der Karrierelogik, nach der man vor allem das tut, was einen selbst voranbringt – und ein gutes und durchdachtes Feedback bringt auf den ersten Blick ja nur den anderen voran. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass man als Feedbackgeber auch selbst eine Menge dazulernt und durchaus einen persönlichen Nutzen hat. Also: Ich weiß letztlich nicht, woran es liegt. Vielleicht ist es auch Gewohnheit, es gibt keine Kultur dafür. Ich habe stets versucht, das zumindest unter den Mitarbeitern anders handzuhaben, und ich habe den Eindruck, dass da ein reger Textaustausch mit Feedback stattfindet. Aber wenn man mal den Professorenstatus hat, scheint das anders zu werden.

Schon schade! Mit Blick auf die Qualität der Wissensgenerierung hätte ein solcher Austausch bei der Genese von Texten nämlich viele Vorteile. Und wenn man mal einen besonders engagierten Feedbackgeber hat, der dann plötzlich eigene Ideen beisteuert, könnten sich daraus ja Co-Autorenschaften entwickeln. Aber genau hier liegt vielleicht der Knackpunkt bzw. der potenzieller Streitpunkt: Ab wann ist das der Fall? Das ist übrigens ein ganz klassisches Problem beim Wissensmanagement: Das Geben fällt schwer, weil der Nutzen nicht genau kalkulierbar ist, und ein Risiko verbleibt, mehr zu geben als zu bekommen.

Leidenschaftliche Bildung

Ich bin ja ein großer Fan bin Peter Bieris Buch „Das Handwerk der Freiheit“ – nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art, wie es geschrieben ist. Nun habe ich durch Zufall einen Text (der Text einer Rede von 2005) entdeckt, den ich denjenigen, die sich immer mal wieder Gedanken um den Bildungsbegriff machen, nicht vorenthalten will. Titel: „Wie wäre es, gebildet zu sein?“. Darin klopft er ganz verschiedene Facetten des Bildungsbegriffs ab und versucht auf diesem Wege eine Konkretisierung, die ich recht gelungen finde, auch wenn man vieles natürlich schon an vielen anderen Stellen gelesen hat. Trotzdem: der kurze Text ist eine verständliche und alltagsrelevante Hinführung zu einem Begriff, der uns immer wieder Probleme bereitet und doch so wichtig ist. Muss man selbst lesen – an der Stelle möchte ich nur einen der abschließenden Sätze zitieren: „Der Gebildete ist an seinen heftigen Reaktionen auf alles zu erkennen, was Bildung verhindert“ – leidenschaftliche Bildung eben, wie er das in seinem letzten Absatz nennt.

Wikibu – ein Anfang

Über Beat bin ich auf ein Werkzeug aufmerksam geworden, das Wikipedia-Nutzern insbesondere in Bildungskontexten (speziell Schule) dabei helfen soll, die Qualität von Wikipedia-Artikeln einzuschätzen: Wikibu. Es werden gewissermaßen Kriterien vorgegeben, an denen man sich bei einer Qualitätseinschätzung entlang hangeln kann (kann man hier genauer nachlesen). Dabei bleibt die Aufmachung gut an typischen Bewertungsmustern, wie man sie auch bei anderen Web 2.0-Anwendungen kennt, was womöglich die Akzeptanz erhöht. Die Entwickler kommen vom Zentrum für Bildungsinformatik der Pädagogischen Hochschule Bern; die Idee stammt von Werner Hartmann.

Ich stimme Beat zu, dass das ein konstruktiver Vorstoß nicht nur für die Schule ist (das könnte man der Uni ebenso einsetzen, finde ich), um den Umgang mit Wikipedia zu verbessern – statt fantasielose Verbote auszusprechen. Ebenso richtig ist aus meiner Sicht Beats Kritik, dass man sich dabei noch auf quantifizierbare Kriterien allein verlässt. Das ist nicht ganz ungefährlich, zumal da es den Glaube an die „Intelligenz der Massen“ bestärkt, an der ich meine erheblichen Zweifel habe. Auch wissen wir gerade im Wissenschaftsbereich, wie hartnäckig sich falsche oder nie belegte Aussagen halten (z.B. die Aufsummierung des Lernerfolgs mit Zunahme der beanspruchten Sinne). Trotzdem ist das Werkzeug ein guter und vor allem praktisch sofort umsetzbarer Anfang. Man könnte ja versuchen, die Kriterien zu ergänzen oder einige zu ersetzen, die mehr qualitative Urteile einfordern – auch wenn die dann natürlich stärker der subjektiven Verzerrung ausgeliefert sind. Hier wäre es dann natürlich nützlich, wenn eine gewisse kritische Masse ihr Urteil abgibt. Solche Kriterien zu finden, dürfte allerdings nicht gerade leicht sein. Da müssten sich mal mehrere zusammensetzen und darüber nachdenken – und die Vorschläge dann im Netz bewerten lassen ;-).

Subversion und Integration

Auf meinen Vortrag auf der IATEL-Konferenz habe ich ja schon verwiesen (hier). Nachschieben möchte ich nun ein paar Eindrücke, vor allem aber Ideen, die ich daraus mitgenommen habe (Frank war auch dabei und hat sich auch so seine Gedanken gemacht: kann man hier nachlesen). Für mich am spannendsten war es, Werner Sesink ein wenig näher kennengelernt zu haben. Ich war anlässlich meines Vortrags zu Qualität, Kompetenz und Assessment in einer Session eingebunden (von insgesamt vier Sessions), deren Ziel es war, „Dimensionen von Qualität und Kompetenz“ im E-Learning zu beleuchten. Rund 18 Teilnehmer/innen hatten sich hier eingefunden, u. a. Herr Sesink. Es war ein schwieriges Thema, bei dem ich schon nach meinem schriftlichen Beitrag einige Bauchschmerzen hatte, weil mir unklar war, wie gut oder schlecht sich meine Überlegungen zu diesem Thema in einem Vortrag vermitteln lassen. Aber darüber will ich gar nicht schreiben. Nein, worüber ich berichten will, sind ein paar Gedanken, die mir vor allem beim Zuhören einiger Beiträge von Herrn Sesink in den Diskussionen durch den Kopf gegangen sind. Wir kamen mehrfach an den Punkt, wo sich verschiedene Ansprüche und Möglichkeiten zu beißen scheinen, z.B. Standardisierung versus Individualisierung, individuelle Expertise versus Vorzüge vernetzter „Schwärme“, institutionalisiertes Lernen versus informelles Lernen, und dann natürlich auch Web 1.0 versus Web 2.0. An mehreren Stellen brachte Werner Sesink Ereignisse und Erlebnisse ein, die 40 Jahre zurückliegen und zumindest vergleichbare Spanungsverhältnisse verdeutlichten, ähnliche offene Fragen und Probleme berührten, wie wir sie heute (wieder) diskutieren, aber auch auf Aspekte verwiesen, die uns aktuell eher fremd erscheinen.

Ich fände es sehr gut, wenn man mal mehrere dieser Stimmen an einen Tisch und mit den heutigen Verfechtern wie auch Skeptikern in Sachen Web 2.0 zusammenbringen könnte. Warum? Nicht weil ich meine, dass man die gesellschaftliche Situation Ende der 1960 Jahre mit der heutigen in einen Topf werfen kann; ich denke schon, dass wir heute an der Universität vor neuen Herausforderungen stehen. Ich schlage das auch nicht vor, weil ich meine, dass politische Ziele mit Zielen rund um den Einsatz digitaler Technologien auf der gleichen logischen Ebene liegen. Nein, ich fände das spannend, weil ich den Eindruck habe, dass es einige Parallelen in der Tiefe gibt, die Werner Sesink z.B. mit Begriffspaaren wie „Subversion und Integration“ (was damit gemeint ist, scheint auch in diesem kurzen Artikel hier auf – ist aber zugegebenermaßen nicht ganz leicht zu verstehen) oder „Freiheit und Bindung“ zu bündeln versuchte – Begriffspaare, die auch heute passend erscheinen (auch wenn ANpassungen sicher nötig sind). Ich würde gerne von denjenigen lernen, die vor 40 Jahren an Schriften wie der der Bundesassistentenkonferenz mitgearbeitet haben, die sich mit neuen Ideen gegen bestehende Routinen und Ziele wenden wollten, die um die Frage der Zukunft der Universität und ihrer Ziele gestritten haben, die damit Erfolg und Misserfolg hatten. Mich würde interessieren, ob und wenn ja in welcher Weise die damaligen Akteure die aktuelle Web 2.0-Philosophie und allem voran die daran geknüpften Überlegungen zur Hochschuldidaktik wie auch zu Hochschulentwicklung sehen. Und mich würde interessieren, welche Fragen die Vertreter eines wie auch immer gearteten „Lernens 2.0“ an diese Akteure haben (fatal wäre es, wenn sie keine Fragen haben).

2010 wäre doch ein gutes Jahr, so etwas einmal auf die Beine zu stellen! Ich meine, wir lernen zu wenig voneinander! Vielleicht „verbünden“ wir uns auch zu wenig – trotz der gigantischen Vernetzungsmöglichkeiten. Vielleicht sehen das andere ähnlich? Mal sehen, ob hier was an Kommentaren zusammenkommt.

Nochmal Qualität … hoffentlich

Auf meinen schriftlichen Beitrag zum Zusammenhang von Kompetenz, Qualität und Assessment anlässlich der IATEL-Konferenz an der TU Darmstadt habe ich ja bereits hingewiesen (hier).  Im dazugehörigen Vortrag habe ich michbemüht, das zugegebenermaßen etwas trockene Thema noch etwas eingängiger und abgespeckter darzulegen – ich hoffe, es ist mir zumindest in Ansätzen gelungen. Gerne stelle ich das Manuskript zur Verfügung, wobei natürlich die Artikel-Fassung insofern umfassender ist, als dass ich da meine Argumente mit Quellen belege. Anbei auch die Folien, die in diesem Fall möglicherweise hilfreich sind, weil sie das Gesagte sichtbar strukturieren.  Zu Eindrücken aus der Konferenz demnächst mehr.

Vortrag_Darmstadt_Juni09

Folien_Darmstadt_Juni09