Die Schule als Modell!?

Neuerdings legen uns Artikel aus der Feder von Mitgliedern des Wissenschaftsrates insbesondere in der ZEIT dringend nahe, dass wir bei der Verbesserung der Hochschullehre von der Schule lernen sollten. Den Anfang machte Volker Meyer-Guckel bereits im April 2015 (hier) mit der Aufforderung, Verschulung nicht immer nur negativ zu sehen, sondern eher mal die Schule als Vorbild zu nehmen. So sollte man z.B. Lehrende auf ihre Aufgaben systematisch vorbereiten und regelmäßig fortbilden – wogegen wirklich gar nichts einzuwenden wäre, würde das nicht auch gepaart sein mit pauschalen Feststellungen über Unwille und Unfähigkeit von Hochschullehrenden, sich für die Lehre zu engagieren. Und nun Manfred Prenzel (hier): Von der Schule zu lernen, bedeutet für ihn, sich an gutem Unterricht in der Schule zu orientieren. Nun mag auch das in Grenzen eine Bereicherung sein, wenn man sich gelingendes Lehren und Lernen in verschiedenen Bildungskontexten also auch in Schulen, anschaut, um Impulse für die Hochschullehre zu gewinnen. Die Grenzen aber sind schnell erreicht, wenn man Ziele, Zielgruppen und Gegenstände der Schul- und Hochschulbildung miteinander vergleicht. Dass ausgerechnet der WISSENSCHAFTsrat so leichtfüßig über diese Unterschiede hinwegzugehen scheint, verwundert doch schon.

„Die Schule als Modell!?“ weiterlesen

Mehr davon!

In der aktuellen Ausgabe der Psychologischen Rundschau (Psychologische Rundschau, 66 (4), siehe hier) findet sich eine interessante Diskussion zu Fehlauffassungen im Bereich Lehren und Lernen mit Anwendungsbeispielen in der Hochschullehre. Alexander Renkl liefert dazu den Impuls mit einem Beitrag, der den Titel trägt: „Drei Dogmen guten Lernens und Lehrens: Warum sie falsch sind (Renkl, 2015, 211 – 220). Ich kopiere hier mal das Abstract rein, weil es die Inhalte gut auf den Punkt bringt:

„Es werden Fehlannahmen (Dogmen) über Fragen des Lernens und Lehrens in Schule und Hochschule diskutiert, die in öffentlichen, aber auch in fachlichen Diskussionen immer wieder zum Vorschein kommen. Das Konstruktivismus- und Aktivitätsdogma besteht darin, Lernarrangements ungerechtfertigter Weise in solche einzuteilen, die entweder passives oder aber konstruktives und aktives Lernen fördern. Das Dogma des guten Unterrichts spiegelt sich in der Annahme wider, dass es DEN guten Unterricht gibt. Das Strukturreformdogma manifestiert sich darin, dass bei Bemühungen um die Verbesserung von Bildungsqualität weniger das eigentlich ausschlaggebende Lehr-Lern-Geschehen im Unterricht als vielmehr Schul- oder Hochschulstrukturen fokussiert werden. Die Relevanz der Identifizierung dieser drei Dogmen wird exemplarisch an vier (immer wieder einmal) aktuellen Themen der Hochschullehre aufgezeigt: Vorlesung als veraltete Lehr-Lern-Methode? Problembasiertes Lernen als Qualitätsmerkmal von Hochschullehre? Evaluation von Lehrveranstaltungen durch Studierende? Reform der Lehramtsausbildung zur Verbesserung des Schulunterrichts?“

„Mehr davon!“ weiterlesen

Ein aufmerksamer, mitdenkender, nachbohrender und kritisch konfrontierender Zuhörer

„Sehen Sie, ich bin ja mein akademisches Leben lang nur ein kleiner C2-Professor gewesen, ohne besondere Ausstattung, ohne eigene Assistenten, aber mit einem enormen Zulauf von Studenten, […]. Und es gab auch einen Kollegen, der auf eine schmunzelnde Weise hat durchblicken lassen, dass er das, was ich da tat, nicht wirklich für Wissenschaft hielt.“ (S. 46 f.). Das ist eine Selbstbeschreibung des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun in einem Buch, das bereits letztes Jahr erschienen ist.

Pörksen, B. & Schulz von Thun, F. (2014). Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens. Heidelberg: Carl-Auer.

Schulz von Thun – wer kennt den Kommunikationspsychologen nicht. Mindestens sein „Vier-Ohren-Modell“ ist ja so bekannt wie das Es-Ich-Überich von Freud. Nun hat Schulz von Thun aber keinen neuen Beststeller geschrieben. Vielmehr ist Bernhard Pörksen auf die Idee gekommen, ein – ich nenne es mal – Dialogbuch über ihn und sein Werk zu verfassen. Das Buch ist das Kondensat vieler Gespräche (Pörksen beziffert die Mitschriften auf 600 Seiten) über große und kleinere Fragen. Die rahmende Idee lässt sich vielleicht am besten mit dem Satz umreißen, von dem Pörksen glaubt, dass er das Werk von Friedemann Schulz von Thun auf den Punkt bringt: „Die Qualität der Kommunikation bestimmt die Qualität unseres Lebens“.

„Ein aufmerksamer, mitdenkender, nachbohrender und kritisch konfrontierender Zuhörer“ weiterlesen

Fremddisziplinär vereinnahmt

Nicht nur in der ZEIT werden Wissenschaftler/innen, ihre Arbeit und ihr (fehlender) Bezug Gesellschaft derzeit kritisch beleuchtet. Speziell auf die Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft gemünzt findet sich dazu auch ein aktueller Beitrag in der Zeitschrift für Pädagogik.

Smith, R. & Keiner, E. (2015). Erziehung und Wissenschaft, Erklären und Verstehen. Zeitschrift für Pädagogik, 61 (5), 665-682.

Die ersten Sätze aus dem Abstract macht die Stoßrichtung des Beitrags bereits deutlich: „Erziehungswissenschaft scheint gegenwärtig weltweit, besonders in englischsprachigen Ländern, zunehmend von der Übernahme, gar der Imitation, naturwissenschaftlicher Methoden bestimmt zu sein. Ein Beispiel hierfür ist die gegenwärtige Begeisterung für randomisierte kontrollierte Studien (randomised controlled trials, RCTs), die oft als der Goldstandard in der medizinischen Forschung gelten. Ein anderes Beispiel ist die bislang unerfüllte Erwartung, dass die Neurowissenschaften uns alles darüber sagen könnten, wie Menschen lernen und wie sie besser, d. h. schneller und effektiver, lernen könnten.“

„Fremddisziplinär vereinnahmt“ weiterlesen

Wissensfeldchen in böhmischen Dörflein

Die ZEIT hat im August (2015) eine neue Serie begonnen: „Wo seid ihr Professoren?“ (ganz politisch unkorrekt ohne die Professorinnen und ich fühle mich trotzdem angesprochen und finde es nicht schlimm ;-)). Die ersten vier Beiträge stammen von Bernhard Pörksen, Sandra Richter, Stefan Sinzinger und Fritz Breithaupt – alles selbst Professor/innen, die entsprechend auch ihre persönlichen Wahrnehmungen schildern. Ich hoffe, dass noch mehr interessanter Lesestoff kommt; die ersten vier Beiträge lohnen sich schon mal die Lektüre.

„Wissensfeldchen in böhmischen Dörflein“ weiterlesen

Die Sache mit der Implementation

Kürzlich habe ich einen Beitrag über Design-Based Implementation Research (DBIR) gelesen – bereits zum zweiten Mal, weil ich beim ersten Lesen noch kein so rechtens Interesse fand:

Fishman, B.J., Penuel, W.R., Allen, A.-R., Cheng, B.H. & Sabell, N. (2012). Design-Based Implementation Research: An emerging model for transforming the relationship of research and practice. In B. J. Fishman & W. R. Penuel (Eds.), National Society for the Study of Education: Vol 112. Design Based Implementation Research (pp. 136-156). Online hier verfügbar

DBIR ist ein Ableger der Design-Based Research (DBR)-Bewegung. Im Zentrum von DBIR steht die Frage, was wo, wann und für wen funktioniert. Man konzentriert sich auf die Implementierung von Programmen, Konzepten, Methoden, Medien in der Bildung. DBIR verschreibt sich dem Ziel, Verbesserungen in der Bildung skalierbar und nachhaltig zu machen, also qualitativ gute und wirksame Programme, Konzepte, Methoden, Medien in die Breite zu tragen und langfristig zu verankern. Berücksichtigt wird, dass es man es im Bildungskontext nicht mit einfach zu beforschende Objekten zu tun hat, sondern mit sozialen Praktiken, die in der Regel an lokale Bedingungen angepasst werden müssen, um ihre potenzielle Wirkung zu entfalten. Eine skalierbare und nachhaltige Implementierung von Programmen, Konzepten, Methoden, Medien in der Bildung erfordert allerdings einen Wandel der Lehr-Lern- und Prüfungskulturen, inklusive Überzeugungen und Annahmen der Akteure. DBIR setzt auf eine enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis, die wechselseitig transformativ wirkt, also mit Veränderungen auf beiden Seiten einhergeht.

„Die Sache mit der Implementation“ weiterlesen

Jeder muss unterschreiben

Mir geht es manchmal so, dass ich gar nicht mehr merke, wenn ich selber Mainstream-Begriffe benutze, weil sie sich schon so sehr eingebürgert haben und/oder weil man den Eindruck hat, dass man nicht mehr darum herum kommt. Aber das ist freilich falsch, denn selbstverständlich kann man etwas immer auch anders, am besten einfach und präzise, sagen als es eine scheinbar umfassend legitimierte Sprachregelung nahelegt. Ein schönes Beispiel dafür dürfte (neben anderen) das Qualitätsmanagement sein.

Sowohl die Sprache als auch der „Geist“ des (aus der Wirtschaft stammenden) Qualitätsmanagements hat die Hochschulen seit den 1990er Jahren im Griff – aber es scheint immer schlimmer zu werden. Wie schlimm es schon ist, lässt sich kaum pointierter und anschaulicher auf den Punkt bringen, als es Rainer Dollase in einem Text in der duz (Mai 2015) macht:

„Man stelle sich einmal vor, die 1. Bundesliga würde sich anschicken, Standards für die Durchführung von Fußballspielen zu formulieren: Der Fußballspieler bemüht sich auf dem Platz, den Ball in das gegnerische Tor zu treten. Er achtet in Zweikämpfen darauf, dass er gewinnt, dabei aber fair bleibt. Er bemüht sich, hohe Bälle im Falle der sofortigen Weitergabe mit dem Kopf, im Falle des Weiterspielens mit dem Fuß zu stoppen etc. Zielvereinbarung: Die Mannschaft bemüht sich, das nächste Spiel zu gewinnen. (Jeder muss unterschreiben.) Interne Evaluation: Wir prüfen, ob wir das Ziel erreicht haben. So oder ähnlich würden Qualitätsmanager ihr QM-Nachschlagewerk für die 1. Bundesliga formulieren. Banal und überflüssig wäre das, wie QM an Hochschulen.“

Wer jetzt Interesse am ganzen Beitrag hat, kann diesen hier online lesen.

Zweifel zerstreuen

Dualismen machen das Leben, das Wahrnehmen, vor allem das Entscheiden leichter, geben einem Sicherheit und zerstreuen Zweifel – auch an der Hochschule und in der Hochschuldidaktik. Dualismus bedeutet so viel wie Polarität, Zweiheit, auch Gegensätzlichkeit. Mit Dualismen in der Hochschullehre und Hochschuldidaktik beschäftigt sich ein Text von Bruce Macfarlane, über dessen Inhalt es sich aus meiner Sicht lohnt, genauer nachzudenken:

Macfarlane, B. (2015). Dualisms in higher education: a critique of their influence and effect. Higher Education Quartely, 69 (1), 101-118.

„Zweifel zerstreuen“ weiterlesen

Selbstzufrieden

Die europäischen Minister/innen haben sich Mitte Mai 2015 wieder zur Bologna-Konferenz (siehe hier) getroffen … und sind zufrieden mit sich, wie es scheint. Jedenfalls kann man das der Pressemitteilung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (siehe hier) so entnehmen. Dort heißt es unter anderem:

„Zentrale Punkte des im Rahmen der zweitägigen Konferenz gemeinsam verabschiedeten Kommuniqués sind unter anderem der Ausbau der Studierendenzentrierung der Lehre, die Schaffung flexibler und transparenter Lernpfade und die Förderung einer Hochschulbildung, die die Beschäftigungsbefähigung der Absolventinnen und Absolventen in sich schnell verändernden Arbeitsmärkten stärkt.“ Das sei der richtige Weg, so Prof. Dr. Holger Burckhart, HRK-Vizepräsident für Lehre und Studium, Lehrerbildung und Lebenslanges Lernen. In dieser Allgemeinheit wird wohl keiner widersprechen: Wer wollte schon die Lehre von den Studierenden de-zentrieren, Lernpfade (was immer das genau heißen mag) unflexibel und intransparent gestalten und Studierende auf die Arbeitslosigkeit hin vorbereiten. Also stimmt man natürlich zu.

„Selbstzufrieden“ weiterlesen

Der Übergang vom Lernen zum Profit

Das Spardiktat hat auch die niederländischen Universitäten erreicht. Ein Artikel in der ZEIT (online hier) sowie einer in der taz (hier) schildern hierzu das Beispiel der Universität Amsterdam: Bis Mitte April hatten Studierende sechs Wochen lang ein Uni-Gebäude besetzt, bis es zwangsgeräumt wurde. „Doch was Studierende mithilfe der Lehrkräfte dort auf die Beine stellten und jetzt dezentral fortführen, sucht seinesgleichen in der jüngeren Geschichte europäischer Studentenrevolten“ – so die taz. Im Hintergrund geht es um ein weitreichendes, ja globales Problem: um finanzmarktgetriebene Politik, um Bürokratisierung via Punkteverwaltung, Evaluierung und Mittelakquise, um finanzielle Anreize für eine Absenkung von Niveau und Qualität (dann nämlich, wenn Fakultäten Boni für Studierende erhalten, die möglichst schnell ihren Abschluss machen).

„Der Übergang vom Lernen zum Profit“ weiterlesen